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»Nicht ernsthaft«, antwortete er. Mogens hoffte zumindest, dass das stimmte, und vielleicht hauptsächlich, um sich selbst von der Wahrheit dieser Behauptung zu überzeugen, stemmte er sich unbeholfen in die Höhe. Es gelang ihm nicht so mühelos, wie er es gerne gehabt hätte, aber es gelang ihm - und das war vielleicht schon mehr, als er insgeheim erwartet hatte.

Tom musterte ihn einen Moment lang kritisch, schien dann aber zu einem Ergebnis zu gelangen, das ihn zufrieden stellte, und drehte sich zu Miss Preussler um. Ein Ausdruck nicht besonders überzeugend geschauspielerter Überraschung erschien auf seinem Gesicht, als er das Mädchen ansah. »Wer ist das?«, fragte er.

»Wir wissen ihren Namen nicht«, sagte Mogens rasch, bevor Miss Preussler antworten konnte. »Sie war unten.« Er deutete mit einer Kopfbewegung zur Tür. Toms Blick formulierte eine stumme Frage, die er mit einem ebenso wortlosen Kopfschütteln beantwortete.

»Wo kommst du her, Thomas?«, fragte Miss Preussler. »Der Professor und ich haben kaum noch zu hoffen gewagt, dich lebend wiederzusehen.«

»Viel hätt auch nicht gefehlt«, antwortete Tom in unerwartet ruppigem Ton, der klar machte, dass er nicht weiter über dieses Thema reden wollte. Allerdings entschärfte er ihn auch sogleich durch ein nun schon wieder jungenhaft wirkendes Grinsen.

»Sind dort unten noch mehr?«, fragte er.

Diesmal antwortete Mogens ganz bewusst so schnell, dass Miss Preussler keine Chance hatte, ihm zuvor zu kommen. »Dort unten ist alles zerstört«, sagte er. »Wir sind gerade noch so herausgekommen.«

»Da haben Sie verdammtes Glück gehabt, Professor«, sagte Tom. Sein Blick flackerte für einen Moment unsicher, als er das zerfetzte Bündel in den Armen des Mädchens streifte, aber er verbiss sich jede entsprechende Bemerkung.

»Was ist mit Graves?«, fragte Mogens. »Hast du etwas von ihm gehört?«

»Es hat ihn ziemlich übel erwischt«, antwortete Tom, »aber er wird sich wieder erholen, da bin ich sicher. Er hat schon Schlimmeres überstanden.«

»Graves lebt?«, vergewisserte sich Mogens ungläubig. Er hatte nicht damit gerechnet, noch einmal etwas von Graves zu hören, geschweige denn, ihn noch einmal lebend wiederzusehen. »Wo ist er?«

»Vorne, in dem kleineren Raum links vom Eingang«, antwortete Tom mit einer entsprechenden Geste und verbesserte sich rasch: »Rechts, von hier aus gesehen. Aber machen Sie sich bemerkbar, wenn Sie sich ihm nähern. Er ist ziemlich nervös. Und er hat ein Gewehr.«

»Wir gehen vielleicht besser alle zusammen«, schlug Miss Preussler vor. »Ich muss nicht unbedingt länger in der Gesellschaft dieser...«, sie sah flüchtig auf die toten Ghoule hinab, »Kreaturen bleiben, als unbedingt notwendig ist.«

»Dann gehen wir -«, sagte Tom. »Professor?«

Mogens nickte. Auch ihm bereitete die Nähe der beiden Ghoule - ob tot der lebendig - zunehmend größeres Unbehagen.

»Dann kommen Sie«, sagte Tom. Er schwang sich in einer übertriebenen Bewegung das Gewehr über die Schulter, die nicht so recht zu ihm passen wollte, fand Mogens. So als diene sie hauptsächlich dem Zweck, ihm selbst Mut zu machen. »Aber seien Sie vorsichtig. Ich hab zwar nur diese beiden Ungeheuer gesehen, aber man kann nie wissen.«

Tom schien von ihm zu erwarten, dass er vorausging. Als Mogens sich nicht rührte, zuckte er mit den Schultern und wandte sich mit einer demonstrativ beiläufigen Bewegung um, um die Führung zu übernehmen. Auch Miss Preussler und das Mädchen setzten sich in Bewegung - wenn auch erst, nachdem Mogens mehrere Schritte zur Seite gemacht hatte. Das Mädchen hatte ganz offensichtlich immer noch Angst vor ihm; und der Sicherheitsabstand, auf dem es beharrte, war ganz eindeutig größer geworden - möglicherweise aus dem simplen Grund heraus, dass es hier oben einfach mehr Platz gab.

