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Mogens fragte sich flüchtig, ob er sich unter diesen Umständen überhaupt wünschen sollte, hier heraus zu kommen, verscheuchte diesen Gedanken aber als so albern, wie er war, und nahm ihr stattdessen die Streichholzschachtel wieder ab, um auch seine Lampe zu entzünden.

»Wo ist das Mädchen?«, fragte er.

Miss Preussler starrte ihn eine halbe Sekunde lang betroffen an, machte »Oh!« und war dann wie der Blitz verschwunden.

Mogens wartete darauf, dass sich zumindest ein leises Gefühl von Schadenfreude bei ihm einstellte, was aber nicht der Fall war, und schüttelte auch diesen Gedanken ab. Auch seine Lampe brannte mittlerweile und stach einen grellweißen Lichtkegel in die Halle. Im Bereich dieses Lichtes konnte er nun weit besser sehen als zuvor - es war schon erstaunlich, dachte er, wie schnell sich die menschlichen Sinne mit dem beschieden, was sie bekommen konnten, und einem das Gefühl gaben, ausreichend versorgt zu werden. Doch das weiße Licht löschte die mattgrüne Helligkeit dahinter umso gründlicher aus. Träge Staubschwaden bewegten sich lautlos durch den Lichtkegel und gaukelten ihm Bewegung vor, wo keine sein sollte.

Mogens schwenkte den zitternden Lichtfinger langsam weiter und versuchte, mehr Einzelheiten im hinteren Teil der Halle zu erkennen, aber es gelang ihm nicht. Das wandernde Licht vermittelte ihm nur einen allgemeinen Eindruck von Zerstörung, die noch weitaus schlimmer zu sein schien, als er bisher geglaubt hatte. Der gesamte hintere Teil der Decke schien heruntergebrochen zu sein. Meterdicke steinerne Pfeiler waren geknickt wie Schilfrohre, einfach in Stücke zerborsten, oder ragten wie die Masten versunkener Schiffe aus den versteinerten Wellen eines Schuttozeans. Hunderte, wenn nicht tausende Tonnen von Fels und Steinquadern waren kaum dreißig oder vierzig Schritte von ihm entfernt niedergestürzt. Wenn sich auch in diesem Teil der Kammer Ghoule aufgehalten hatten, als sich die Katastrophe ereignete, so hatten sie nicht die mindeste Überlebenschance gehabt.

Etwas Helles blitzte im vorbeihuschenden Schein der Lampe auf; eine Bewegung, die anders war als der träge Tanz der Staubschleier. Mogens schwenkte den Strahl wieder zurück, und tatsächlich: Unmittelbar am Fuße einer gewaltigen Schutthalde bewegte sich etwas. Hatte doch eines der unheimlichen Geschöpfe die Katastrophe überstanden?

Zögernd trat Mogens näher. Obschon ihm sein logischer Verstand sagte, dass von einem verletzten Ghoul mit großer Wahrscheinlichkeit keine Gefahr ausging, bewegte er sich mit äußerster Vorsicht; schließlich waren waidwunde Raubtiere bekanntermaßen die gefährlichsten.

Es handelte sich jedoch nicht um einen der Schakalköpfigen. Was sich im Licht der starken Karbidlampe träge wand, das war etwas, was Mogens im allerersten Moment an eines der ekelerregenden Schneckenwesen erinnerte, auf die sie oben im Lager gestoßen waren; nur dass es deutlich größer und noch um Einiges unappetitlicher anzusehen war. Niederstürzende Felsbrocken hatten es teilweise zerquetscht, sodass Mogens seine ursprüngliche Größe nur schätzen konnte, doch allein der übrig gebliebene Teil war deutlich größer als eine Männerhand, und der Körper war auch deutlich gegliedert; vielleicht, dass das Geschöpf sogar so etwas wie einen Kopf gehabt hatte. Die Verwandtschaft zu den Schneckenwesen war jedoch unübersehbar. Auch sein Fleisch war durchsichtig, sodass man das hektische Pulsieren sonderbar fremdartig anmutender Organe darunter erkennen konnte.

Mogens hob den Fuß, um die ekelhafte Kreatur vollends zu zerquetschen, überlegte es sich aber dann anders und schwenkte seine Lampe in einem langsamen Halbkreis. Er entdeckte noch mehr der widerwärtigen Geschöpfe, nahezu alle mehr oder weniger schlimm verletzt, dann blieb der tastende Lichtstrahl an einer Hand hängen, die aus den Trümmern ragte.

Einer menschlichen Hand.

