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»Mach dir nichts draus«, sagte Graves fröhlich. »Wenn das hier vorbei ist, kannst du dir den besten Schneider des Landes leisten.« Er nahm endlich die Lampe herunter, sodass Mogens nicht mehr ununterbrochen blinzeln und gegen die Tränen ankämpfen musste, und gestikulierte tiefer in den Gang hinein. »Komm. Es ist nicht mehr weit. Aber eine weitere kleine Kletterpartie kann ich dir leider nicht ersparen.«

Beides waren höchst subjektive Einschätzungen, wie Mogens bald herausfinden sollte, und beides war nicht wahr - zumindest seiner Einschätzung nach. Der Tunnel wurde immer unwegsamer. Schutthalden und gewaltige Steinquader, teils zerbrochen, teils noch in einem Stück, blockierten den Weg, und überall lagen Steine oder gähnten Fallgruben, manche metertief, manche nur flache Mulden, dennoch aber heimtückisch genug, um zu stürzen oder sich einen Fuß zu verstauchen, was hier unten durchaus fatale Folgen haben konnte. Sie mussten sich nicht mehr durch atemabschnürende Spalten quetschen, aber mehr als einmal auf Händen und Knien kriechen oder waghalsige Kletterpartien in Kauf nehmen. Es war Mogens in dieser unheimlichen Umgebung unmöglich, die Entfernung zu schätzen, die sie wirklich zurücklegten. Vermutlich waren es kaum mehr als fünfzig oder sechzig Yards, aber er hatte das Gefühl, Meilen zurückgelegt zu haben, als sie endlich wieder stehen blieben.

»Jetzt haben wir es gleich geschafft.« Sie waren vor einer Schutthalde angekommen, die den Gang nahezu vollkommen ausfüllte, und Graves fuchtelte mit seiner Lampe aufgeregt zu ihrem oberen Ende hin. Das Licht huschte so hektisch hin und her, dass Mogens den schmalen Spalt zwischen der Halde und der Tunneldecke erst beim zweiten oder dritten Hinsehen erkannte. »Halte mal!«

Mogens griff ganz automatisch zu und nahm die Karbidlampe. Graves wandte sich um und begann mit schnellen, fast spinnenhaft anmutenden Bewegungen die Trümmerhalde hinaufzuklettern, während Mogens versuchte, ihm mit dem Kreis aus zitterndem Licht zu folgen. Kleine Steinchen kollerten zu ihm herab, und ihr Echo hallte sonderbar lang und verzerrt in der Leere des Ganges hinter ihm wider. Verborgen unter diesem Geräusch glaubte Mogens jedoch plötzlich noch einen anderen, viel unheimlicheren Laut zu vernehmen; etwas wie das Scharren großer, horniger Füße, die über harten Fels schleiften.

Erschrocken fuhr er herum und richtete den Strahl des Karbidlichts in den mit Steinquadern und Trümmern übersäten Tunnel. Sein Herz begann zu pochen. War da nicht etwas gewesen, eine verstohlene, huschende Bewegung, wie von einer großen haarigen Kreatur, die vor dem Licht des Scheinwerfers floh?

»Komm rauf, Mogens!« Graves hatte die Schutthalde erklommen und war schon halb in dem schmalen Spalt zwischen ihrem Grat und der Decke verschwunden. »Das ist das letzte Hindernis. Und es lohnt sich, das verspreche ich dir!«

Noch eine Sekunde lang starrte der Professor mit klopfendem Herzen in den Tunnel hinter sich, dann riss er sich von dem unheimlichen Anblick los und schalt sich in Gedanken einen Narren. Hinter ihm war nichts. Wenn es dort überhaupt eine Bewegung gab, die ihren Ursprung nicht in seiner überreizten Fantasie hatte, dann war es allenfalls eine Ratte. Er packte den Scheinwerfer fester, drehte sich mit einer schon fast übertrieben schwungvollen Bewegung um und machte sich an die gar nicht so leichte Aufgabe, Graves zu folgen, ohne die Lampe fallen zu lassen oder von einer selbst ausgelösten Steinlawine in die Tiefe gerissen zu werden.

Graves hatte nicht auf ihn gewartet, sondern war bereits weitergekrochen. Mogens konnte ihn irgendwo in der Dunkelheit vor sich rumoren hören, aber selbst als er den Scheinwerfer hob und den starken Strahl in die entsprechende Richtung lenkte, war nichts zu erkennen. Auf der anderen Seite der Halde musste sich ein weit größerer Hohlraum erstrecken, denn das weiße Karbidlicht verlor sich einfach, ohne auf Widerstand zu treffen.

