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Graves tauchte unter den ausgestreckten Armen einer überlebensgroßen, stierköpfigen Götterstatue hindurch, deren Bedeutung Mogens nicht sofort geläufig war, richtete sich wieder auf und bedeutete ihm ungeduldig gestikulierend, sich zu beeilen. Mogens gehorchte, aber das ungute Gefühl in ihm nahm zu, ebenso wie seine irrationale Furcht. Als er sich, Graves' Beispiel folgend, unter den ausgestreckten Armen der gewaltigen Granitstatue hindurchduckte, musste er sich der absurden Vorstellung erwehren, von der gewaltigen steinernen Gottheit in einer tödlichen Umarmung umschlossen zu werden. Es kostete ihn große Willenskraft, nicht hörbar erleichtert aufzuatmen, als er neben Graves ankam und sich aufrichtete.

Wieder sah Graves ihn fragend an, und wieder wich Mogens seinem Blick aus und versuchte sich zu einem Lächeln zu zwingen. »Und?«

Graves war an eine schmale, aber mehr als mannshohe Nische herangetreten, in der eine weiße Marmorstatue stand, die eine Katze in der typischen stolzen Haltung ihrer Art zeigte. Statt Mogens' Frage zu beantworten, griff er mit beiden Händen nach dem Kopf der Katzenstatue und spannte die Muskeln an, als versuche er allen Ernstes, ihn abzubrechen. Anstelle dessen jedoch ertönte nach einem kurzen Moment ein schweres Klacken, und dann ein anhaltendes Schaben und Schleifen, wie von zwei gewaltigen Mühlsteinen, die aneinander rieben. Graves trat mit einem Lächeln zurück, das man nicht mehr anders als triumphierend bezeichnen konnte, und hob in einer theatralischen Geste die Hände. Mogens sah ihm einige Augenblicke lange gleichermaßen verstört wie ärgerlich zu und setzte gerade zu einer entsprechenden Bemerkung an, als das Scharren lauter wurde und sich ein sachtes Zittern des Bodens unter seinen Füßen hinzugesellte. An der Wand direkt vor ihnen entstand ein zwei Finger breiter Spalt, der sich rasch zu einem Durchgang erweiterte, nicht besonders breit, aber ausreichend, um sich mit einiger Anstrengung hindurchzuzwängen.

Graves sah ihn Beifall heischend an.

»Beeindruckend«, sagte Mogens - was der Wahrheit entsprach. Er war beeindruckt, wenn auch gewiss nicht von Graves' laienspielerischer Darstellung. »Wie hast du das herausgefunden?«

»Mit Hilfe des ältesten und treuesten Verbündeten der Wissenschaft«, antwortete Graves fröhlich. Mogens tat ihm den Gefallen, fragend zu blicken, und Graves fügte hinzu: »Des Zufalls.«

Das muss das sein, was Tom als Graves' »Allerheiligstes« bezeichnet hat, dachte Mogens. Er konnte sich gerade noch beherrschen, eine entsprechende Bemerkung zu machen, kam über diesen Gedanken aber auf eine andere Frage, die ihn unbewusst schon die ganze Zeit über beschäftigt hatte, seit sie die Leiter heruntergekommen waren. »Wo sind Mercer und die anderen?«

»Sie haben ihren freien Tag«, antwortete Graves. »Heute ist Sonntag. Sie sind schon vor Sonnenaufgang losgefahren, um den Tag in Frisco zu verbringen. Aber ich dachte mir, dass du weder besonderen Wert auf die Gesellschaft deiner neuen Kollegen noch auf die profanen Vergnügungen legst, denen sie sich hingeben.«

Mogens verzichtete vorsichtshalber darauf, zu antworten, sondern machte eine auffordernde Geste, die Graves aber ignorierte. Mogens war nicht wohl bei dem Gedanken, sich durch den schmalen Spalt zu zwängen und in den finsteren Gang dahinter zu treten, und auch seine wissenschaftliche Neugier, die er jetzt immer heftiger fühlte, änderte daran nichts. Er war Forscher - Archäologe -, und er sollte keine Angst davor haben, in einen unbekannten Raum einzudringen. Aber er hatte Angst.

Mogens überwand seine Furcht, atmete noch einmal tief und hörbar ein und trat durch die Tür. Graves folgte ihm in so geringem Abstand, dass er seinen Atem im Nacken spüren konnte, und quetschte sich - vollkommen widersinnig - an ihm vorbei, kaum dass sie den angrenzenden Gang betreten hatten. »Warte einen Moment.«

Mogens blieb gehorsam stehen und versuchte mehr Einzelheiten seiner neuen Umgebung zu erkennen, während Graves sich ein paar Schritte entfernte und lautstark herumzuhantieren begann. Einen Moment später konnte er hören, wie ein Streichholz angerissen wurde, dann flammte das unangenehm grelle Licht einer Karbidlampe auf.

