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»Graves!«, schrie er verzweifelt. »Hilf uns!«

Er rechnete auch diesmal nicht wirklich damit, dass Graves irgendetwas tun würde, um ihnen zu helfen; oder auch nur konnte. In der nächsten Sekunde jedoch tauchte Graves breitbeinig hinter ihnen auf. Er hielt eine der beiden Stangen in den Händen. Sie war zu lang, um damit zuschlagen zu können, doch das versuchte er auch gar nicht. Stattdessen stieß er dem Ghoul das stumpfe Ende mit solcher Gewalt ins Gesicht, dass mehrere seiner Reißzähne abbrachen und die grässliche Kreatur ein gepeinigtes Heulen ausstieß.

Sie ließ das Bein des Mädchens trotzdem nicht los.

Ganz im Gegenteil gruben sich ihre Krallen nur noch tiefer in ihr Fleisch, sodass das Bein heftig zu bluten begann. Graves fluchte, stieß noch einmal zu und zielte diesmal auf die Kehle des Ungeheuers. Er traf nicht so gut, wie er es vermutlich beabsichtigt hatte - seine verletzte Hand musste ihn stark behindern, ganz abgesehen von den höllischen Schmerzen, die er zweifellos litt -, doch der Stoß zeitigte dennoch Wirkung. Das Monster ließ endlich das Bein seines Opfers los, warf beide Arme in die Luft und tauchte mit einem gurgelnden Laut unter, und Graves stieß mit seiner Stange nach ihm, um es noch weiter unter Wasser zu drücken und womöglich zu ertränken.

»Schnell jetzt«, schrie er. »Zieh! Ich weiß nicht, wie lange ich ihn halten kann!«

Mogens warf sich mit verzweifelter Kraft zurück, und gemeinsam mit Miss Preussler gelang es ihm tatsächlich, die junge Frau ein gutes Stück weit über die Bordwand zu ziehen. Aber nicht vollständig. Nicht einmal so weit, wie er erwartet hätte. Obwohl die Bestie ihr Bein losgelassen hatte, schien irgendetwas sie noch immer festzuhalten.

Die Stange in Graves' Händen begann immer heftiger zu zucken und hin und her zu peitschen. Es war ihm gelungen, den Ghoul tatsächlich bis auf den Grund des Kanals hinab zu drücken und dort festzuhalten, aber die Bestie wehrte sich mit verzweifelter Kraft. Graves' Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, aber es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis er die Stange loslassen musste, oder sie ihm einfach aus den Händen gerissen wurde.

Mogens verdoppelte seine Anstrengungen noch einmal, aber es fiel ihm immer schwerer, das Mädchen zu halten. Keuchend beugte er sich vor und sah endlich, was das Mädchen festhielt: Seine Beine hatten sich in dem wehenden Tang verfangen, der sich dünn wie Haar, aber in gewaltiger Menge um seine Knöchel gewickelt hatte.

Mogens warf sich mit einer entschlossenen Bewegung vor, griff mit beiden Händen nach dem glitzernden Gespinst und versuchte es zu zerreißen.

Es blieb bei dem bloßen Versuch.

Mogens schrie vor Schmerz und Überraschung auf, prallte zurück und sank unbeholfen neben Miss Preussler zu Boden. Seine Hände brannten, als hätte er sie in Säure getaucht, und die Haut begann sich dort, wo er den vermeintlichen Tang berührt hatte, unverzüglich zu röten. Das Mädchen schrie nicht vor Angst, sondern vor Schmerzen.

»Lassen Sie das!«, fauchte Graves. Er versetzte dem untergetauchten Ghoul noch einen abschließenden, harten Stoß, warf dann die Stange neben sich ins Boot und zog mit fliegenden Fingern ein Taschenmesser aus der Jacke. Er konnte nur die rechte Hand und die Zähne zu Hilfe nehmen, um die Klinge herauszuklappen, sodass es ihm um ein Haar ins Wasser gefallen wäre, aber er erlangte im letzten Moment die Kontrolle über seine Bewegungen zurück und beugte sich weit vor, um die Beine des Mädchens zu erreichen. Mogens starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. Hatte Graves den Verstand verloren? Die Klinge war kaum so lang wie sein kleiner Finger und sah alles andere als scharf aus. Er würde eine Stunde brauchen, um die ineinander gedrehten Haarbüschel damit durchzusäbeln!

