Er winkte den beiden Angesprochenen zu und wandte sich zugleich mit einem Ruck zur Tür, machte aber noch einen kleinen Umweg, um das Gewehr zu holen, das er gegen die Wand gelehnt hatte. Mogens fiel ein leichter Schießpulvergeruch auf, als er an ihm vorüberging, und er musste wieder an den einzelnen Schuss denken, den sie gehört hatten, kurz bevor Tom sie verließ. Was immer sich auch in der Pyramide zugetragen hatte - die erste Begegnung zwischen einem modernen Menschen und den Bewohnern des Sirius schien nicht unbedingt friedlich verlaufen zu sein.
Er wartete, bis sie sich außer Miss Preusslers Hörweite befanden, aber dann konnte er seine Ungeduld nicht länger beherrschen. »Wollt ihr mir nicht erzählen, was euch widerfahren ist?«, fragte er.
»Vielleicht später«, antwortete Graves. Er machte eine unwillige Geste, als Mogens widersprechen wollte. »Du erwartest nicht, dass ich dir von der vielleicht wichtigsten Begebenheit der Menschheitsgeschichte zwischen Tür und Angel erzähle«, sagte er.
Mogens erwartete eigentlich nicht, dass Graves ihm überhaupt etwas erzählen würde - jedenfalls nichts, von dem er nicht mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen konnte, dass er es ohnehin schon wusste. Dennoch fuhr er fort: »Ich wollte nur meiner Erleichterung Ausdruck verleihen, dich lebend und unversehrt wiederzusehen. Miss Preussler und ich waren ganz krank vor Sorge um dich.«
»Ja, ich bin sicher, es hat euch das Herz gebrochen«, versetzte Graves. Er schüttelte den Kopf. »Ich kann dich verstehen, Mogens. Bei Gott, ich an deiner Stelle würde wahrscheinlich versuchen, die Wahrheit mit Gewalt aus mir herauszuprügeln! Aber ich muss dich noch um ein wenig Geduld bitten. Ich muss... über einiges nachdenken. Später wirst du alles erfahren, darauf gebe ich dir mein Wort.«
»Und wenn wir es nicht hier heraus schaffen?«, fragte Mogens.
»Wenn wir nicht binnen einer Stunde hier heraus sind«, antwortete Graves ruhig, »dann werden wir alle mit Gewissheit sterben. Und dann spielt es auch keine Rolle mehr, oder?«
Mogens sparte es sich, ihn darauf hinzuweisen, dass es dann auch keine Rolle spielte, wenn er ihm vorher erzählte, was er herausgefunden hatte. Graves wollte nicht über seine Erlebnisse reden, und diese Weigerung hatte nichts mit dem Zeitpunkt zu tun. Vielleicht war es einfach zu entsetzlich gewesen. Auch wenn er wieder zu seiner gewohnten Arroganz zurückgefunden hatte, so waren ihm die überstandenen Strapazen doch deutlich anzusehen.
Sie hatten den Ausgang fast erreicht. Tom, der die Führung übernommen hatte, nahm das Gewehr von der Schulter und gebot ihnen mit der anderen Hand, zurückzubleiben. »Ich seh mich draußen um«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Ich glaub zwar, dass ich sie alle erwischt hab, aber man kann nie wissen. Warten Sie hier.«
»Sei vorsichtig«, sagte Graves. »Und beeil dich.«
Tom lud sein Gewehr durch, bevor er das Gebäude verließ, was seiner zur Schau getragenen Zuversicht etliches von ihrer Glaubwürdigkeit nahm. Schon nach wenigen Schritten war er fast aus ihrem Gesichtsfeld verschwunden, aber das lag diesmal nicht an der sonderbaren perspektivischen Verzerrung, die in dieser Stadt vorherrschte; vielmehr bewegte sich Tom, kaum dass er die vermeintliche Mastaba verlassen hatte, mit einer Eleganz und Schnelligkeit, die jedem Indianerscout zur Ehre gereicht hätte. So schnell, dass das Auge ihm kaum noch zu folgen vermochte, huschte er von Deckung zu Deckung und war schließlich ganz verschwunden.
»Ein guter Junge«, sagte Graves. »Manchmal von etwas schlichtem Gemüt, aber durchaus brauchbar. Ohne ihn wäre ich nicht mehr am Leben.«
»Ich auch nicht«, sagte Mogens. Er verbesserte sich. »Wir auch nicht.«
»Die beiden Ghoule, die dir an der Tür aufgelauert haben«, vermutete Graves.
