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Dennoch wurde ihm mit jeder Sekunde klarer, wie dünn das Eis war, auf dem sie sich bewegten. Letzten Endes spielte es keine Rolle, ob er von einem Werwolf aufgefressen wurde oder den Rest seines Lebens als geistig zerrüttetes Wrack verbrachte. Er würde Janice holen und dann machen, dass er hier wegkam, so schnell er nur konnte.

Fast im Laufschritt stürmte er die Treppe hinab. Nach weniger als einem Dutzend Stufen fand er sich in einem niedrigen Kellerraum mit gewölbter Decke wieder, in dessen Mitte sich ein gewaltiger steinerner Sarkophag befand. Janice stand auf der anderen Seite des dunkelgrauen Steinsarges und hielt eine halb heruntergebrannte Kerze in der rechten Hand. Die andere hatte sie halb erhoben, um ihre Augen vor dem unerwartet grellen Licht der Petroleumlampe zu schützen.

»Mogens, sieh dir das an!«, sagte sie aufgeregt. »Komm her!«

Mogens rührte sich nicht von der Stelle, hob aber die Lampe höher, um besser sehen zu können. Was er gerade oben schon einmal erlebt hatte, schien sich zu wiederholen: Für den Bruchteil einer Sekunde war es ihm, als flüchteten unheimliche körperlose Dinge vor dem Licht, und ein eisiger Hauch schien seine Seele zu streifen. Als hätte er etwas von dort oben mitgebracht, das nun auch in den Schatten hier unten lauerte. Mogens verscheuchte auch diesen Gedanken, nicht aber die Warnung, die er zugleich auch bedeutete. Das Eis, auf dem er sich bewegte, wurde dünner, und irgendetwas in ihm selbst arbeitete mit aller Macht daran, es endgültig zu zerbrechen.

»Was tust du hier'«, fragte er barsch. Janice schien seinen rüden Ton jedoch gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, sondern setzte nur mit der linken Hand die Kerze auf den Rand des Steinsarkophags - Mogens wünschte sich, sie hätte es nicht getan -, während sie ihn mit der anderen aufgeregt heranwedelte.

»Sieh dir das an!«, sagte sie. »Das ist unglaublich! Ich hätte nie gedacht, dass es so etwas hier gibt!«

»Einen Sarg?«, fragte Mogens. »Was ist an einem Sarg in einem Mausoleum so außergewöhnlich?«

»Das doch nicht, Dummkopf«, schalt ihn Janice. »Das hier!«

Widerwillig hob Mogens die Lampe noch ein wenig höher und trat um den Sarkophag herum, um an ihre Seite zu gelangen. Im allerersten Moment fiel ihm noch immer nichts Außergewöhnliches auf, dann aber sah er, dass die schmale Nische, vor der Janice stand, gar keine Nische war. Wo hundert Jahre altes Mauerwerk oder massiver Fels sein sollten, da gewahrte Mogens den Anfang eines schmalen, in sanfter Neigung tiefer in die Erde hineinführenden Tunnels, dessen Wände allerdings nicht gemauert waren, sondern aus Erdreich und Lehm zu bestehen schienen.

Für einen Moment gewann die Neugier des Wissenschaftlers noch einmal die Oberhand über die irrationale Furcht, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Schweigend trat er neben Janice und streckte den Am aus, der die Petroleumlampe hielt, um in den Tunnel hineinzuleuchten. Das Licht reichte nur wenige Schritte weit in den Stollen hinein, ehe es von der wattigen Dunkelheit an seinem Ende regelrecht aufgesogen zu werden schien. Mogens schob auch diesen Eindruck auf den angespannten Zustand, in dem sich sein Nervenkostüm befand, konnte sich aber eines neuerlichen eisigen Schauderns trotzdem nicht erwehren.

Auch ohne die bizarren Vorfälle von gerade wäre der Anblick nichts anderes als unheimlich gewesen. Der Tunnel war nicht besonders hoch - vielleicht fünf Fuß, und das nicht einmal überall - und nur auf den ersten Blick regelmäßig geformt. Wände und Boden sahen kaum so aus, als wären sie mit Werkzeugen bearbeitet worden, sondern wirkten eher wie mit grober Gewalt aus dem Erdreich herausgebrochen, und hätte er nicht gewusst, dass es vollkommen unmöglich war, so hätte er geschworen, an manchen Stellen die Spuren gewaltiger Klauen zu entdecken, die Erdreich und sogar Fels in Stücke gerissen hatten.