Erneut lieferten sich sein Verstand und seine archaischen Instinkte ein ebenso stummes wie verbissenes Duell, während er sich bereits auf die Knie fallen ließ und mit beiden Händen zu graben begann. Wer immer unter dieser Schutthalde lag, hatte keine größere Überlebenschance gehabt wie die viel zäheren und robusteren Ghoule, aber das änderte nichts daran, dass unmittelbar vor ihm ein verschütteter Mensch lag.

Mogens begann immer hektischer und rascher zu graben, zerrte Steine und Schutt beiseite und wuchtete Trümmerbrocken weg, die er unter normalen Umständen nicht um einen Millimeter hätte bewegen können. Mit bloßen Händen grub und wühlte er sich tiefer in den Schuttberg hinein, bis er Unter- und Oberarm, Schulter und schließlich einen Teil eines Gesichtes freigelegt hatte. Dann, ebenso plötzlich, wie er zu graben begonnen hatte, ließ er die Arme wieder sinken.

Es gab nichts mehr, was er noch tun konnte. Abgesehen von einer Anzahl eher oberflächlicher Schrammen und Kratzer konnte er keinerlei nennenswerte Verletzungen entdecken, aber die weit offen stehenden Augen der dunkelhaarigen Frau waren leer.

»Da sind wir wieder, Professor«, erklang Miss Preusslers Stimme hinter ihm. »Stellen Sie sich nur vor, dieses arme Kind war doch tatsächlich...«

Sie brach mit einem erschrockenen Laut ab, als sie nahe genug herangekommen war, um zu sehen, was Mogens da gerade ausgegraben hatte, und auch Mogens fuhr beunruhigt zusammen, als er aufblickte und erkennen musste, dass Miss Preussler nicht allein gekommen war. Auch jetzt hatte sich das Mädchen mit beiden Händen an Miss Preusslers Schulter geklammert, und Mogens befürchtete schon das Schlimmste, als auch sie die Tote unter den Trümmern entdeckte. Ihre Augen, und auch ihr Gesicht, blieben jedoch vollkommen teilnahmslos. Wenn sie die Fremde kannte, so bedeutete sie ihr nichts.

Dennoch sagte Mogens rasch: »Vielleicht wäre es besser, wenn...«

Miss Preussler verstand, was er ihr sagen wollte, obwohl er den Satz nicht einmal ganz zu Ende sprach. Mit einer Art sanfter, aber trotzdem nachdrücklicher Gewalt löste sie die Hände des Mädchens von ihrem Oberarm, legte ihr zugleich den Arm um die Schultern und versuchte, sie ein kleines Stück zur Seite zu bugsieren, gerade weit genug, damit sie den schrecklichen Anblick nicht mehr in aller Deutlichkeit sehen konnte. Das Mädchen wich auch gehorsam einen Schritt zur Seite, dann jedoch blieb es stehen, versuchte mit der linken Hand nach Miss Preusslers Scheinwerfer zu greifen und gestikulierte mit der anderen in die Dunkelheit am oberen Ende der Trümmerhalde hinauf. Miss Preussler versuchte, sie noch weiter zurück zu delegieren, erreichte damit aber nicht mehr, als dass ihr Widerstand noch zunahm und ihr Gestikulieren hektischer wurde.

»Anscheinend will sie dorthin«, sagte Miss Preussler, wobei sie Mogens über die Schulter hinweg einen fast flehenden Blick zuwarf.

Mogens schüttelte entschieden mit dem Kopf. »Das ist viel zu gefährlich«, sagte er bestimmt. »Dort liegt alles in Schutt und Asche.« Allein schon bei dem Gedanken, noch tiefer in dieses Labyrinth aus Trümmern, gefährlichen Fallgruben und rasiermesserscharfen steinernen Klingen und Spitzen einzudringen, wurde ihm beinahe körperlich übel.

Das Mädchen stellte sein Gestikulieren und Zerren jedoch keineswegs ein, sondern riss nur immer fester an Miss Preusslers Arm, woran auch deren vergebliche Versuche, beruhigend auf sie einzureden, nichts änderten. Schließlich riss es sich los und begann auf Händen und Knien, aber dennoch mit erstaunlicher Behändigkeit, den Trümmerberg hinaufzuklettern.

Miss Preussler sah ihm einen Herzschlag lang fast entsetzt nach, dann aber erschien ein Ausdruck grimmiger Entschlossenheit auf ihrem Gesicht. Mit der linken Hand hob sie ihre Lampe hoch über den Kopf, mit der anderen raffte sie ihre Röcke und folgte ihm. Mogens spürte eine Art dumpfes Entsetzen, was aber nur einen winzigen Moment vorhielt, bevor es Resignation wich. Er sparte sich den Atem, Miss Preussler zurückrufen oder auf irgendeine andere Art zur Vernunft bringen zu wollen, sondern kletterte ihr gleich hinterher.