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In Abständen von vielleicht fünfzehn oder zwanzig Schritten hingen nackte Glühbirnen unter der Decke, deren gelblicher Schein einen geradezu unglaublichen Anblick enthüllte.

»Aber das ist doch...« Mogens ächzte, trat mit zwei raschen Schritten an Mercer und McClure vorbei an die Wand und ließ seinen Blick ungläubig über den grauen Fels gleiten. Was er sah, war... unmöglich!

»Ich wusste, dass es Ihnen gefällt«, sagte Mercer fröhlich.

Mogens hörte seine Worte gar nicht. Er starrte die Wand vor sich an, das Unglaubliche, das darauf zu sehen war, hob den Arm und ließ die Hand dann wieder sinken, als hätte er Angst, das Bild könne wie eine Seifenblase zerplatzen, wenn er es berührte. Verwirrt drehte er den Kopf und starrte abwechselnd Mercer und McClure an.

»Das... das ist ein Scherz, oder?«, murmelte er.

»Keineswegs«, antwortete Mercer. Er strahlte wie ein Honigkuchenpferd, und auch McClure lächelte mit unübersehbarem Stolz. Und natürlich war es kein Scherz. Ganz davon abgesehen, dass nicht einmal der infantilste Witzbold der Welt einen solchen Aufwand betrieben hätte, nur um sich einen Jux zu machen, hätte es niemand gekonnt. Was er sah, war echt.

Ebenso echt wie unmöglich. Die Wand vor ihm war übersät mit Bildern. Etliche waren gemalt, mit kräftigen, plakativen Farben, denen das blasse elektrische Licht den Großteil der Leuchtkraft nahm, die sie zweifellos hatten, die meisten aber waren mit tiefen Linien in den Stein hineingemeißelt, Bilder, die vor einer Ewigkeit und für die Ewigkeit geschaffen worden waren.

Da war eine riesige, hundeköpfige Gestalt mit nachtschwarzer Haut und glühenden Augen, daneben die katzenköpfige Bastet und Isis, ein Stück weiter der krokodilsgesichtige Sobek, Seth, Aton und Amun-Ra... auf dem vielleicht zwanzig Schritte messenden Teilstück der Wand, das Mogens überblicken konnte, tummelte sich ein ganzer Reigen ägyptischer Gottheiten und Pharaonen. Manche der abgebildeten Gestalten waren Mogens gänzlich unbekannt, viele wirkten auf sonderbare Weise... falsch, als wären sie nach demselben Vorbild erschaffen, aber von einem vollkommen anderen Künstler, der aus einer anderen Schule mit gänzlich verschiedener Tradition stammte, viele aber waren Mogens so vertraut, dass ihm ein eisiger Schauer nach dem anderen über den Rücken lief. Erneut streckte er die Hand aus, um das Relief zu berühren, und wieder wagte er es nicht und zog die Finger unverrichteter Dinge zurück.

»Nun?«, griente Mercer. »Ist die Überraschung gelungen?«

Mogens schwieg. Er konnte nichts sagen. Fassungslos starrte er abwechselnd Mercer, die Wandreliefs und -malereien, McClure und wieder die unglaublichen Bilder vor sich an.

»Das... das ist...«

»... noch nicht einmal das Beste«, fiel ihm Mercer ins Wort. Er begann so aufgeregt mit beiden Händen in der Luft herumzufuchteln, als versuchte er Fliegen zu verscheuchen. »Kommen Sie, mein Lieber.« Er grabschte nach Mogens' Arm und zog ihn einfach mit sich.

Mogens war viel zu perplex, um sich über Mercers plumpe Vertraulichkeit zu ärgern. Widerspruchslos folgte er Mercer, der ihn wie ein Kind an der Hand ergriffen hatte und ihn einfach hinter sich her zerrte. Dabei schrie alles in ihm danach, sich loszureißen, um wieder an die Wand heranzutreten und das unglaubliche Bild anzustarren, das Unmögliche, das sich dennoch wahrhaftig und real vor ihm erhob, eingemeißelt in Jahrmillionen alten Stein und so fassbar, wie etwas nur sein konnte. Er musste träumen. Mogens hatte während seiner Studienzeit - und auch in den Jahren danach - mehr als eine Unwahrscheinlichkeit erlebt, und doch war dies hier etwas vollkommen anderes. Es war etwas, das nicht sein konnte, weil es nicht sein durfte.

Aber es war.

Der Tunnel war sicherlich hundert Schritte lang, wenn nicht mehr, und führte dabei in sanftem Gefälle tiefer in die Erde hinein. Da es nur wenige Glühbirnen gab, wechselten sich Bereiche ausreichender Helligkeit mit solchen schattenerfüllten Halbdunkels ab, in denen die gemeißelten und gemalten Figuren zu unheimlichem Eigenleben zu erwachen schienen.

Mogens glaubte ein sonderbares, helles Flüstern und Wispern zu hören, das allmählich an Lautstärke zunahm, je tiefer sie in die Erde eindrangen, zweifellos aber nur seiner eigenen Einbildung entstammte. Seine Fantasie schlug Kapriolen, aber das war nun wirklich kein Wunder.

