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»Maulwürfe?«

»Geologen.« Tom deutete mit einer Kopfbewegung auf die Ansammlung kleiner, rechteckiger Schneeflocken am Horizont, nahm zu Mogens' Erleichterung aber diesmal wenigstens nicht die Hand vom Steuer. »Sie sind schon seit über einem Jahr hier. Ich weiß nicht genau, was sie dort tun, aber ich hab den Doktor einmal sagen hören, dass hier zwei Kontinentalplatten aneinander stoßen.« Er runzelte einen Moment lang nachdenklich die Stirn. »Die San-Andreas-Verwerfung, glaube ich.«

»Das... stimmt«, murmelte Mogens überrascht. Seine Verblüffung galt jedoch weniger dem Gehörten an sich, als vielmehr dem Umstand, diese Worte aus Toms Mund zu hören. Vielleicht hatte er seinen knabenhaften Chauffeur ja ebenso vorschnell und falsch eingeschätzt wie sein zukünftiges Zuhause.

»Und was tun sie dort?«, fragte er.

Diesmal bestand Toms Antwort nur aus einem Schulterzucken. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Wir haben nichts mit denen zu schaffen. Einmal war einer von ihnen in unserem Lager, um mit dem Doktor zu sprechen, aber er ist nicht lange geblieben. Ich weiß nicht, worum es ging, aber Doktor Graves war hinterher sehr verärgert.«

»Du magst Doktor Graves nicht besonders, wie?«, fragte Mogens gerade heraus.

Tom sah ihn nicht an. »Ich kenne ihn zu wenig, um mir ein Urteil zu erlauben.«

Für einen Moment begann sich unbehagliches Schweigen zwischen ihnen auszubreiten. Dann räusperte sich Mogens und sagte: »Entschuldige, Tom. Ich wollte dich nicht in eine peinliche Situation bringen.«

Tom lächelte nervös. »Das haben Sie nicht. Doktor Graves hat mir gesagt, dass Sie diese Frage stellen werden. Es macht mir nichts aus.«

Vielleicht, überlegte Mogens, war es an der Zeit, endgültig das Thema zu wechseln. »Wie viele Mitarbeiter hat Doktor Graves?«, fragte er. »Außer dir.«

»Drei«, antwortete Tom. Als er Mogens' erstaunten Blick registrierte, fügte er mit einem bekräftigenden Nicken hinzu: »Manchmal heuern wir 'n paar Hilfskräfte aus der Stadt an. Aber nur, wenn's gar nicht anders geht. Doktor Graves will keine Fremden im Lager.«

Vermutlich war es eher anders herum, dachte Mogens - er konnte sich nicht vorstellen, dass es allzu viele Fremde gab, die es lange mit Graves aushielten. Er schwieg dazu.

Der Ford rumpelte weiter durch Kaninchenlöcher und über Steine, und auf dem restlichen Stück Weg bis zur Hauptstraße hinab wurden sie derart durchgeschüttelt, dass Mogens nicht nur die Lust auf jede weitere Frage verging, sondern er sie vermutlich auch gar nicht herausbekommen hätte. Endlich aber hupfte der Wagen mit einem letzten, magenumdrehenden Ruck wieder auf die asphaltierte Hauptstraße, und Mogens atmete hörbar erleichtert auf.

»Das war's«, sagte Tom in Mogens' Meinung nach vollkommen unangemessen fröhlichem Ton. »Jetzt sind's nur noch ein paar Meilen.«

»Sagtest du nicht vorhin, es wäre nur noch eine Meile?«, brummte Mogens.

»Bis zur Stadtgrenze«, antwortete Tom. »Aber wir haben bestimmt 'ne halbe Stunde gespart. Die Straße macht 'nen ziemlichen Bogen um den Berg rum. Wir sind gleich da.«

Trotz Toms unerschütterlich fröhlichem Ton und seines womöglich noch breiter gewordenen Lausbubengrinsens spürte Mogens, wie sich die Stimmung im Wagen zusehends verschlechterte. Er hatte Tom falsch eingeschätzt, aber er schien es mit jedem Versuch, seinen Fehler wieder gutzumachen, nur noch zu verschlimmern. Vielleicht wäre er gut beraten, für den Rest des Weges einfach die Klappe zu halten.

