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Graves hockte mit angezogenen Beinen vor der gegenüberliegenden Wand, und Mogens musste ihm nur einen einzigen, flüchtigen Blick zuwerfen, um Toms übermäßig erscheinende Vorsicht zu verstehen. Graves hatte das Gewehr quer über den Knien liegen und umklammerte es mit beiden Händen. Er befand sich in einem furchtbaren Zustand - einem Zustand, in dem Menschen dazu neigen, übereilt zu reagieren und Fehler zu machen.

Er war vollkommen durchnässt. Sein Haar klebte am Schädel und hing ihm in wirren Strähnen ins Gesicht, und aus seiner Kleidung tropfte Wasser, das sich bereits zu einer ansehnlichen Pfütze unter ihm gesammelt hatte. Er zitterte am ganzen Leib, und als Mogens sich ihm vorsichtig näherte, sah er, dass sein Gesicht eingefallen und grau wirkte, als wäre er in den letzten zwanzig Minuten um die gleiche Anzahl von Jahren gealtert.

»Großer Gott, Jonathan«, flüsterte er. »Was ist mit dir passiert?«

Im allerersten Moment sah es so aus, als hätte Graves seine Worte nicht einmal gehört. Erst nach ein paar Sekunden hob er langsam und zitternd den Kopf und sah Mogens an. Doch was er in seinen Augen las, das war sehr viel weniger Erkennen, als vielmehr ein blankes, abgrundtiefes Entsetzen. »Wasser«, stammelte er. »Es... es ist voller Wasser, Mogens.«

»Was ist voller Wasser?«, fragte Mogens.

Graves' Hände schlossen sich fester um Schaft und Lauf des Gewehres, aber es war keine Bewegung, von der Gefahr ausging. Graves brauchte einfach irgendetwas, an dem er sich mit aller Kraft festklammerte konnte, um nicht den Halt in der Wirklichkeit zu verlieren. »Wasser, Mogens«, stammelte er noch einmal. »Sie leben im Wasser!«

»Wer lebt im Wasser?«, erwiderte Mogens verwirrt. Dann begann er zu begreifen. »Die Pyramide?«, fragte er. »Du warst in der Pyramide? Du hast sie gesehen?«

Graves schüttelte abgehackt den Kopf. Sein Zittern verstärkte sich. »Ich war dort, Mogens«, flüsterte er. »Das Tor. Es ist offen.«

Mogens riss ungläubig die Augen auf. »Das Tor?«, wiederholte er. »Du warst dort? Du hast sie gesehen?«

Graves nickte. Der Ausdruck von Entsetzen in seinen Augen nahm noch zu. »Es ist alles voller Wasser«, flüsterte er. »Da sind... Städte. Gewaltige Dinge. Ich habe sie gesehen, Mogens.«

»Die alten Götter der Ägypter?«

Die abgehackte Bewegung, mit der Graves antwortete, war unmöglich zu deuten. Sie konnte ein Nicken sein, ebenso gut aber auch ein Kopfschütteln oder etwas gänzlich anderes. »Die Bewohner des Hundssterns«, flüsterte er. »Sie sind keine Götter, Mogens. Sie sind...« Er schluckte schwer, löste die linke Hand vom Lauf seines Gewehrs und fuhr sich nervös damit über den Mund.

»Was?«, fragte Mogens erregt. »Was sind sie, Jonathan?«

Das Flackern in Graves' Augen nahm für einen Moment noch zu, und für eine noch winzigere Zeitspanne war Mogens fast sicher, dass er den schmalen Grat zum Wahnsinn überschritten hatte. Dann aber geschah etwas Unerwartetes: Graves' Blick klärte sich. Wahnsinn und Terror waren von einem Sekundenbruchteil auf den anderen aus seinen Augen verschwunden, und die alte, geringschätzige Überheblichkeit kehrte wieder zurück.

»Nichts«, sagte er. »Wir werden später darüber reden, in der gebührenden Ruhe. Jetzt halte ich es allerdings eher für angezeigt, von hier zu verschwinden.« Er fügte nicht hinzu: Solange wir es noch können, aber irgendwie hörte Mogens es trotzdem.

»Sie sind erwacht, nicht wahr?«, fragte er leise.

