Выбрать главу

Graves hob langsam die Hand, zögerte noch einmal und berührte das mattgraue Metall der Tür dann beinahe ehrfürchtig. Das Licht seiner Sturmlaterne flackerte stärker, und ein Wasserfall kleiner huschender Schatten ergoss sich über die Tür, gefolgt von etwas Anderem, Schlimmeren, das noch nicht ganz erwacht, aber eindeutig im Erwachen begriffen war.

»Es ist dort«, sagte Graves. Seine Stimme war nur ein Flüstern, kaum mehr als ein wispernder Hauch, der sich mit dem Echo längst verklungener widernatürlicher Gebete und Beschwörungsformeln zu etwas Neuem und zugleich Uraltem verband, das Mogens' Furcht neue Nahrung gab. »Hinter dieser Tür. Fühlst du es nicht? Ich kann es fühlen. Es ist dort und wartet auf uns.«

Mogens konnte nicht antworten, denn die Furcht schnürte ihm die Kehle zu. Aber er spürte, dass Graves Recht hatte. Etwas war hinter dieser Tür, etwas Uraltes und unvorstellbar Mächtiges, das seit Äonen eingesperrt und gebunden war, aber nicht machtlos. Schon der bloße Gedanke, dieses Tor zu öffnen und freizulassen, was immer dahinter lauerte, war beinahe mehr, als er ertragen konnte.

»Du... du willst dieses Tor... aufmachen?«, flüsterte er ungläubig.

»Ich habe es versucht«, antwortete Graves. Der entsetzte Unterton in Mogens' Stimme schien ihm entgangen zu sein; oder er interessierte ihn nicht. Seine schwarz behandschuhten Finger glitten weiter über die sinisteren Bilder und Glyphen, die in die Oberfläche des grauen Metalls graviert waren wie Tore in eine andere, verbotene Welt, in der der Wahnsinn und der Tod zu Hause waren. Das Licht flackerte stärker, und Mogens hatte den unheimlichen Eindruck, dass etwas unter dem schwarzen Leder darauf reagierte. »Mit allen Mitteln habe ich es versucht, aber es ist mir nicht gelungen.« Er ließ - endlich - die Hand sinken, trat einen Schritt zurück und wandte sich mit einem tiefen Seufzen wieder zu Mogens um.

»Dieses Metall wurde nicht von Menschenhand erschaffen, Mogens«, sagte er. »Und kein von Menschen geschaffenes Werkzeug kann es zerstören.«

»Und was...« Mogens fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und setzte neu an. Er wich Graves' Blick aus. »Und wie komme ich da ins Spiel?« Er kannte die Antwort. Er wusste längst, warum Graves ihn hier heruntergeführt hatte. Er hatte es im selben Moment gewusst, in dem er die Kammer betreten hatte.

»Es gibt andere Wege, ein Tor zu öffnen, als mit Meißel und Sprengstoff, Mogens«, sagte Graves beinahe sanft.

»Du weißt, dass ich... dass ich mich mit solchen Dingen nicht mehr befasse«, sagte Mogens stockend. Er wollte etwas ganz anderes sagen, schreien, weglaufen, sich die Fäuste ins Gesicht schlagen - aber er konnte nichts von alledem. Graves' Ansinnen war so ungeheuerlich, dass er zu keinerlei Reaktion wirklich fähig war; nicht einmal dazu, wirklich zu denken.

»Du hast deine Bücher seit jener schrecklichen Nacht nicht mehr angerührt, ich weiß«, sagte Graves. »Seit jenem Tag verleugnest du all das, was du vorher so vehement - und mit Recht - verteidigt hast.« Er schüttelte den Kopf. »Tief in dir weißt du, dass es ein Fehler ist.«

»Und was erwartest du jetzt von mir?« Mogens' Stimme war nicht mehr als ein heiseres, halb ersticktes Krächzen, und dennoch klang sie in seinen eigenen Ohren wie ein verzweifelter Schrei. »Dass ich diese Tür auf zaubere?«

»Wenn du so willst, ja«, bestätigte Graves unverblümt. »Obwohl du so gut weißt wie ich, dass das Unsinn ist.« Er hob die Hand, als Mogens widersprechen wollte, und fuhr mit leicht erhobener, schärferer Stimme fort: »Soll ich dir jetzt den gleichen Vortrag halten, den du selbst mir und vielen anderen unzählige Male gehalten hast?«

»Nein«, antwortete Mogens abweisend. »Ich will nichts mehr von diesem Unsinn hören. Nie wieder.«

