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»Und was passierte dann?«, fragte er nach einer Weile. »Damals in Harvard. Ich meine: Hat man Ihre Freundin gefunden?«

»Nein«, antwortete Mogens. Er nippte - diesmal vorsichtiger - wieder an seinem Kaffee und schluckte schwer, ehe er weitersprach. »So wenig wie Marc und Ellen. Nachdem ich erwacht war, hat man mir erzählt, dass der Stollen eingestürzt ist, in den dieses... Ding Janice gezerrt hat. Ich selbst bin nie wieder in dieses Mausoleum gegangen, aber ich habe gehört, dass sie sogar ein paar Yards weit gegraben haben, bis sie wieder aufhören mussten, weil der Tunnel einzustürzen drohte und es einfach zu gefährlich wurde. Sie haben keine Spur von ihr gefunden. Weder von Janice noch von den beiden anderen.«

»Und Sie?«, fragte Tom mitfühlend.

»Was glaubst du?«, antwortete Mogens bitter. »Für die Polizei war der Fall ganz eindeutig. Sie hatten das aufgebrochene Schloss und den geöffneten Sarg. Zwei junge Leute, die sich nachts auf dem Friedhof treffen, und von denen einer eine allgemeine Vorliebe für alle möglichen obskuren Dinge hat...« Er hob mit einem angedeuteten Seufzen die Schultern. »Und dazu noch die Kautschukmaske, die sie in meiner Jackentasche fanden. Nein, Tom - für den ermittelnden Polizeibeamten war der Fall schon aufgeklärt, bevor ich das Bewusstsein zurückerlangte.«

»Und Sie haben niemandem von diesem... Geschöpf erzählt?«, fragte Tom.

Mogens seufzte noch tiefer. »Das war mein schwerster Fehler, Tom. Ich habe davon erzählt, aber das hat alles nur noch viel schlimmer gemacht. Niemand hat mir geglaubt. Weder die Polizei, noch meine Kollegen und Professoren, oder die, die ich für meine... Freunde gehalten habe.« Er machte ein leises, bitteres Geräusch, von dem er selbst nicht genau wusste, ob es ein Lachen oder das genaue Gegenteil war. »Die meisten hielten es für eine dumme Ausrede. Einige hielten mich schlichtweg für verrückt. Niemand hat mir geglaubt. Ich glaube, ich hätte es auch nicht, wäre es anders herum gewesen.«

»Aber Graves!«, entfuhr es Tom. »Ich... ich meine: der Doktor! Er muss das Monster doch auch gesehen haben?«

»Das dachte ich auch«, sagte Mogens leise. »Aber da habe ich mich wohl geirrt.«

Tom sah ihn zweifelnd an. Er sagte nichts, aber Mogens spürte, dass es ihm schwer fiel, dieser letzten Bemerkung zu glauben. Und warum sollte er auch? Sie war gelogen. Die Wahrheit war, dass Graves abgestritten hatte, in dieser Nacht auch nur auf dem Friedhof gewesen zu sein. Die Wahrheit war, dass es Graves gewesen war, der den untersuchenden Polizeibeamten von seiner Obsession für alles Okkulte und Übersinnliche erzählt hatte, und die Wahrheit war, dass er, Mogens, vier Monate in einer Gefängniszelle verbracht hatte, und nur der Tatsache, dass die Universität einen Skandal gescheut und interveniert hatte, hatte er es zu verdanken, dass er sich nicht, aller seiner akademischen Grade entkleidet, anschließend auf der Anklagebank eines Gerichts wiedergefunden hatte. Graves war es gewesen, der eine Woche später im Zug nach New Orleans gesessen hatte, um die Stelle anzutreten, die eigentlich für ihn vorgesehen gewesen war, und in die Wohnung einzuziehen, die auf Janice und ihn gewartet hatte. Und Mogens hatte in der Folge feststellen müssen, dass es schwarze Listen nicht nur gab, sondern dass sie offensichtlich zu den meistgelesenen Schriften des Landes gehörten.

Nichts von alledem sprach er aus. Er hatte Tom schon deutlich mehr verraten als irgendeinem anderen Menschen auf der Welt vor ihm - tatsächlich hatte er mit niemandem über die Ereignisse jener schrecklichen Nacht gesprochen, seit er Harvard verlassen hatte -, aber er wollte ihn nicht auch noch mit seinen persönlichen Problemen belasten.

Toms Blick machte ihm jedoch klar, dass er das meiste von dem, was Mogens gerade nicht ausgesprochen hatte, wohl ohnehin erraten haben musste; wenn schon nicht im Detail, so doch zumindest dem Sinn nach. Mogens hatte ja auch von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass Graves und er keine Freunde waren. Tom schien auch etwas dazu sagen zu wollen, doch in diesem Moment wurden draußen Stimmen laut, und der Junge stand stirnrunzelnd auf, ging zur Tür und öffnete sie, um hinauszusehen. Auch Mogens versuchte einen Blick nach draußen zu erhaschen, aber Tom hatte die Tür nur einen Spaltbreit geöffnet und verstellte ihm zusätzlich den Blick.