Der Tunnel endete vor einer weiteren Tür, die jedoch diesmal aus massiven Eisenstäben bestand und ein wuchtiges, sichtbar nagelneues Vorhängeschloss besaß, das ganz den Eindruck vermittelte, selbst einer Attacke mit einem Schweißbrenner gelassen standzuhalten. Es war jedoch nicht eingerastet. Als Mercer die Hand um einen der fast daumendicken Eisenstäbe schloss, schwang das Gitter mit einem leisen Quietschen auf, und sie betraten den dahinter liegenden Raum.

Und mit ihm vollends eine andere Zeit.

Der Raum war quadratisch, maß mindestens sechzig Fuß im Geviert und war mehr als fünfzehn Fuß hoch. Auch seine Wände waren mit prachtvollen Bildern und Reliefarbeiten übersät, die Motive aus der altägyptischen Götter- und Pharaonenwelt zeigten, denen Mogens aber kaum mehr als einen flüchtigen Blick schenkte.

Was er draußen als Wandmalerei und flaches Relief gesehen hatte, das stand nun dreidimensional und überlebensgroß vor ihm. Rechts und links des Einganges, unter dem sie stehen geblieben waren, erhoben sich zwei mehr als mannshohe Horus-Statuen aus poliertem Alabaster, deren Schnäbel vergoldet waren und deren Augen aus faustgroßen Rubinen bestanden, die vom Licht der elektrischen Glühlampen auf unheimliche Weise zum Leben erweckt zu werden schienen. Direkt vor Mogens, dennoch die gesamte Mitte des Raumes beherrschend, erhob sich eine gewaltige, über und über mit Gold und kunstvollen Malereien übersäte Totenbarke aus glänzendem schwarzem Holz, die von jeweils zwei sieben Fuß großen Anubis-Statuen an Bug und Heck vorwärts gestakt wurde - des Herrn und Wächters der Totenwelt, mit Menschenleib und Schakalskopf, mit Juwelenaugen, die von innen heraus zu glühen schienen. Die Barke stand auf einem riesigen Quader, der aus purem Gold zu bestehen schien. Flankiert wurde sie von zwei lebensgroßen Streitwagen samt Lenkern und prachtvoll aufgezäumten Pferden aus poliertem Marmor, und längs der Wände erhoben sich buchstäblich Dutzende weiterer lebensgroßer Statuen, die ägyptische Götter und Fabelwesen darstellten. Nicht alle davon waren Mogens bekannt, was aber nichts an ihrer Glaubhaftigkeit ändern musste. Mogens war kein Ägyptologe, auch wenn er sich durchaus für das Gebiet interessiert hatte - aber das änderte nichts an der Erkenntnis, die ihn wie ein Schlag traf:

Sie befanden sich in einer ägyptischen Grabkammer!

»Nun?«, fragte Mercer. »Habe ich zu viel versprochen?«

Es war Mogens nicht möglich, zu antworten. Er wollte zumindest nicken, aber nicht einmal das gelang ihm. Er stand einfach da, bewegungslos, unfähig, sich zu rühren, auch nur zu blinzeln, ja, für einen Moment sogar, zu atmen. Er hörte, dass auch McClure irgendetwas zu ihm sagte, aber er verstand die Worte nicht, und es war ihm auch nicht möglich, sich darauf zu konzentrieren oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

»Das... das ist...«

»Beeindruckend, nicht wahr?«

Mogens' Herz begann in jähem Entsetzen zu hämmern, als eine der lebensgroßen Gestalten aus ihrer jahrtausendelangen Starre erwachte und mit einem staksigen Schritt von ihrem Podest heruntertrat. Elektrisches Licht brach sich auf riesigen, schimmernden Augen ohne das mindeste menschliche Gefühl, riss furchtbare Krallen aus dem äonenalten Halbdunkel und verlieh den gleitenden Bewegungen der raubtierhaften Gestalt noch zusätzlich etwas Bedrohliches, das weit über die Grenzen des Sichtbaren hinausging.

Dann machte die unheimliche Gestalt einen zweiten Schritt, der sie vollends ins gelbe Licht der Glühbirnen hinausbrachte, und Mogens erkannte seinen Irrtum und unterdrückte im letzten Moment einen keuchenden Schrei. Es war kein jahrtausendealter ägyptischer Dämon, sondern niemand anderes als Doktor Jonathan Graves; er trat auch nicht von einem Steinsockel herunter, sondern aus dem Schatten einer großen Steinstatue heraus, hinter der er bisher unsichtbar gestanden hatte. Statt grässlicher Raubtierkrallen erblickte Mogens die altvertrauten schwarzen Lederhandschuhe, und das gnadenlose Schimmern in seinem Gesicht war das reflektierte Licht, das von den Gläsern einer randlosen Brille zurückgeworfen wurde, die er mit zwei Gummibändern hinter seinen Ohren befestigt hatte. Dennoch war die Erleichterung, die Mogens verspürte, nicht vollkommen. Die Chimäre war wieder zum Menschen geworden, aber sie bewegte sich nicht wie ein Mensch, sondern schien sich vielmehr auf eine unheimliche, schlängelnde Art in die Wirklichkeit zurückzuwinden.