»Unsinn?« Graves schüttelte den Kopf. Die Bewegung wirkte ungehalten, fast zornig. »Warum verleugnest du plötzlich alles, woran du jemals geglaubt hast? Es ist hier! Du spürst es, ebenso deutlich wie ich. Jeder, der diesen Raum beträte, würde es spüren. Leugne es nicht!«

»Ich will davon nichts mehr hören!« Mogens schrie jetzt wirklich. »Nie wieder! Ich habe genug Schaden angerichtet!«

»Deine Selbstvorwürfe machen Janice nicht wieder lebendig, Mogens«, sagte Graves leise. »Was damals geschehen ist, war nicht deine Schuld. Wenn jemanden die Schuld trifft, dann allerhöchstens mich.«

Mogens widersprach ihm nicht. Wenn Graves ihn hier heruntergebracht hatte, damit er ihm die Absolution erteilte, dann hatte er sich den Weg umsonst gemacht. »Und du glaubst, zum Dank würde ich dir helfen, mit dem hier berühmt zu werden?«, fragte er böse. »Erzähl mir nicht, dass es die hehre Wissenschaft ist, um deretwegen du hier bist, Jonathan. Du hast diese Entdeckung hier eifersüchtig bewacht wie einen Schatz! Du hast deinen Fund Hyams, Mercer und McClure nicht verschwiegen, weil das hier nicht ihr Fachgebiet ist, sondern weil du ihn mit niemandem teilen willst! Du willst ihn ganz für dich allein! Den Ruhm, die wissenschaftliche Unsterblichkeit - bei Gott, ich bin sicher, wenn das hier eine gewöhnliche Grabkammer irgendwo in der ägyptischen Wüste wäre, hättest du keine Skrupel, ihre Schätze zu plündern und zu verkaufen! Wann hast du dich entschlossen, mich um Hilfe zu bitten? Nachdem dir klar geworden ist, dass du dieses Tor allein niemals aufbekommen wirst?«

»Und wenn es so wäre?«, fragte Graves ungerührt.

»Was bringt dich dann auf die Idee, dass ich dir helfen würde - selbst wenn ich es könnte?«

»Weil das hier deine Chance ist, sich zu rehabilitieren, Mogens«, antwortete Graves. »Du wirst Janice nicht zurückbekommen, und auch die beiden anderen werden gewiss nicht wieder lebendig - aber du könntest deine Ehre wiederherstellen. Keiner dieser so genannten ernsthaften Wissenschaftler, die damals über dich gelacht haben, wird es noch wagen, dir zu widersprechen, nachdem er das hier gesehen hat. Alle, die dich damals einen Verrückten genannt haben, werden sich bei dir entschuldigen! Sie werden katzbuckeln und kriechen und dir die Stiefel lecken, nur um einen einzigen Blick hierauf werfen zu dürfen!« Seine Stimme wurde leiser, war nun wie das Flüstern des Verführers, und genau wie dieses erfüllte sie ihren Zweck, obwohl er die Absicht dahinter erkannte. »Du wirst der Erste sein, Mogens. Der erste Wissenschaftler der Welt, der beweist, dass es Magie wirklich gibt.«

6.

Hätte es Graves' Hilfe nicht bedurft, um den Rückweg aus dem versiegelten chthonischen Labyrinth zu finden, so wäre er die gesamte Strecke zurück in seine Blockhütte gerannt, schon, um aus Graves' unmittelbarer Nähe zu entkommen.

Aber es war ein sinnloses Unterfangen. Er hasste Graves. Er hasste ihn in diesen Momenten so sehr, dass er allein deshalb nicht mehr in seiner Nähe bleiben konnte, weil er sich selbst nicht mehr traute. Er hasste Graves, weil alles wieder da war, weil die Begegnung mit ihm alles zurückgebracht hatte, jeden Schmerz, jede Sekunde der Verzweiflung, jede Nacht voller Selbstvorwürfe und Leid. Und weil er Recht hatte.

Denn eines war klar: Mogens würde ihm helfen. Er war noch weit davon entfernt, es sich selbst einzugestehen, aber er wusste, dass Graves am Ende siegen würde. Ganz einfach, weil jedes Wort, das er gesagt hatte, der Wahrheit entsprach.

Zornig und frustriert, wie er gewesen war, hatte er sich auf sein zerwühltes Bett fallen lassen und die nächste Stunde damit verbracht, die Decke über sich anzustarren und vergeblich zu versuchen, Ordnung in das Chaos hinter seiner Stirn zu bringen. Womöglich hätte er noch viel länger so dagelegen, hätte es nicht irgendwann an der Tür geklopft und Tom wäre hereingekommen.