In ihrem Schein erkannte Mogens eine Wand aus metergroßen, fast ohne Fugen aufeinander gesetzten Steinquadern. Anders als in der Grabkammer gab es hier keine Wandmalereien oder Reliefs. Der Gang war gute sechs Fuß hoch und so schmal, dass Mogens sich unwillkürlich fragte, wie Mercer seine gewaltige Leibesfülle hindurchgequetscht haben mochte, von der schmalen Geheimtür gar nicht zu reden. Er stellte die Frage laut.

»Du bist der Erste, der diese Gänge sieht, Mogens«, antwortete Graves, während er seine Lampe herumschwenkte und den schmalen Tunnel entlangzugehen begann. Es war eine sehr starke Lampe, deren Strahl bestimmt fünfundzwanzig oder dreißig Schritte weit reichte, bevor er allmählich zu verblassen begann. Zumindest auf diesem Stück sah er nichts als gleichförmige Wände aus graubraunen Steinquadern.

»Du hast es Mercer und den anderen nicht gezeigt?«, wunderte sich Mogens. »Warum?«

»Gedulde dich nur noch einen kleinen Moment«, sagte Graves. »Dann wirst du mich verstehen.«

Mogens verzog das Gesicht, aber er ersparte sich jede weitere Frage. Graves war offensichtlich entschlossen, dieses alberne Spiel bis zum Ende zu führen. Dennoch hatte Graves ihm eine Frage beantwortet, die Mogens beschäftigte, seit er Mercer, Hyams und McClure getroffen hatte. Er begriff vor allem Hyams' unübersehbare Ablehnung jetzt ein wenig besser. Sie war Archäologin, und nach Mercers und Graves' Aussage eine der besten dieses Landes, doch Graves hatte nicht sie zu Rate gezogen, um das allergrößte Geheimnis dieses Tempels zu lüften, sondern einen Fremden geholt, und noch dazu jemanden, der zwar auf einem verwandten Gebiet arbeitete, aber definitiv kein Ägyptologe war. Jeder an ihrer Stelle wäre verletzt gewesen; und Wissenschaftler waren ein ganz besonderes Völkchen, was Empfindlichkeiten und Eitelkeit anging.

»Pass auf.« Graves wedelte mit seiner Lampe. »Dort vorne wird es ein wenig holperig.«

Vor ihnen war ein Teil der Tunneldecke eingestürzt, und heruntergefallene und zerbrochene Steinquader bildeten ein Gewirr aus Steintrümmern, Schutt und scharfkantigen Spitzen, das Mogens auf den ersten Blick schier undurchdringlich erschien. Graves marschierte jedoch in scharfem Tempo darauf zu, bückte sich mit einer Bewegung, die allein schon verriet, wie oft er diesen Weg schon gegangen war, unter einem schräg aus der Decke ragenden Felsquader hindurch, und war im nächsten Augenblick einfach verschwunden. Mit ihm erlosch das Licht.

Mogens verspürte ein kurzes, aber heftiges Aufwallen von Panik, als die Dunkelheit wie eine Woge aus klebriger Schwärze über ihm zusammenschlug, aber das Licht kehrte zurück, bevor die Furcht endgültig Gewalt über ihn erlangen konnte.

»Komm schon, Mogens!« Graves' Stimme klang plötzlich gedämpft. »Aber pass auf, wohin du trittst.«

Mogens duckte sich unter dem Steinquader hindurch und blinzelte in das grelle Licht, das durch einen unregelmäßigen Spalt in dem Schutthaufen fiel, der den Tunnel blockierte.

Spätestens hier wäre der Weg für Mercer ohnehin zu Ende gewesen. Der Spalt war so schmal, dass sich Mogens fast wunderte, wie Graves, der ein gutes Stück größer war als er selbst und auch deutlich breitschultriger, es fertig gebracht hatte, hindurchzukriechen.

Auch Mogens war nicht besonders wohl beim Anblick des schmalen Felsspalts. Wäre er allein gewesen, so hätte er in diesem Moment vermutlich kehrtgemacht. Vor Graves jedoch konnte er sich diese Blöße unmöglich geben, also ließ er sich auf Hände und Knie sinken und folgte ihm.

Der Spalt war noch enger, als er befürchtet hatte, und Graves hielt zu allem Überfluss das Licht die ganze Zeit über auf sein Gesicht gerichtet, sodass er nahezu blind war und sich jeden Zentimeter mühsam ertasten musste. Harter Fels schrammte über seinen Hinterkopf und seine Schultern, und Graves' Warnung erwies sich im Nachhinein als gut gemeinter Rat: Der Durchgang war zwar kaum einen Meter tief, sodass sich Mogens schon nach einem Moment wieder aufrichten konnte, doch als er es tat, waren nicht nur seine Hände zerschunden, sondern auch sein Hemd hing in Fetzen und er hatte sich das rechte Knie seiner Hose durchgescheuert.