Mogens nickte ganz automatisch. Erst dann fiel ihm auf, was Graves überhaupt gesagt hatte. »Woher weißt du, dass es zwei waren?«, fragte er. Graves antwortete nicht, und Mogens fuhr nach einer Sekunde und mit zornbebender Stimme fort: »Du hast sie gesehen. Du hast gesehen, dass sie uns hinter der Tür aufgelauert hatten, aber du hast es nicht für nötig befunden, uns zu Hilfe zu kommen.«
»Tom ist ein ausgezeichneter Schütze, wie du vermutlich selbst bestätigen kannst«, antwortete Graves kühl. »Und ich war in diesem Moment ein wenig... indisponiert.« Er drehe sich auf dem Absatz herum. »Lass uns nachsehen, wie weit Miss Preussler mit ihrer Seelenmassage ist.«
»Sollten wir nicht besser auf Tom warten?«, fragte Mogens.
»Wozu?« Graves ging einfach weiter. »Tom kann schon auf sich aufpassen. Sollte er auf eine Gefahr stoßen, mit der er nicht fertig wird, dann können wir ihm wahrscheinlich auch nicht mehr helfen.«
»Ein Grund mehr, es zu versuchen.«
»Blödsinn«, fauchte Graves. »Wir sind Wissenschaftler, Mogens, keine Soldaten! Was ist los mit dir? Hast du plötzlich dein Abenteurerblut entdeckt?«
»Wenn du wirklich so denkst, wozu hast du dann ein Gewehr?«, fragte Mogens.
»Weil es sich gut macht«, antwortete Graves, »vor allem, wenn Frauen dabei sind. Habe ich dir vergessen zu erzählen, dass ich unstillbar in Miss Preussler verliebt bin?«
»Das trifft sich gut«, sagte Mogens. »Dasselbe hat mir Miss Preussler über ihre Gefühle für dich gestanden. Sie wusste nur nicht, wie sie es dir klar machen sollte.« Er sah Graves so treuherzig an, wie er konnte. »Ich bin durchaus bereit, den Postillon d'Amour zu spielen, wenn du es wünschst.«
»Aus alter Freundschaft, nehme ich an«, vermutete Graves.
Mogens lachte zwar leise, führte das sinnlose Geplänkel aber nicht weiter. Sie hatten die Halle auch bereits wieder erreicht. Miss Preussler redete noch immer mit beruhigenden Gesten auf das Mädchen ein. Der angstvolle Ausdruck auf ihrem Gesicht schien ein wenig nachgelassen zu haben. Dennoch hob Miss Preussler rasch die Hand, als sie ihre Schritte hörte, und auch Mogens streckte rasch den Arm aus und hielt Graves zurück.
»Hör besser auf sie«, sagte er. »Ich bin froh, dass das Mädchen wenigstens zu ihr ein wenig Zutrauen gefasst hat. Sie scheint panische Angst vor Fremden zu haben.«
Graves funkelte ihn zwar ärgerlich an und riss seinen Arm los, aber er blieb dennoch stehen und geduldete sich, bis Miss Preussler sich endlich zu ihnen herumdrehte und nickte.
»Kommen Sie näher«, sagte sie. »Aber nicht zu nahe. Und erschrecken Sie sie nicht.«
Graves zog eine Grimasse, und auch Mogens fand Miss Preusslers Sorge mittlerweile eindeutig übertrieben. Graves bewegte sich jedoch tatsächlich sehr vorsichtig, und er blieb auch sofort wieder stehen, als Miss Preussler ihm mit einem missbilligenden Stirnrunzeln zu verstehen gab, dass das jetzt genug war. Er war jetzt auch nahe genug, um zu erkennen, was sich in dem Bündel befand.
»Ist das... ein Kind?«, fragte er zögernd.
»Wenn Sie es so nennen wollen«, antwortete Miss Preussler und schlug das Tuch beiseite, das das Gesicht des vermeintlichen Babys bedeckte.
Graves' Reaktion überraschte Mogens. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Graves in Hysterie verfallen würde, doch Graves reagierte praktisch überhaupt nicht. Er wirkte nicht einmal überrascht, sondern allenfalls interessiert.
»Ich würde es auf jeden Fall als totes Kind bezeichnen«, sagte er. »Wieso trägt sie es bei sich?«
»Warum versuchst du nicht, es ihr wegzunehmen, Jonathan«, fragte Mogens. Er blickte auf seine Hände hinab. Die Kratzer hatten aufgehört zu bluten, brannten aber immer noch wie Feuer. Sobald sie wieder oben im Lager waren, dachte er, wurde er Miss Preussler bitten müssen, die Wunden gründlich zu desinfizieren. Weiß der Teufel, wie viele Krankheitserreger unter den schmutzigen Nägeln des Mädchens waren. Einen Augenblick später musste er über seine eigenen Gedanken lächeln. Wenn er sich richtig konzentrierte, dann fielen ihm vielleicht zwei oder drei Punkte ein, über die es sich eher Sorgen zu machen lohnte...