»Was kann man denn gegen ihn sagen?«, erkundigte sich Mogens.
Statt zu antworten, grinste Mercer nur, beugte sich ächzend vor und drang gebückt in den Tunnel ein. Mogens musste ein Grinsen unterdrücken, als er den unbeholfenen Watschelgang sah, zu dem die niedrige Decke und seine eigene Körperfülle Mercer zwangen, und er ließ ihm einen angemessenen Vorsprung, bevor er ihm folgte; schon aus ästhetischen Gründen. Mercers gewaltiges Hinterteil füllte den Gang vor ihm aus wie ein heruntergefallener Vollmond und sein gekrümmter Rücken scharrte unter der Decke entlang, sodass der Doktor unentwegt ächzte und schnaubte wie eine altersschwache Lokomotive, die sich eine viel zu große Steigung hinaufquälte. Dann und wann lösten sich Holzsplitter oder auch kleine Steinchen von der nur zum Teil verkleideten Decke, sodass es Mogens schon aus diesem Grund angeraten schien, einen gewissen Sicherheitsabstand einzuhalten - er trug nicht nur sein einziges Paar Schuhe, sondern auch seinen besten Anzug.
Gottlob war der Tunnel nicht besonders lang. Nach kaum drei Dutzend Schritten richtete sich Mercer schnaufend vor ihm wieder auf. Dann trat auch Mogens aus dem Tunnel heraus und in einen unerwartet großen, von einer Anzahl elektrischer Glühbirnen fast taghell erleuchteten Raum.
Im ersten Moment blinzelte er, geblendet durch das ungewohnt grelle Licht, und er erkannte nur Schemen. Immerhin identifizierte er zwei oder drei weitere Schemen; vermutlich die anderen Kollegen, von denen Mercer gesprochen hatte.
»Kommen Sie, Professor!« Mercer wedelte aufgeregt mit beiden Händen. »Ich stelle Ihnen den Rest der Bande vor!«
Mogens blinzelte noch einmal, um seinen Augen Gelegenheit zu geben, sich an die fast schattenlose Helligkeit zu gewöhnen, die das elektrische Licht verbreitete, dann richtete er sich vollends auf und fuhr sich glättend mit beiden Händen über den zerknitterten Anzug. Nicht, dass da noch viel zu retten gewesen wäre; aber dass er gezwungen war, in einem so schmuddeligen Loch herumzukriechen bedeutete ja nicht, dass er auch seine Würde aufgeben musste.
Mercer war an einen langen, mit Gerätschaften, Büchern und Fundstücken übersäten Holztisch getreten, dem Mogens nur einen flüchtigen Blick schenkte, bevor er sich den beiden Personen zuwandte, die dahinter standen und ihm auf völlig unterschiedliche Weise entgegenblickten. Es handelte sich um einen schlanken, fast asketisch wirkenden Mann ungefähr in Mogens' Alter und eine deutlich ältere, grauhaarige Frau mit verhärmtem Gesicht, die ihn mit einem Ausdruck musterte, den Mogens als feindselig eingestuft hätte, wäre ihm auch nur irgendein Grund dafür eingefallen.
»Darf ich vorstellen?« Mercer deutete händewedelnd auf den asketischen Mann. »Doktor Henry McClure.«
McClure nickte kaum merklich, wobei sich seine Lippen zu einem ebenso fast unmerklichen, nichtsdestotrotz aber ehrlich wirkenden Lächeln verzogen, das Mogens mit einem angedeuteten Kopfnicken beantwortete.
»Doktor Suzan Hyams«, erklärte Mercer mit einer entsprechenden Geste auf die Grauhaarige. Ihre Reaktion entsprach gänzlich den Blicken, mit denen sie Mogens maß: Sie verzog das Gesicht zu einer Miene, deren Bedeutung sich Mogens wohl aussuchen konnte, die aber keinesfalls freundlich war, und sparte sich sogar das angedeutete Kopfnicken, zu dem sich McClure aufgerafft hatte.
Mogens schenkte ihr trotzdem sein freundlichstes Lächeln, bevor er sich mit einem fragenden Blick an Mercer wandte. »Graves...?«
»Der Doktor lässt sich entschuldigen«, sagte McClure fast hastig. »Er wird später zu uns stoßen. Suzan und ich können Ihnen inzwischen schon einmal alles zeigen.«
Mogens war enttäuscht. Es war nicht so, dass er sich auf das Wiedersehen mit Graves gefreut hätte - aber er wollte es hinter sich bringen; schon weil er ahnte, dass auch diese neuerliche Verzögerung nur Teil von Graves' Plan war, ihm seine Machtlosigkeit vor Augen zu führen.
