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Das entsprach der Wahrheit, sodass Mogens nur wortlos nickte, aber da war zugleich auch noch mehr. Es würde zweifellos noch lange dauern, bis sich sein Intellekt von der jähen Erkenntnis des Unmöglichen, mit dem er konfrontiert worden war, erholt hatte, aber zugleich begann auch das Gefühl der Unwirklichkeit, das ihn ergriffen hatte, immer stärker zu werden. Er folgte Graves widerspruchslos, aber es fiel ihm nach wie vor schwer, sich auf seine Erklärungen und Ausführungen zu konzentrieren. Vermutlich tat er ihm damit bitter Unrecht. Mogens war weder Agyptologe, noch interessierte er sich über das normale Maß hinaus für diesen Themenkreis. Dennoch schlugen ihn Graves' Erklärungen in ihren Bann. Er sah nicht auf die Uhr, aber es musste mehr als eine Stunde vergehen, in der ihm Graves voller unübersehbarem Besitzerstolz »sein Reich« präsentierte, und Mogens erfuhr in dieser Zeit mehr über die Mythologie des alten Ägypten und hörte mehr Namen von Gottheiten, Herrschern und Dämonen als in seinen gesamten Jahren an der Universität zuvor. Er verstand nicht die Hälfte von dem, was ihm Graves in immer größer werdendem Überschwang wissenschaftlichen Entdeckerstolzes erklärte, und von dieser Hälfte wiederum hatte er einen Gutteil schon wieder vergessen, noch bevor Graves' improvisierte Führung auch nur halb vorüber war.

»Du siehst, Mogens«, schloss Graves, nachdem er ihm jede einzelne Statue erklärt, ihm die Bedeutung jedes einzelnen Reliefs und den Sinn nicht aller, aber doch vieler Hieroglyphen dargelegt hatte, »ich habe keineswegs übertrieben, als ich von der Bedeutung meines«, er verbesserte sich, »... unseres Fundes gesprochen habe.«

»Aber hier!« Mogens schüttelte den Kopf, trotz allem, was er in der letzten Stunde gehört hatte, auf eine Art noch immer genau so fassungslos wie im allerersten Moment. »Auf dem nordamerikanischen Kontinent! Das ist...«

Er konnte nicht weitersprechen. Auch wenn dies hier nicht sein ausgewiesenes Fachgebiet war, so schwindelte ihn doch allein bei der Vorstellung des Erdbebens, das diese Entdeckung in der Fachwelt auslösen musste, sollte sie sich als echt erweisen. Und selbstverständlich war sie echt. Ganz davon zu schweigen, dass das hier selbst die Dimensionen des verrücktesten Witzbolds der Welt sprengte und sich jeder denken konnte, dass eine Fälschung diesen Ausmaßes nicht die geringste Aussicht auf Erfolg haben konnte, da sich zweifellos die gesamte wissenschaftliche Fachwelt darauf stürzen und akribisch nach dem allergeringsten Hinweis auf einen Betrug oder eine Täuschung suchen würde, wusste er einfach, dass dieser Tempel authentisch war. Er konnte das Alter der ihn umgebenden Wände spüren, den Atem der Jahrhunderte, die an den gemeißelten Augen der lebensgroßen Steinstatuen vorübergezogen waren. Nichts hier war falsch. Und zugleich war hier auch nichts richtig. Graves hatte ihm noch nicht alles gesagt, das spürte er. Bei allem zur Schau getragenen wissenschaftlichem Überschwang, mit dem ihm Graves seine fantastische Entdeckung präsentierte, hatte er ihm doch bisher noch etwas Wichtiges vorenthalten, vielleicht sogar das Wichtigste überhaupt. Ein noch viel größeres, möglicherweise bedrohliches Geheimnis, das seit Äonen unter der sichtbaren Oberfläche der Dinge lauerte.

»Ich weiß, was du sagen willst, und glaub mir, auch mir erging es nicht anders, als ich diesen Raum das erste Mal zu Gesicht bekam.« Graves schüttelte heftig den Kopf, wie um einen Widerspruch, zu dem Mogens gar nicht angesetzt hatte, im Keim zu ersticken. »Aber es ist durchaus denkbar, dass Menschen aus dem alten Ägypten vor langer Zeit die Küsten dieses Landes erreicht haben. Vergiss nicht, dass das Reich der Pharaonen mehrere Jahrtausende lang Bestand hatte! Es gibt Theorien - sie sind umstritten, das gebe ich zu, aber es gibt sie -, wonach die Kultur der südamerikanischen Ureinwohner auf ein viel älteres Volk zurückgeht, dessen Ursprung und Herkunft bis heute unbekannt sind. Denke nur an die Ähnlichkeit zwischen den Pyramiden der Maya und denen des alten Ägypten. Und Mexiko ist nicht so weit entfernt von hier.« Er wedelte wieder aufgeregt mit beiden Händen. »Aber was rede ich! Suzan kann dir das alles viel besser erklären.«