»Bin gleich zurück, Professor«, sagte er, trat mit einem raschen Schritt vollends hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Mogens sah nur ein rasches Flackern der grau heraufziehenden Dämmerung, bevor sich die Tür wieder schloss, aber immerhin hörte er die Stimmen für diesen Moment deutlicher, sodass er nicht nur eine davon als die von Jonathan Graves identifizieren konnte, sondern auch ihren erregten Tonfall hörte. Anscheinend war dort draußen ein heftiger Streit im Gange. Mogens überraschte dies jedoch ebenso wenig, wie es ihn im Grunde interessierte. Er konnte sich niemanden vorstellen, mit dem Jonathan Graves nicht über kurz oder lang in Streit geriet.

Seine Gedanken waren im Moment jedoch weit mehr mit Tom beschäftigt - und dem zurückliegenden Abend, natürlich. Er erinnerte sich nicht, was weiter auf dem Friedhof passiert war, und ebenso wenig konnte er sagen, wie er wieder hierher in seine Blockhütte gekommen war. Tom hatte ihm erzählt, dass er ihn gefunden und hierher zurückgetragen hatte, und wie die Dinge lagen, hatte Mogens keinen Grund, am Wahrheitsgehalt dieser Behauptung zu zweifeln - auch wenn es ihm zugegebenermaßen schwer fiel, sich vorzustellen, dass dieser schmächtige Junge ihn ganz allein über die fünf Fuß hohe Friedhofsmauer gehoben und dann bis hierher getragen haben sollte. Auf der anderen Seite: Warum sollte Tom ihn belügen? Er hatte keinen Grund dazu, und davon abgesehen weigerte sich Mogens einfach, sich Tom als Lügner vorzustellen. Er hatte selten einen Menschen getroffen, zu dem er rascher und vorbehaltloser Vertrauen gefasst hatte als zu diesem sanften, fast femininen Jungen. Auch dass er sich ihm so ganz selbstverständlich anvertraut hatte, machte ihm erstaunlich wenig aus. Als gebildetem Mann war ihm natürlich klar, dass er sich in einer Ausnahmesituation befunden hatte; einer Lage, in der er einfach mit jemandem reden musste, um nicht an dem Entsetzen zu zerbrechen, das die Erinnerungen heraufbeschworen hatten. Wahrscheinlich hätte er sich jedem anvertraut, der bei seinem Erwachen neben seinem Bett gesessen hätte; selbst wenn es Miss Preussler gewesen wäre.

Das Besondere war, dass es ihm bei Tom nichts ausmachte. Nachdem er damals mit Schimpf und Schande aus Harvard davongejagt worden war, hatte er die Geschichte niemandem erzählt, und noch vor Tagesfrist hätte er geschworen, dieses Geheimnis eines Tages mit ins Grab zu nehmen. Dennoch hatte es ihm nichts ausgemacht, Tom von den Ereignissen jener schicksalhaften Nacht erzählt zu haben. Bei jedem anderen wäre ihm diese Entgleisung so peinlich gewesen, dass er unverzüglich abgereist wäre, um nie wieder zurückzukommen. Bei Tom aber war sein Geheimnis in guten Händen, das spürte er einfach. Immerhin hatte ihm der Junge gestern Nacht möglicherweise das Leben gerettet. Wenn er nicht rechtzeitig genug aufgetaucht wäre... Mogens schauderte bei dem bloßen Gedanken, allein und schutzlos der Gnade dieser hundeköpfigen Bestie ausgeliefert zu sein.

Könnte er sich doch wenigstens erinnern, was geschehen war, nachdem er sich herumgedreht und so unversehens dem Schrecken aus seiner Vergangenheit gegenübergestanden hatte! Aber da war nichts. Seine Erinnerungen endeten mit dem Anblick jenes grässlichen, wolfsschnäuzigen Gesichts, und das Nächste, was er gesehen hatte, war Tom, der auf einem Schemel neben seinem Bett saß und geduldig darauf wartete, dass er erwachte.

Die Tür ging auf, und Tom kam zurück. Mogens erinnerte sich an den lautstarken Streit, dessen Ohrenzeuge er zumindest zum Teil geworden war, und versuchte in Toms Gesicht zu lesen, aber es gelang ihm nicht. »Was war los?«, fragte er gerade heraus. Als Tom auch darauf nur mit einem ausweichenden Schulterzucken antwortete, fügte er hinzu: »Du bekommst doch meinetwegen hoffentlich keinen Ärger mit Graves?«