»Herumführen?«, fragte er. Er sah sich unbehaglich um. »Für den Anfang würde es mir schon reichen, wenn mir jemand erklären würde, worum es hier eigentlich geht.«
»Genau darum habe ich vorgeschlagen, Sie herumzuführen, Professor«, sagte Mercer. »Das macht es einfacher. Und es geht schneller. Glauben Sie mir.«
Mogens ließ seinen Blick noch einmal über die Gesichter McClures und Hyams schweifen, dann aber hob er nur die Schultern und wandte seine Konzentration dem ausladenden Holztisch zu, hinter dem die beiden Aufstellung genommen hatten. Es war ein wirklich gewaltiger Tisch, dessen bloße Abmessungen sich Mogens verwundert fragen ließ, wie Mercer und seine Kollegen dieses Monstrum hier herunterbekommen hatten. Die Platte war annähernd einen Zoll stark und maß sicher drei auf sieben Fuß, wenn nicht mehr, dennoch bog sie sich nahezu unter der Last der darauf gestapelten Bücher, Werkzeuge, wissenschaftlicher Instrumente und Fundstücke. Trotz des schon fast unangenehm hellen Lichtes konnte Mogens nicht auf den ersten Blick erkennen, worum es sich dabei handelte, denn die meisten waren mit Tüchern abgedeckt oder so herumgedreht, dass nur die Rückseiten großer, wie es ihm vorkam teilweise eher unsachgemäß aus dem Fels gebrochener Steinplatten zu erkennen waren. Mogens streckte die Hand aus, um nach einer der Platten zu greifen, aber Mercer schüttelte rasch den Kopf und streckte sogar die Hand aus, wie um ihn zurückzuhalten.
»Verderben Sie uns doch nicht den Spaß, lieber Professor«, sagte er lächelnd. »Wir haben hier so selten Gelegenheit, mit unseren Entdeckungen anzugeben, dass wir diesen Moment eigentlich aus vollen Zügen genießen wollten.«
Im ersten Moment reagierte Mogens nahezu verärgert, aber dann gewahrte er das Glitzern in Mercers Augen und musste fast gegen seinen Willen lächeln. Für einen Mann von wissenschaftlicher Reputation, der Mercer zweifellos war, ließ er Mogens' Meinung nach die angemessene Ernsthaftigkeit vermissen, aber durch sein unbestritten albernes Gehabe schimmerte doch zugleich eine Herzlichkeit, die es Mogens unmöglich machte, ihm wirklich böse zu sein.
»Also gut«, sagte er. »Worum geht es?«
McClure trat einen Schritt vom Tisch zurück und drehte sich gleichzeitig halb herum, und auch Mercer machte eine seiner typischen wedelnden Handbewegungen in dieselbe Richtung. Als Mogens' Blick der Geste folgte, gewahrte er einen weiteren, zu seiner Erleichterung allerdings sehr viel höheren Stollen, der auf der anderen Seite der Höhle tiefer in die Erde hineinführte. Der Zugang war mit einer grob aus Latten zusammengefügten Tür verschlossen, die allerdings einen alles andere als stabilen Eindruck erweckte. Selbst Mogens, der von eher schwächlicher Konstitution war, traute sich zu, sie ohne besondere Mühe aufzubrechen.
Mercer und McClure eilten voraus, während sich Hyams nicht von ihrem Platz rührte, sondern ihnen nur mit finsterem Gesicht nachblickte. »Begleiten Sie uns nicht, meine Liebe?«, fragte Mercer.
»Ich habe zu tun«, antwortete Hyams knapp und mit einer erklärenden Geste auf den überladenen Tisch. »Doktor Graves wollte die Übersetzung bis heute Abend fertig haben.«
»Er wird Ihnen gewiss nicht den Kopf ab...«, begann Mercer, sprach den Satz aber dann nicht zu Ende, sondern beließ es bei einem angedeuteten Achselzucken und einem leisen Seufzen, bevor er sich wieder umwandte und seinen Weg fortsetzte. Schweigend öffnete er die Lattentür - Mogens fiel auf, dass sie nicht einmal ein Schloss hatte -, trat hindurch und wartete, bis Mogens und McClure ihm gefolgt waren.
»Nehmen Sie es ihr nicht übel«, sagte McClure. »Suzan ist im Grunde ganz umgänglich. Sie macht im Moment nur eine... schwierige Zeit durch.«
Mogens hatte das sichere Gefühl, dass er eigentlich etwas ganz anderes hatte sagen wollen, aber er zuckte nur mit den Schultern und wandte sich um, um seine Umgebung in genaueren Augenschein zu nehmen. Auch dieser Stollen wurde elektrisch beleuchtet; wenn auch nicht annähernd so grell wie die große Höhle, durch die sie gerade gekommen waren.