»Bleib oben«, drang Graves' Stimme aus der Dunkelheit an sein Ohr. »Ich mache Licht.«

Mogens hörte ihn einen Moment in der Schwärze unter sich hantieren, dann vernahm er einen Laut, der ein flüchtiges, aber schadenfrohes Lächeln auf seinen Lippen erscheinen ließ: das unverkennbare Geräusch, mit dem ein Kopf gegen Stein prallte, direkt gefolgt von einem nur unzulänglich unterdrückten Fluch. Im nächsten Moment wurde ein Streichholz angerissen und Graves' Gestalt tauchte im warmen Licht einer Petroleumlampe auf, deren Docht allmählich höher gedreht wurde. Mogens erkannte Wände aus großen behauenen Felsquadern, ähnlich denen draußen im Gang, nur das diese hier mit Malereien und Reliefarbeiten bedeckt waren. Als Graves sich zu ihm umdrehte, hatte er den flüchtigen Eindruck, eine zweite, massige Gestalt zu sehen, die unweit von Graves in der Dunkelheit stand.

»Lass den Scheinwerfer oben«, sagte Graves. »Aber lösch das Licht. Die Kartusche hält nicht sehr lange, und wir brauchen sie für den Rückweg.«

Während Mogens gehorchte, entzündete Graves eine weitere Laterne. Der Kreis von Helligkeit, in dem er stand, war nun deutlicher zu sehen, ohne allerdings nennenswert größer zu werden. Eine der Lampen reichte er an Mogens weiter, als dieser bei ihm angelangt war, die zweite nahm er selbst. Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort um und ging los.

Mogens folgte ihm mit einem Gefühl wachsenden Staunens, das sich aber mehr und mehr mit Unglauben, ja fast einem Empfinden von Unwirklichkeit vermischte, je tiefer sie in den Raum eindrangen und je mehr sich seine Augen an das veränderte Licht gewöhnten.

Sein allererster Eindruck war, sich in einer weiteren Grabkammer oder vielleicht auch einem Tempel zu befinden, ähnlich der oberen Kammer, aber dieser Eindruck hielt nur wenige Momente an. Die Kammer war ungleich größer als die oben, dafür aber nicht einmal annähernd in so gutem Zustand. Etliche der fast mannsdicken Säulen, die die Decke trugen, waren umgefallen und zerborsten, und an mindestens einer Stelle war auch die Decke selbst heruntergebrochen, sodass Steinquader und nachgesacktes Erdreich und Steine einen gewaltigen Schuttberg bildeten. Auch die Wandmalereien und Reliefs befanden sich in keinem gutem Zustand. Die Farben waren so verblasst, dass die Bedeutung der meisten Bilder nur noch zu erahnen war, und selbst die in den Stein gemeißelten Linien waren überall ausgebrochen. Es gab auch hier zahlreich kleine und große Statuen, die menschliche Gestalten, aber auch ägyptische Gottheiten darstellten, doch die meisten davon waren von ihren Sockeln gestürzt oder auf andere Weise zerbrochen. Dennoch kam ihm irgendetwas daran... falsch vor, ohne dass er imstande gewesen wäre, das Gefühl in Worte zu kleiden.

Das Sonderbarste überhaupt aber war die Form des gesamten Raumes. Das Licht der beiden Sturmlaternen reichte nicht annähernd, um ihn vollends zu erhellen, aber Mogens erkannte dennoch nach einer Weile, dass die Kammer einen achteckigen Grundriss hatte - was für einen altägyptischen Sakralraum absolut untypisch war.

Sie hatten den Raum mehr als zur Hälfte durchquert, als Mogens stehen blieb. Graves ging noch zwei oder drei Schritte weiter, bevor auch er innehielt und sich wieder zu ihm umdrehte.

»Nun?«, fragte er. »Habe ich zu viel versprochen?«

»Das ist unglaublich«, murmelte Mogens. »Aber wieso hast du es für dich behalten? Großer Gott, Jonathan - Doktor Hyams würde ihre Seele verkaufen, um nur einen einzigen Blick auf das hier zu werfen!«

»Ich kann Suzan hier unten nicht gebrauchen«, antwortete Graves. »So wenig wie einen der anderen.«