»Die Ghoule?« Graves schien einen Herzschlag lang über diese Frage nachdenken zu müssen, schüttelte aber dann den Kopf. »Nein. Nur einige wenige, die uns bis hierher verfolgt haben. Aber ich fürchte, uns bleibt trotzdem nicht mehr sehr viel Zeit.«

Er löste nun auch die andere Hand vom Gewehr, um die Taschenuhr unter seiner Jacke hervorzuziehen und mit einer fließenden Bewegung des Daumens den Deckel aufzuklappen. »Wenn meine Berechnungen richtig sind«, sagte er, nachdem er einen Blick auf das Ziffernblatt geworfen und den Deckel wieder zugeklappt hatte, »weniger als eine Stunde.«

»Eine Stunde?«, wiederholte Mogens zögernd. »Was geschieht dann?«

»Das Tor hat bereits begonnen, sich zu schließen«, antwortete Graves. »Ich fürchte, spätestens dann werden sie alle aus ihrer Starre...« Er brach mitten im Satz ab. Seine Augenbrauen rutschten ein Stück nach oben und verschwanden unter den nassen Haarsträhnen, als er die schmale, dunkelhaarige Gestalt neben Miss Preussler gewahrte. Die beiden Frauen waren in einigen Schritten Abstand stehen geblieben. Miss Preussler musterte Graves auf ihre schon gewohnte missbilligende Art, an der auch das, was sie zwischenzeitlich erlebt hatten, nichts geändert zu haben schien, während der Ausdruck in den Augen des Mädchens zwischen Neugier und mühsam niedergehaltener Furcht schwankte.

»Ich sehe, du hattest Erfolg«, fuhr Graves in verändertem Ton fort. »Wenn auch nicht allzu viel.«

Kein Zweifel, dachte Mogens, er war wieder fast ganz der Alte. »Wir konnten nichts für die anderen tun«, antwortete er. »Wir waren unten, in einer Art Labyrinth. Das Beben hat es fast vollkommen zum Einsturz gebracht. Wir sind mit Mühe und Not noch herausgekommen.«

»Ja, das habe ich befürchtet«, sagte Graves. »Offensichtlich führt das Öffnen und Schließen des Tores zu gewissen Nebenwirkungen. Was auch nicht weiter erstaunlich ist, wenn man bedenkt, welch gewaltige Kräfte vonnöten sein müssen, um...« Er brach abermals ab. Seine Augen wurden schmal. »Was trägt sie da?«, murmelte er.

Ohne Mogens' Antwort abzuwarten, stand er auf und ging mit raschen Schritten auf das Mädchen zu. Sie reagierte ganz genau so, wie Mogens erwartet hatte: Mit einem hastigen Schritt sprang sie zurück, presste das Bündel nunmehr mit beiden Armen und noch fester an sich und suchte schließlich hinter Miss Preusslers Rücken Schutz. Graves runzelte zwar verwundert die Stirn, hielt aber dennoch in unverändertem Tempo auf sie zu und blieb erst stehen, als Miss Preussler eine unmissverständliche Geste machte und ihm den Weg vertrat.

»Das sollten Sie lieber lassen, Doktor Graves«, sagte sie kühl.

»Wieso?«, schnappte Graves.

»Weil dieses arme Kind vollkommen verstört und verängstigt ist«, antwortete Miss Preussler. »Und sie scheint mir Angst vor Männern zu haben.«

»Ach?«, machte Graves. Er trat dennoch einen weiteren Schritt auf sie zu und streckte fordernd die Hand aus. »Zeig mir, was du da hast!«

»Was sind Sie nur für ein unmöglicher Mensch, Doktor Graves«, sagte Miss Preussler kopfschüttelnd. »Können Sie sich denn gar nicht vorstellen, was dieses arme Kind durchgemacht hat?« Sie funkelte Graves herausfordernd an und fügte, als sie keine Antwort bekam, hinzu: »Aber vermutlich ist Ihnen das egal.«

»Was sie uns zu erzählen hat, könnte lebenswichtig sein«, antwortete Graves. »Auch für Sie, Miss Preussler.«

»Wenn das stimmt, haben wir ein Problem«, mischte sich Mogens ein. Graves drehte sich fast widerwillig zu ihm herum und zog fragend die Augenbrauen zusammen, und Mogens musste sich beherrschen, um nicht zu schadenfroh zu klingen, als er fortfuhr: »Sie kann nämlich nicht reden.«

»Wie praktisch«, sagte Graves spöttisch. »Und was trägt sie da bei sich?« Er hob erneut die Hand, und das Mädchen verkroch sich noch weiter hinter Miss Preusslers Rücken.

»Lassen Sie es mich noch einmal versuchen«, sagte Miss Preussler hastig. »Vielleicht bringe ich sie zum Reden. Allerdings nur, wenn Sie sie nicht vorher noch weiter einschüchtern, Sie grober Klotz.«

Ihre Worte schienen Graves eher zu amüsieren. »Fünf Minuten«, sagte er. »Allerhöchstens. Tom, Mogens - kommt mit.«