Mogens seinerseits studierte das Gesicht des Mädchens sehr aufmerksam, als es in vier oder fünf Schritten Abstand an ihm vorüber ging. Bisher hatte er es eher vermieden, sie so offen anzustarren; einerseits aus einem vollkommen absurden Gefühl von Takt heraus, andererseits aber auch, weil er spürte, dass er ihr damit tatsächlich Angst machte. Etikette schien ihm hier unten jedoch wenig Sinn zu machen, und das heftige Brennen, wo seine Handrücken Bekanntschaft mit ihren Fingernägeln gemacht hatten, sorgte dafür, dass sich sein schlechtes Gewissen in Grenzen hielt.

Der Anblick des toten Kindes, das sie mit aller Kraft an sich drückte, jagte ihm noch immer einen eisigen Schauer über den Rücken, viel aufschlussreicher aber fand er im Moment die Blicke, die sie den toten Ghoulen zuwarf. Sowohl Tom als auch Miss Preussler hatten ganz unbewusst einen Bogen geschlagen, um dem Leichnam des erschossenen Ungeheuers nicht zu nahe zu kommen, doch das Mädchen schien solcherlei Hemmungen nicht zu kennen. Ganz im Gegenteil fehlten nur Zentimeter, und sie wäre einem der toten Ghoule auf die Hand getreten. Mogens wusste viel zu wenig über sie, um den Ausdruck in ihren Augen deuten zu können, aber immerhin sah er seinen ersten Eindruck von vorhin bestätigt: Das Mädchen hatte nicht die geringste Angst vor den Ghoulen. Sie fürchtete sie, aber was sie an diesen Wesen ängstigte, war ganz eindeutig nicht das blanke Entsetzen, das jeden Menschen bei der bloßen Erkenntnis der Existenz einer so grässlichen Zwitterkreatur aus Mensch und Tier überkommen musste. Was die dunkelhaarige junge Frau beim Anblick des Wesens empfand, das war durchaus Furcht, aber jene Art von resignierender Furcht, die ein Mensch einer Naturgewalt gegenüber empfinden mochte, die ihn mit beiläufiger Gleichgültigkeit auszulöschen vermochte, im Prinzip aber nicht feindselig war - und nicht einmal wirklich gefährlich, solange man wusste, wie man mit ihr umzugehen hatte.

Auf jeden Fall, fügte er finster in Gedanken hinzu, scheint sie diese Kreaturen deutlich weniger zu fürchten als mich.

Mogens brach diese unerfreuliche Überlegung ab und ließ seinen Blick aufmerksam über Wände und Decke der großen Halle schweifen. Er konnte nicht sagen, ob die Spuren von Zerstörung und Verfall, die er auch hier auf Schritt und Tritt sah, alt oder auf das gerade überstandene Beben zurückzuführen waren. Auf jeden Fall hatte es dieses Gebäude nicht annähernd so schwer getroffen wie das unterirdische Labyrinth. Weiter oben, wo der Himmel nicht mehr aus Stein bestand, war möglicherweise nur ein sachtes Zittern zu spüren gewesen, und vielleicht nicht einmal das. Plötzlich kam Mogens zu Bewusstsein, wie vollkommen fremd und unbekannt diese Welt war, durch die sie sich bewegten. Sie befanden sich vielleicht fünfzig Meter unter der Erdoberfläche - wahrscheinlich weniger -, und trotzdem bewegten sie sich durch eine Welt, die so vollkommen fremdartig und bizarr war, dass sie ebenso gut auf der Oberfläche eines anderen Planeten liegen könnte - was in gewissem Sinne sogar zutraf. Mogens fragte sich, wie viele Geheimnisse wohl noch unentdeckt unter ihren Füßen darauf warten mochten, entdeckt zu werden.

Tom blieb plötzlich stehen und rief: »Doktor Graves? Ich bin's, Tom. Ich hab den Professor und Miss Preussler gefunden. Wir kommen jetzt zu Ihnen rein.«

Er bekam keine Antwort, aber das schien ihm zu genügen. Er bedeutete Miss Preussler und dem Mädchen zwar mit einer entsprechenden Geste zurückzubleiben und nahm auch das Gewehr von der Schulter, trat aber dann ohne zu zögern durch die Tür. Miss Preussler folgte ihm, und als auch Mogens sich in Bewegung setzte, beeilte sich das Mädchen, sich ihm anzuschließen - wenn auch vermutlich mehr, damit der Abstand zwischen Mogens und ihr nicht zu klein wurde.

Der Saal, den sie betraten, war nur unwesentlich kleiner als die Halle hinter dem Eingang, aber niedriger und deutlich besser erhalten. Decke und Wände waren kaum beschädigt, und auch den Fresken und Wandmalereien hatte die Zeit nicht sehr viel anhaben können. Ein gutes Dutzend Fackeln - die meisten waren kaum heruntergebrannt, und Mogens nahm an, dass Tom sie entzündet hatte - sorgte für flackernde, aber überraschend intensive Helligkeit, erfüllte die Luft aber auch mit einem durchdringenden Brandgeruch, der zum Husten reizte.