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Mit klopfendem Herzen sah sich Mogens um. Nachdem die Sonne untergegangen war, war es nahezu vollkommen dunkel geworden. Selbst seine eigene Hütte war nur noch als gedrungener schwarzer Schemen zu erkennen, obwohl sie kaum mehr als ein gutes Dutzend Schritte entfernt war. Die Finsternis dahinter war absolut. Mogens' Verstand sagte ihm, dass sie wahrscheinlich nichts anderes als eben Dunkelheit enthielt, aber da war plötzlich noch eine andere Stimme in seinem Kopf, und diese Stimme erzählte von grässlichen Gestalten und unheimlichen Kreaturen, die lautlos durch die Nacht schlichen und ihn aus gierigen schwarzen Augen anstarrten.

Es gelang Mogens mit einiger Anstrengung, diese unheimliche Vorstellung abzuschütteln, aber es blieb ein sonderbar belegtes Gefühl auf seiner Seele zurück. Die lauernden Schatten mochte er sich eingebildet haben, das raschelnde Geräusch ganz gewiss nicht. Irgendetwas war da, vielleicht ein Mensch, möglicherweise aber auch ein streunendes Tier, und das mochte alles sein von einer harmlosen Katze bis hin zu einem Luchs. Er sollte wirklich nicht hier herumstehen, sondern wieder in seine Unterkunft gehen oder sich bestenfalls auf die Suche nach Tom machen, um ihm mitzuteilen, dass da irgendetwas durch das Lager schlich.

Mogens wollte seinen Vorsatz gerade in die Tat umsetzen, als sich das Geräusch wiederholte, und es war jetzt nicht nur lauter, sondern auch eindeutig zu identifizieren. Schritte. Nicht das behutsame Schleichen einer Wildkatze oder eines streunenden Hundes, sondern ganz eindeutig die Schritte eines Menschen, der nicht unbedingt schlich, aber offensichtlich dennoch bemüht war, nicht allzu viel überflüssigen Lärm zu machen. Zwar gab es mindestens hundert ebenso glaubwürdige wie harmlose Erklärungen dafür, aber Mogens' Gedanken bewegten sich so unverrückbar in Bahnen von Bedrohung und Heimtücke wie die eisernen Räder einer Lokomotive auf ihren Schienen, und er konnte beinahe gar nicht anders, als sich umzuwenden und mit klopfendem Herzen in die gleiche Richtung zu gehen. Einem unvoreingenommenen Beobachter wäre das Verhalten des Professors zweifellos sehr mutig vorgekommen, aber das genaue Gegenteil war der Falclass="underline" Mogens hatte einfach zu große Angst davor, in sein Haus zurückzugehen und nicht zu wissen, was die Ursache des unheimlichen Schleichens und Raschelns war. Er hatte zu viele Nächte voller höllischer Visionen und Albträume hinter sich, aus denen er schweißgebadet und mit hämmerndem Puls aufgewacht war, um seiner Fantasie zu gestatten, ihn derart aufgepeitscht in den Schlaf zu begleiten.

Er sah nichts, aber als er zwischen seiner und der von Graves bewohnten Blockhütte hindurchging, hörte er das Geräusch schleichender Schritte zum dritten Mal, und irgendwo in der Dunkelheit vor ihm schien sich etwas zu bewegen; kaum mehr als ein Schatten unter anderen Schatten, aber dennoch deutlich genug, um keine Einbildung sein zu können. Mogens' Verstand versuchte zum letzten Mal, ihm den Wahnsinn seines Vorhabens zu erklären, aber seine Furcht vor den Dämonen des Unbekannten war einfach stärker. Langsam und mit klopfendem Herzen, aber ohne zu stocken, bewegte er sich in die entsprechende Richtung und erreichte nach wenigen Augenblicken die ausgefahrene Spur, die die Reifen von Toms Wagen im weichen Boden hinterlassen hatte. Sie war leicht zu erkennen, trotz der kümmerlichen Lichtverhältnisse. In den parallel verlaufenden Gräben hatte sich Wasser gesammelt, das aus dem morastigen Grund gesickert sein musste und das blasse Sternenlicht zurückwarf wie zwei nebeneinander liegende, endlose schmale Spiegel.