Hinter ihnen begann das Wasser zu brodeln, und Mogens hätte um ein Haar aufgeschrien, als er den Ghoul inmitten einer schäumenden Gischtexplosion aus spritzendem Weiß und schmierigem Rosa durch die Wasseroberfläche brechen sah.

Das Wesen bot einen grauenerregenden Anblick. Es war über und über mit dünnen, fahlweißen Fäden bedeckt, die seine Gliedmaßen umschlangen, seine Schnauze und Krallen umwickelten und sich sogar, winzigen gierigen Ärmchen gleich, in seine leere Augenhöhle vorgetastet hatten. Was von seiner Haut und insbesondere seinem Gesicht unter der wimmelnden Masse überhaupt noch zu sehen war, glich einer einzigen blutenden Wunde, als hätten die peitschenden Stränge damit begonnen, seine Haut aufzulösen.

Mogens geriet in Panik. Obgleich ihm der brennende Schmerz in seinen Händen klar machte, dass sein Verdacht vielleicht nicht so absurd war, wie ihn sein Verstand glauben machen wollte, warf er sich abermals vor, grub die Hände in das zerfetzte Kleid der jungen Frau und zog und riss mit aller Kraft. Graves hatte zu seiner Überraschung bereits einen Gutteil der schleimigen Fäden durchgeschnitten. So harmlos die winzige Klinge auch aussehen mochte, zerteilte sie die hauchdünnen tastenden Fühler doch fast mühelos, und mit jedem Strang, den Graves abschnitt, fiel es ihnen leichter, die junge Frau an Bord zu ziehen. Schließlich zerrissen die letzten Fäden mit einem peitschenden Knall, und das Mädchen schoss regelrecht über die niedrige Bordwand und begrub Miss Preussler und ihn halbwegs unter sich.

Graves ließ das Messer fallen, sank neben ihnen auf die Knie und begann mit bloßen Händen an den abgeschnittenen Strängen und Ärmchen zu reißen, die sich bis weit über die Knie hinauf um beide Beine des Mädchens gewickelt hatten. Die Haut, die darunter zum Vorschein kam, war gerötet und blutete an zahllosen Stellen, und der Würgegriff der so haarfein erscheinenden Fäden war noch im Tode so unbarmherzig, dass Graves all seine Kraft aufwenden musste, um sie abzureißen. Mogens stemmte sich ungeschickt hoch und streckte die Arme aus, um ihm zu helfen, aber Graves stieß ihn so derb zurück, dass er abermals das Gleichgewicht verlor und hart mit Schultern und Hinterkopf gegen den Sarkophag prallte.

»Bist du verrückt?«, keuchte er. »Sorg lieber dafür, dass wir hier wegkommen!«

Mogens blinzelte die grellen Lichtpunkte weg, die vor seinen Augen tanzten. Der Schmerz in seinem Hinterkopf war so schlimm, dass ihm übel wurde, aber er kämpfte ihn nieder und stemmte sich mit zusammengebissenen Zähnen hoch. Miss Preusslers Stange war ins Wasser gefallen und schwamm unerreichbare drei oder vier Meter hinter ihnen; aber selbst wenn sie näher gewesen wäre, hätte Mogens es nicht gewagt, danach zu greifen und die Hände ins Wasser zu tauchen. Millionen glitzernder Fäden bildeten einen lebenden Teppich überall rings um sie herum auf der Wasseroberfläche. Der Ghoul war verschwunden, aber dort, wo er untergegangen war, brodelte und schäumte das Wasser noch immer.