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Mogens sah ihm mit einer Mischung aus Erleichterung und einer sonderbaren Art von Verwirrung hinterher. Das Gespräch mit Tom hatte ein seltsames Gefühl in ihm hinterlassen. Er hatte keinen Grund, Tom zu misstrauen. Was er gesagt hatte, klang schlüssig und überzeugend, und viel wichtiger noch: Er hatte gespürt, dass Tom die Wahrheit sagte.

Warum also misstraute er ihm immer noch?

Mogens gab sich die Antwort auf seine eigene Frage selbst: Weil er niemandem mehr traute. Weder Tom noch Graves und am allerwenigsten sich selbst.

Er stand mit einem Ruck auf. Es nutzte niemandem, wenn er sich weiter Selbstzweifeln und -vorwürfen hingab. Mogens führte sich mit Gewalt vor Augen, dass er Wissenschaftler war, ein Mann, der gelernt hatte, Fakten zu beurteilen, nicht Gefühle. Den »Blick für das Wesentliche« zu bewahren, wie es sein Doktorvater in Harvard immer ausgedrückt hatte.

Um ein Haar hätte Mogens laut aufgelacht, als ihm klar wurde, was er gerade gedacht hatte. Der einzige Grund, aus dem er hier war, war der Orkan von Gefühlen, den Graves' Besuch in Thompson in ihm ausgelöst hatte. Und was, wenn nicht das, was er gefühlt hatte, hatte zu seiner Entscheidung geführt, Graves' unsittliches Angebot anzunehmen und hier zu bleiben, ja, ihm sogar dabei zu helfen, das monströse Geheimnis des unterirdischen Tempels zu lösen, statt das zu tun, was er tun sollte - nämlich von hier zu verschwinden, so schnell und so weit fort er nur konnte?

Nur um seine Hände zu beschäftigen, begann Mogens den Tisch abzuräumen, auf dem noch das Frühstück stand, das Tom für ihn zubereitet hatte. Mogens hatte es nicht angerührt, abgesehen von dem starken Kaffee, den Tom ihm gekocht hatte, aber allein der Anblick der längst kalt und unansehnlich gewordenen Speisen - Rührei, Speck und gebutterter Toast - erinnerte ihn daran, dass er seit dem vergangenen Abend nichts mehr gegessen hatte. Mittlerweile war es fast wieder Mittag. Sein Magen knurrte. Die Speisen boten keinen Anblick, der dazu angetan gewesen wäre, ihn irgendetwas davon essen zu lassen, aber in der Kanne befand sich noch ein Rest Kaffee. Auch er war längst kalt, aber Mogens hatte kalten Kaffee heißem schon immer vorgezogen. Er griff nach der zerquetschten Tasse und stockte mitten in der Bewegung, als er sich erinnerte, dass es Graves gewesen war, der die Tasse nicht nur zerdrückt, sondern auch aus ihr getrunken hatte. Mogens wäre eher verdurstet, als dass er seinen Lippen gestattet hätte, diesen Becher zu berühren.

Dennoch stockte er für einen Moment mitten in der Bewegung, und sein Gesicht verzog sich angewidert. Mogens war plötzlich nicht mehr sicher, dass es sich auch wirklich um die gleiche Tasse handelte, aus der Graves getrunken hatte. Sie war zu einem Stück Blechschrott verformt, und auf ihrem Boden befand sich noch ein kleiner Rest Kaffee - aber sie erinnerte trotzdem mehr an etwas, das man nach einem langen Winter im Wald gefunden hatte. Die Emaille war gerissen und abgeplatzt, und das Metall, das darunter zum Vorschein kam, rostig und verwittert. Als Mogens eine unvorsichtige Bewegung machte, drohte der Griff abzubrechen und der winzige Rest Kaffee, der sich noch darin befand, glänzte ölig; kleine, grüne Klumpen schwammen auf seiner Oberfläche und darüber hatte sich ein ekelhafter Belag abgesetzt, der in Mogens Bilder von verwesenden Dingen wachrief, die irgendwann einmal gelebt hatten und nun zu einer anderen, ungesunden Form von Leben wurden.

Mit spitzen Fingern stellte er die Tasse auf den Tisch zurück und schob sie angewidert so weit von sich weg, wie es ging, ohne dass sie von der Tischkante fiel. Er musste ein paar Mal schlucken, um die Übelkeit loszuwerden, die aus seinem Magen heraufkriechen wollte. Pedantisch - und innerlich gewappnet gegen einen weiteren ekelhaften Anblick - kontrollierte er auch das restliche Geschirr, aber er erlebte keine weitere Überraschung. Alles andere, was auf dem Tisch stand, war tadellos in Ordnung. Trotzdem nahm er sich vor, ein ernstes Wörtchen mit Tom zu reden. Nicht auszudenken, wenn er versehentlich aus dieser Tasse getrunken hätte!