Mogens unterdrückte nur mit Mühe einen Schreckensschrei, als etwas warnungslos in sein Gericht peitschte und eine dünne Spur aus schnell vergänglichem, aber heftigem Schmerz zurückließ. Instinktiv hob er die Hände, um sich vor einem weiteren Angriff zu schützen, aber alles, was er ertastete, waren dünnes Geäst und taufeuchtes Laub. Eine flüchtige Erinnerung blitzte vor seinem geistigen Auge auf: dunkelgrüne Äste, die von der Kühlerhaube des Ford beiseite gefegt wurden und gegen die Windschutzscheibe peitschten. Was auch sonst? Er war der Fahrspur des Ford gefolgt und hatte den Anfang des Weges erreicht, der parallel zur Friedhofsmauer verlief.

Nun zögerte er doch, weiterzugehen. Ihm war schon bei seiner Ankunft klar geworden, dass sich jemand - vermutlich Tom und ebenso vermutlich auf Graves' ausdrückliche Anweisung hin - große Mühe gemacht hatte, die Zufahrt zur Lichtung zu verbergen, aber er hatte dieser Beobachtung vielleicht nicht die angebrachte Bedeutung zugemessen. Was, wenn es Graves gar nicht nur darum ging, seine Entdeckung vor allzu neugierigen Blicken zu verbergen?

Dieser Gedanke überschritt eindeutig die Grenze zur Paranoia, und Mogens verscheuchte ihn ärgerlich. Mit einer fast schon zornigen Bewegung legte er die Äste zur Seite und setzte seinen Weg fort.

Nachdem er die lebendige Barriere durchschritten hatte, wurde die Sicht schlagartig besser. Mogens blieb überrascht stehen und sah in den Himmel. Der Mond war im Verlauf der letzten Woche immer schmaler geworden und stand nun als kaum noch fingerbreite Sichel am Himmel, aber die Nacht war auch sehr klar und das gewaltige Diadem aus funkelnden Sternen glich das fehlende Mondlicht nahezu aus, da es nicht von der kleinsten Wolke oder Eintrübung behindert wurde. Es war nicht auf dieser Seite zu hell. Drüben in Graves' Lager war es eindeutig zu dunkeclass="underline" als gäbe es dort etwas, das das Licht abschreckte.

Wieder raschelten Schritte, dann erscholl ein lang anhaltendes Poltern und Kollern, das von weither, aber auch eindeutig von jenseits der Friedhofsmauer kam. Mogens machte einen einzelnen Schritt und blieb wieder stehen. Sein Herz begann zu pochen. Vorhin, als er zusammen mit Tom hier entlanggefahren war, war es ihm gelungen, diese uralte Mauer als nichts anderes als ein Hindernis aus unregelmäßigen Steinen zu betrachten, das von keinerlei Bedeutung für ihn war, aber nun wollte ihm dieses Kunststück partout nicht mehr gelingen. Seit jener schicksalhaften Nacht vor neun Jahren hatte Mogens keinen Friedhof mehr betreten, und er hatte sich auch geschworen, es nie wieder zu tun. Aber das Geräusch kam eindeutig von dort, und im gleichen Maße, in dem Mogens immer verzweifelter versuchte, den entfesselten Dämonen seines Unterbewusstseins Herr zu werden, wuchs in ihm auch die Überzeugung, dass es von möglicherweise lebenswichtiger Bedeutung für ihn war, die Ursache dieses Geräusches zu ergründen. Er ging weiter, erreichte nach wenigen Schritten die Friedhofsmauer und blieb mit klopfendem Herzen wieder stehen. War das Geräusch noch zu hören? Sein eigenes Blut rauschte so laut in Mogens' Ohren, dass er nicht sicher war.

Mogens zögerte noch einen letzten, schweren Herzschlag, dann aber legte er mit einer schon beinahe trotzigen Bewegung die Hände auf die abbröckelnde Mauerkrone, stemmte den rechten Fuß in eine der fast fingerbreiten Fugen des verwitterten Mauerwerks und schwang sich mit einer kraftvollen Bewegung hinüber. Die Geschmeidigkeit, mit der er diese ihm vollkommen ungewohnte sportliche Anstrengung bewältigte, überraschte ihn beinahe selbst, und um ein Haar hätte sie auch in einer Katastrophe geendet, denn das Niveau des Friedhofsbodens lag ein gutes Stücke tiefer als das des Weges auf der anderen Seite, sodass aus dem geplanten federnden Satz ein ungeschicktes Stolpern wurde, das in einem Sturz zu enden drohte. Mogens streckte hastig die Hände aus und fand im allerletzten Moment Halt an einem uralten, schräg stehenden Grabstein, der sich unter seinem Gewicht langsam und mit einem sonderbar schmatzenden Laut zur Seite neigte.