Um nicht unabsichtlich bei seinem bisher einzigen potenziellen Verbündeten noch mehr Boden zu verlieren, drehte er sich demonstrativ im Sitz zur Seite und betrachtete aufmerksam die Umgebung. Der Ort hielt auch aus der Nähe, was er von weitem versprochen hatte: Die Häuser waren einfach - um nicht zu sagen: schäbig - und wirkten auf Mogens auf sonderbare Weise... ängstlich. Das Wort kam ihm selbst absurd vor in diesem Zusammenhang, aber ihm fiel auch keine treffendere Vokabel ein. Wenn er jemals eine Ansammlung von Gebäuden gesehen hatte, die sich wie eine Herde verängstigter Tiere aneinander drängte, dann diese. Angesichts der Weite der sie umgebenden Landschaft erschien ihm die drückende Enge, in der sich die einfachen Holz- und Ziegelsteinbauten aneinander drängten, doppelt bedrohlich. Ein kalter Schauer rann ihm über den Rücken. Wäre der Gedanke nicht so vollkommen absurd gewesen, er hätte gesagt, dass diese Stadt sich vor irgendetwas fürchtete.

Mogens atmete insgeheim auf, als sie die Stadt schließlich hinter sich hatten. Das allerletzte Gebäude auf der rechten Seite war ein altmodischer Mietstall, was Mogens einigermaßen ungewöhnlich vorkam; soweit er wusste, befanden sich solcherlei Gebäude normalerweise eher im Stadtzentrum. Als sie es passierten, hatte Mogens das unheimliche Gefühl, von einem eisigen Hauch gestreift zu werden; aber das war natürlich vollkommen unmöglich - zumal die Fenster des Ford geschlossen waren. Er versuchte den Gedanken als so lächerlich abzutun, wie er war, aber es gelang ihm nicht. Während das gedrungene Gebäude aus vom Alter grau gewordenem Holz allmählich hinter ihnen zurückfiel, drehte er sich halb im Sitz herum und sah zurück, und wieder verspürte er ein rasches, eisiges Frösteln. Der Gedanke war fast noch grotesker als der zuvor, aber er hatte für einen Moment das grässliche Gefühl, auch seinerseits angestarrt zu werden - auf eine boshafte, lauernde Art, die die dräuende Furcht in ihm noch zu schüren schien.

»Sie haben die Geschichte gehört?«, fragte Tom.

»Nein«, antwortete Mogens. »Welche Geschichte?«

Tom hob die Schultern und sah flüchtig in den Rückspiegel, bevor er antwortete; fast als müsse er sich davon überzeugen, dass ihnen nichts folgte. »Ich dachte, weil Sie den Stahle so angesehen haben...« Er hob die Schultern, »'ne hässliche Sache. Sie hat sogar in Frisco in der Zeitung gestanden. Es hat 'n paar Tote gegeben - aber ich weiß nicht genau, was passiert ist«, kam er Mogens' nächster Frage zuvor, noch ehe dieser sie überhaupt stellen konnte. »Die Leute sprechen nicht drüber.«

Mogens schwieg auch dazu, aber er dachte sich seinen Teil. Natürlich wusste Tom, welche Art von Verbrechen sich in diesem Gebäude zugetragen hatte; so wie jeder hier. Mogens hatte lange genug in einer Kleinstadt gelebt, um zu wissen, dass es in einem Ort dieser Größe keine Geheimnisse gab. Tom gehörte ganz zweifellos selbst zu den Leuten, die nicht darüber sprachen - was immer es auch war...

»Da vorne ist der Friedhof«, sagte Tom plötzlich. »Das Lager ist auf der anderen Seite. Nur noch 'n kleines Stück, dann sind wir da.«

»Am Friedhof?«, wunderte sich Mogens.

Tom nickte heftig. »Nur 'n kurzes Stück dahinter«, bestätigt er. »Sehen Sie sich nur um. Ich wette, einen solchen Friedhof haben Sie noch nie gesehen.« Er blickte weiter scheinbar konzentriert nach vorne, aber Mogens entging keineswegs, dass er ihn aus den Augenwinkeln insgeheim scharf beobachtete. Anscheinend hatte er Mogens mit seinen Worten nicht nur eine Information gegeben, sondern ein Stichwort, und nun wartete er auf eine entsprechende Reaktion.

Mogens sah nach rechts, wo in der immer rascher fallenden Dämmerung eine halbhohe, zum Großteil von Unkraut und wucherndem Gestrüpp überwachsene Bruchsteinmauer aufgetaucht war. Ihm fiel rein gar nichts Ungewöhnliches auf, außer vielleicht, dass der Friedhof für eine so kleine Stadt entschieden zu groß zu sein schien. Aber schließlich tat er Tom den Gefallen und fragte: »Wieso?«

Tom lachte. »Der Doktor sagt, es war der einzige Friedhof auf der Welt, der auf zwei Kontinenten liegt.« Er machte eine Kopfbewegung auf die Mauer, die jetzt links von ihnen vorbeiglitt. Mogens korrigierte seine Schätzung, die Größe des Friedhofes betreffend, noch einmal ein gutes Stück nach oben. »Die San-Andreas-Spalte verläuft genau drunter. Ich hab mal gehört, wie sich zwei Geologen aus dem Lager drüber unterhalten haben.«