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Auch seine Jacke war mittlerweile schwer von Blut. Er legte sie behutsam neben sich auf einen Stein, zog auch das Hemd aus und biss die Zähne zusammen, als Miss Preussler ohne viel Federlesens - oder ihn gar um Erlaubnis zu fragen - damit begann, auch seinen Verband zu lösen.

»Ist es schlimm?«, fragte er, als sie fertig war und die blutgetränkten Lappen einfach fallen ließ. Ihren Gesichtsausdruck zog er vor lieber nicht zu deuten.

»Wären wir jetzt zu Hause, würde ich nein sagen«, antwortete Miss Preussler, schüttelte aber trotzdem den Kopf und fügte mit einem aufmunternden Lächeln hinzu: »Das kriegen wir schon hin.«

»So schlimm?«

»Wer immer diesen Verband angelegt hat, hatte keine Ahnung«, sagte sie.

»Ich glaube, es war Tom.«

»Dann eben ein Ahnungsloser, der in bester Absicht gehandelt hat«, beharrte Miss Preussler. »Aber so schlimm sieht es gar nicht aus. Ich brauchte nur etwas, um die Wunde vernünftig zu verbinden, dann wird es schon gehen.« Sie überlegte einen Moment, ließ sich dann kurz entschlossen in die Hocke sinken und riss mit einiger Mühe einen handbreiten Streifen aus dem Saum ihres Kleides.

»Vielleicht sollten wir Tom fragen«, schlug Mogens vor. »Bestimmt hat er auch Verbandszeug in seinem Gepäck.«

»Ja, bestimmt«, antwortete Miss Preussler und richtete sich schnaubend auf. »Die Arme hoch, und beißen Sie die Zähne zusammen. Es könnte wehtun.«

Mogens gehorchte. Es tat weh, genau wie sie gesagt hatte, aber es war ein sonderbar wohltuender Schmerz, der ihm zwar im ersten Moment die Tränen in die Augen trieb, aber zugleich auch Linderung versprach. Darüber hinaus legte Miss Preussler den Verband so fest an, dass er ihm fast den Atem abschnürte. Doch das Ergebnis zählte, und das schien zufriedenstellend zu sein. Zwar begann sich auch der improvisierte frische Verband nahezu augenblicklich dunkel zu färben, doch Mogens spürte zugleich auch, wie die Blutung nachließ und dann ganz aufhörte, noch bevor Miss Preussler ganz fertig war.

»So«, sagte sie aufgekratzt. »Ein paar Stunden Schlaf und eine kräftige Mahlzeit, und Sie sind wieder ganz der Alte.«

»Ich fürchte, an einem von beidem wird es wohl scheitern«, antwortete Mogens lächelnd. »Aber vielen Dank. Ich fühle mich tatsächlich schon viel besser.«

»Was, zum Teufel, wird das da?«, erklang Graves' Stimme hinter ihnen.

»Miss Preussler hat meinen Verband erneuert«, antwortete Mogens, während er sich gezwungen langsam zu ihm herumdrehte.

»Und wozu soll das gut sein?«, schnappte Graves. »Wir gehen schließlich nicht auf eine Modenschau!«

Mogens schluckte die scharfe Antwort herunter, die ihm auf der Zunge lag, und bückte sich nach seiner Jacke. Die Bewegung bereitete ihm zwar Mühe, aber er zog sich trotzdem noch weit umständlicher und langsamer an, als notwendig gewesen wäre - schon, weil er spürte, dass Graves sich darüber ärgerte. Das war zwar albern, tat aber ungemein gut.

»Wohin gehen wir denn?«, fragte er, während er mit zusammengebissenen Zähnen versuchte, so in die Ärmel zu schlüpfen, dass die Wunde nicht sofort wieder aufbrach. »Wieder einmal zurück?«

Graves' Gesicht verdüsterte sich noch ein bisschen mehr, aber er gab sich zumindest Mühe, sich zu beherrschen. »Tom hat einen Durchgang gefunden«, antwortete er. »Hier geht es anscheinend nicht weiter.«

Er schien noch mehr sagen zu wollen, runzelte aber dann nur die Stirn und blickte missbilligend auf die blutigen Verbände hinab, die Mogens achtlos fallen gelassen hatte.