»Doktor Hyams?«

Wieder nickte Graves so heftig, dass seine Brille von der Nase zu rutschen drohte. Seltsam: Mogens konnte sich gar nicht erinnern, dass Graves jemals eine Sehhilfe gebraucht hatte. »Sie ist Ägyptologin«, sagte er. »Und zwar eine sehr gute.«

»Was mich zu meiner nächsten Frage bringt.« Mogens machte eine weit ausholende Geste: »Das alles hier ist ja höchst interessant, um nicht zu sagen sensationell - aber was willst du von mir? Ich bin zwar Archäologe, aber das alte Ägypten ist nun wahrlich nicht mein Spezialgebiet - ganz davon abgesehen, dass du ja bereits eine Spezialistin auf diesem Gebiet hast.«

»Eine Koryphäe, um genau zu sein«, bestätigte Graves. »Doktor Hyams gehört zu den führenden Köpfen auf ihrem Gebiet.«

Und als solche, dachte Mogens, war sie vermutlich alles andere als glücklich über den Umstand, dass Graves noch einen weiteren Spezialisten zurate gezogen hatte. Mogens glaubte die vermeintlich grundlose Feindseligkeit in Hyams' Augen jetzt ein wenig besser zu verstehen; was aber nicht bedeutete, dass er sich dadurch besser fühlte.

»Du hast natürlich Recht, Mogens«, fuhr Graves fort. »Es gibt einen Grund, aus dem du hier bist. Einen sehr triftigen Grund sogar. Aber es ist spät geworden. Du hast zweifellos einen anstrengenden Tag hinter dir und musst müde und hungrig sein. Ich habe dir noch eine Menge zu erklären, aber für den Moment soll es genug sein.«

3.

Es war schon lange dunkel geworden, als sie an die Erdoberfläche zurückkehrten. Mogens war so überwältigt vom Sturm der Eindrücke und Gedanken, dass er erst wieder richtig zu sich kam, als er die Tür seiner Blockhütte aufstieß. Dort erlebte er eine neue Überraschung. Das elektrische Licht, dessen Vorhandensein ihn immer noch mit einem sachten Gefühl von Erstaunen erfüllte, war ausgeschaltet, und an seiner Stelle verbreiteten eine Petroleumlampe mit gelbem Schirm und ein halbes Dutzend Kerzen warme, behagliche Helligkeit. Ein weißes Leinentuch lag auf dem Tisch, und jemand - vermutlich Tom - hatte weißes Porzellangeschirr und Gläser aufgetragen, und Mogens hatte kaum Mantel und Jacke abgelegt, da ging die Tür in seinem Rücken wieder auf und Tom kam herein, beladen mit einem Tablett voller dampfender Schüsseln und einer Kanne mit frisch aufgebrühtem Kaffee, das er kommentarlos vor Mogens auf den Tisch lud.

»Nehmen Sie Platz, Professor«, sagte er, als er damit fertig war. »Ich mache das schon.«

Mogens war viel zu verblüfft, um zu widersprechen und gehorchte schweigend. Mit wachsendem Erstaunen sah er zu, wie Tom mit einem Geschick, das jedem Oberkellner in einem gehobenen Restaurant zur Ehre gereicht hätte, seine Mahlzeit auftrug, schüttelte aber rasch den Kopf, als er nach der mitgebrachten Weinflasche greifen und ihm einschenken wollte. »Bitte nicht.«

Tom wirkte im allerersten Moment verwirrt, dann aber machte sich ein fast schuldbewusster Ausdruck auf seinem Gesicht breit. »O ja, ich vergaß. Sie trinken ja keinen Alkohol. Bitte verzeihen Sie!«

»Das macht doch nichts.« Mogens machte eine Geste auf den schon fast überreich gedeckten Tisch. »Du hast das großartig gemacht. Hast du Erfahrung im Gastronomiewesen?«

Tom schüttelte den Kopf und fuhr fort, Fleisch, Soße und knusprig gebratene Kartoffeln auf seinen Teller zu häufen. Allein der Geruch reichte aus, Mogens das Wasser im Munde zusammenlaufen zu lassen. Plötzlich spürte er, wie hungrig er war; immerhin war das - wenn auch überreichliche - Frühstück, das ihm Miss Preussler am Morgen zum Abschied zubereitet hatte, die einzige Mahlzeit dieses Tages gewesen, und mittlerweile war acht längst vorbei. Er musste sich beherrschen, um nicht mit unziemlicher Hast nach Messer und Gabel zu greifen. Sein Magen knurrte hörbar, was ihm peinlich war. Tom lächelte jedoch nur. »Ich hoff, es schmeckt Ihnen. Ich bin kein gelernter Koch.«