Nachdem er auf dem Tisch für Ordnung gesorgt hatte, wandte er sich seinem Bett und den beiden Koffern zu. Tom hatte die schlammverschmierten Kleider aus der vergangenen Nacht bereits weggeschafft, vermutlich, um sie zu waschen, und Mogens verstaute den kümmerlichen verbliebenen Rest in den Schubladen des Schrankes. Was jetzt noch von seiner bescheidenen weltlichen Habe in den Koffern war, bestand aus Papieren und Büchern. Die Unterlagen verteilte er auf dem Schreibtisch und der Klappe des Stehpults, für die Bücher würde sich im Regal noch ein Plätzchen finden.

Mogens durch diese profane Tätigkeit gerade wieder ein wenig im Steigen befindliche Laune sank erneut, während er seine Bücher auf die vorhandenen Lücken verteilte und sein Blick dabei ganz automatisch über die Rücken der Bände glitt, die bereits darauf standen. Bei einem Großteil davon handelte es sich um genau das, was er angesichts dessen, was ihm hier in den letzten anderthalb Tagen begegnet war, auch erwartet hatte: einige Bände über die Ureinwohner des südamerikanischen Kontinents, die Maya, Inkas und Azteken, eine ganze Anzahl Bücher über die Geschichte des alten Ägypten und seiner Götter- und Pharaonenwelt, die nur zu oft nahezu unentwirrbar ineinander übergingen, sowie etliche klassische Werke der Archäologie, deren Anblick Mogens zu einem verächtlichen Verziehen der Lippen veranlasste, denn das meiste davon hatte er bereits während seines Studium auswendig gekannt, und mehr als nur eine der in diesen Büchern vertretenen Theorien hatten sich längst als falsch herausgestellt. Hielt Graves ihn für einen Idioten?

Aber es waren auch Bücher darunter, deren Anblick ihm alles andere als ein Lächeln entlockte. Bände, die er ebenso gut kannte, aber seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte, denn sie gehörten zu einem Kapitel seines Lebens, das er für endgültig abgeschlossen gehalten hatte. Es waren Bände über uralte Kulte, über Magie und Okkultismus, über längst vergessene Mythen und untergegangene Kulturen, die nur noch in den Legenden der Menschen ihre Spuren hinterlassen hatten, über verbotenes Wissen und Geheimnisse, die den Tod brachten. Er glaubte plötzlich wieder Graves' Stimme zu hören. Der erste Wissenschaftler der Welt, der beweist, dass es Magie wirklich gibt. War es möglich? Konnte es tatsächlich sein, dass Graves und er den Beweis in Händen hielten, dass das, worüber die allermeisten ihrer Kollegen die Nase rümpften, wahr war - nicht nur bloßer Aberglaube und irregeleitete Naivität derer, die schwach im Geiste waren, sondern wissenschaftlich belegbare Realität?

Mogens war sich der Gefahr bewusst, die allein von dieser Frage ausging. Es war nur zu leicht, sich selbst von etwas zu überzeugen, das man glauben wollte; eine Verlockung, vor der auch ein Wissenschaftler nicht gefeit war. Ein solcher vielleicht am allerwenigsten, hatte er doch ganz andere Argumente und Möglichkeiten bei der Hand, auch das Unerklärliche zu beweisen und das scheinbar Unmögliche zu erklären.

Und dennoch: Nach dem, was er vor einer Stunde gesehen und vor allem gespürt hatte: Es war möglich.

Nicht alle Bücher, die sich auf dem Bord fanden, waren Mogens bekannt. Etliche sagten ihm gar nichts, andere kamen ihm nur vom Titel her vage vertraut vor, und es waren zwei oder drei darunter, bei denen es sich zweifellos nur um Repliken handeln konnte, waren doch allein die Namen der Originale schon fast sagenumwoben; und manche von der Art, die man nur im Flüsterton nannte.

Zögernd griff er nach einem schweren, in grobporiges schwarzes Leder gebundenen Folianten. Er war so schwer, dass er beide Hände brauchte, um ihn aus dem Regal zu nehmen. Der in abblätternden Goldbuchstaben in den Einband geprägte Titel lautete De Vermis Mysteriis, was Mogens nichts sagte, ihm aber einen sonderbar unwohlen Schauer über den Rücken laufen ließ. Fast behutsam schlug er den Band auf. Die Seiten bestanden aus vergilbtem Pergament, das so alt war, dass es beim Umblättern nicht nur hörbar knisterte, sondern Mogens fast befürchtete, sie könnten einfach zerbrechen, und waren mit winzigen Buchstaben einer fast kalligraphischen Handschrift bedeckt. Dazwischen befanden sich sonderbare, kabbalistische Symbole und unheimlich anmutende Zeichnungen, deren bloßes Betrachten Mogens schon Unbehagen bereitete.