»Hältst du das für eine kluge Idee?«, fragte er. »Der Geruch könnte die Ghoule anlocken.«

Wenn es hier unten Ghoule gäbe, dachte Mogens, dann wären sie längst hier. Sie hatten in der guten Stunde, die sie jetzt hier unten waren, nicht eine einzige der Kreaturen zu Gesicht bekommen. Laut und in leicht trotzigem Tonfall sagte er. »Sie sind Aasfresser, Jonathan. Ich glaube nicht, dass sie von Blutgeruch angelockt werden.«

»Was war noch gleich dein Fachgebiet?«, fragte Graves, während er vergeblich versuchte, die Stoffstreifen mit dem Fuß so unter einen Stein zu schieben, dass man sie nicht mehr sah. »Archäologie? Dann beschränk dich auch darauf, über alte Steine zu sprechen.«

Mogens schluckte die Antwort herunter, die ihm auf der Zunge lag, und auch Miss Preussler schwieg, obwohl ihr anzusehen war, wie schwer es ihr fiel. Sie hatte kein Wort mehr mit Graves gesprochen, seit seinem schrecklichen Auftritt, und sie hatte offensichtlich nicht vor, etwas daran zu ändern. Mogens wünschte sich beinahe, ebenso klug gewesen zu sein wie sie.

»Gehen wir?«

Graves drehte sich auf dem Absatz herum und ging gerade schnell genug los, dass er ihm nicht ohne Anstrengung folgen konnte. Tom war mittlerweile am Ende der schmalen, von lotrecht emporstrebenden schwarzen Wänden gebildeten Gasse verschwunden. Mogens hielt vergeblich nach einer weiteren Tür oder irgendeiner anderen Art von Durchgang Ausschau. Erst, als sie das Ende der Gasse nahezu erreicht hatten, erschien wie aus dem Nichts eine knapp anderthalb Meter hohe Öffnung vor ihnen. Dahinter war das weiße, ruhig brennende Licht von Toms Lampe zu erkennen.

Einfach nur, um es auszuprobieren, trat Mogens wieder einen Schritt zurück, und die Öffnung verschwand. Als er sich wieder nach vorne bewegte, war sie wieder da. Ein weiteres Rätsel, das er wohl niemals lösen würde.

Was er hinter dieser unheimlichen Öffnung - es fiel ihm selbst in Gedanken schwer, sie Tür zu nennen - fand, das war mehr als ein Rätsel. Es grenzte an ein Wunder.

Mogens hielt verblüfft inne und sah sich in der großen, rechteckigen Kammer um. Die erste Überraschung war die Tür selbst. Wie auch immer diese neuerliche Unmöglichkeit zu erklären war, von dieser Seite aus betrachtet war die Tür eine ganz normale Tür, deutlich größer als von der anderen Seite und von klarer, rechteckiger Form, wie überhaupt alles hier drinnen der klaren Geometrie und strengen Linienführung entsprach, wie er sie aus den Gräbern und Tempelruinen des alten Ägypten kannte. Der Schritt durch die Tür war nicht nur wie ein Schritt in eine andere Welt gewesen, sondern auch in eine andere Zeit. Mogens war vollkommen fassungslos.

»Erstaunlich, nicht wahr?«, fragte Graves. »Ich denke, wir kommen unserem Ziel allmählich näher.«

Erstaunlich, fand Mogens, war nicht unbedingt das richtige Wort. Was er sah, das war vielmehr verwirrend und beunruhigend zugleich. Der Raum war deutlich größer, als er erwartet hätte, und zwei der vier Wände, die in seltsam falschem Winkel aufeinander stießen, waren prachtvoll auf die Art der alten Ägypter bemalt und über und über mit Hieroglyphen in leuchtenden Farben bedeckt.

»Ist das nicht fantastisch?«, fragte Graves. »Ich hoffe doch, ich habe damit das eine oder andere gutmachen können. Ich meine: Die allermeisten deiner Kollegen hätten ihren rechten Arm dafür gegeben, das hier auch nur ein einziges Mal sehen zu können.«

Mogens warf einen flüchtigen Blick auf Graves' in schwarzes Leder gehüllte Hände und schwieg. Er war noch immer vollkommen fassungslos, aber da war auch noch mehr. Etwas stimmte hier nicht, aber es war ihm nicht möglich, dieses Gefühl genauer in Worte zu kleiden. Er trat einen Schritt an Graves vorbei und blieb wieder stehen, um sich noch einmal aufmerksam umzusehen. Das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte, wurde stärker, aber er konnte es noch immer nicht richtig begründen. Der Raum maß vielleicht zwanzig Schritte im Geviert und wirkte auf den allerersten Blick quadratisch; auch wenn es hier nicht einen auch nur annähernd rechten Winkel gab. Die Decke war so niedrig, dass selbst Graves nicht mehr wirklich aufrecht stehen konnte, und Mogens fragte sich automatisch, wie sich die viel größeren Ghoule hier drinnen bewegen mochten. Als er den Blick hob und nach oben sah, hatte er die Antwort: Auch die Decke war mit sonderbaren Bildern und Schriftzeichen bemalt, die aber mittlerweile verschmutzt und verwischt waren und an zahllosen Stellen abzublättern begannen. Da hatte sich mehr als ein Ghoul den Schädel angestoßen.