»Was ist das, Mogens?«, flüsterte Janice in fast ehrfürchtigem Ton.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Mogens. Die Wahrheit war, dass er es gar nicht wissen wollte. Irgendetwas lauerte in der fast stofflich wirkenden Dunkelheit am Ende des Ganges, etwas unvorstellbar Fremdartiges und Böses, das Janice und ihn aus gierigen Augen anstarrte, und er konnte spüren, dass es näher kam, langsam, aber mit schrecklicher Unaufhaltsamkeit.

»Lass uns gehen«, sagte er. »Bitte!«

Janice wandte irritiert den Kopf und sah ihn an, aber Mogens vermochte selbst nicht zu sagen, ob der verwirrte Ausdruck in ihren Augen an seiner Bitte lag, oder an dem fast flehenden Ton, in dem er das letzte Wort ausgesprochen hatte.

»Aber interessiert dich das denn gar nicht?«, wunderte sie sich. »Niemand weiß von diesem Gang! Vielleicht erstreckt er sich unter dem gesamten Friedhof, oder...«

»Ja, vielleicht«, unterbrach sie Mogens. Er gab sich jetzt gar keine Mühe mehr, auch nur freundlich zu klingen. Die Hand mit der Laterne zitterte so stark, dass das Licht im Tunnelanfang in wippende Bewegung geriet, sodass die Schatten abermals einen grotesken Tanz aufzuführen begannen. »Komm!«

Janice war nun vollends verwirrt, aber in den Ausdruck von Verstörtheit auf ihren Zügen mischte sich auch eine erste Spur von Erschrecken. Fast automatisch machte sie einen halben Schritt zurück, blieb dann aber sofort wieder stehen und sah in den Gang hinein. Die Schatten zitterten heftiger, hüpften von rechts nach links, vor und zurück, als versuche etwas aus der Dunkelheit hervorzubrechen und die schützende Barriere aus Licht zu überrennen. Mogens versuchte sich einzureden, dass es nur das immer heftiger werdende Zittern der Lampe in seiner Hand war, aber er wusste einfach, dass das nicht stimmte. Da war etwas, ein namenloses Ding, das in der Dunkelheit lauerte, und es kam näher.

Und dann tat er etwas, das er sich bis ans Ende seines Lebens nicht verzeihen sollte: Er drehte sich mit einem Ruck um, schob sich zwischen Janice und dem steinernen Sarkophag hindurch und war mit wenigen schnellen Schritten wieder bei der Treppe. Janice sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein und hatte sich halb in seine Richtung umgewandt, als er wieder stehen blieb, - machte aber noch immer keine Anstalten, ihm nachzukommen. Mogens konnte den Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht erkennen, denn indem er die Laterne mitgenommen hatte, war sie allein zurückgeblieben, nur beschützt vom flackernden roten Licht der kleinen Kerzenflamme, das der heranstürmenden Finsternis nicht wirklich Einhalt zu gebieten vermochte. Schatten huschten über ihr Gesicht wie kleine, rauchige Tiere. Etwas näherte sich ihr aus der Dunkelheit des Stollens.

»Mogens? Janice?« Rostiges Eisen quietschte, und Mogens konnte gerade noch einen erschrockenen Aufschrei unterdrücken, als über ihm Schritte erklangen und ein unregelmäßiger Kreis aus gelbem Lampenlicht die Stufen herabzuhüpfen begann. »Seid ihr dort unten? Nicht, dass es mich etwas anginge - aber was tut ihr beiden Turteltäubchen da?« Graves lachte anzüglich, während er von einem verschwommenen Schemen hinter dem Lampenschein allmählich zu einer menschlichen Gestalt heranwuchs. »Ich komme jetzt runter. Also bringt zu Ende, womit auch immer ihr gerade beschäftigt seid, und zieht euch an.«

Mogens atmete erleichtert auf, fuhr aber zugleich auch hastig wieder zu Janice herum. »Bleib, wo du bist, Jonathan! Janice!«

Das letzte Wort hatte er geschrien, doch Janice reagierte nicht, sondern stand weiter wie gelähmt da und starrte ihn aus weiten Augen an. Mogens hörte, wie Graves weiter die Treppe herunterkam. Der Lichtschein seiner Laterne begann sich mit dem von Mogens' Lampe zu vermischen, und er sagte irgendetwas in spöttischem Ton, das Mogens nicht verstand.

»Janice«, flehte er. »Bitte.«

»Aber, Mogens... was...?« Janice brach mit einem erschrockenen Keuchen ab und schlug die Hand vor den Mund, als ein unheimlicher, scharrender Laut erscholl. Aber er kam nicht aus dem Tunnel. Er hatte sich getäuscht. Das Scharren drang aus dem Sarkophag!