Eine innere Stimme riet ihm, ins Haus zurückzugehen. Er hatte nichts gegen Hyams und die beiden anderen, aber er glaubte kaum, dass sie ihm bei der Entscheidung, die er zu treffen hatte, von großem Nutzen sein würden. Aber noch während er mit sich rang, auf sie zu warten oder nicht, tauchten drei schwarze Silhouetten hinter der Blockhütte auf und verharrten plötzlich mitten in der Bewegung. Die Stimmen verstummten ebenso jäh wie Hyams' Lachen, und Mogens wusste, dass es zu spät war. Kurz nach der Mittagsstunde hatte Tom den Generator ausgeschaltet, sodass er genau wie gestern auf Kerzenlicht angewiesen war, aber in der offen stehenden Tür war er dennoch nicht zu übersehen.
»Mein lieber Professor!«, rief Mercer im Näherkommen. »Zu so später Stunde noch auf?«
Mogens widerstand der Versuchung, demonstrativ auf seine Taschenuhr zu sehen. Er wusste auch so, dass es noch nicht einmal neun war. Vor einer knappen Stunde hatte ein sehr wortkarger Tom das Essen aufgetragen, ohne dass Graves gekommen war, wie er es versprochen hatte. Er zog es vor, nicht zu antworten, aber die schleppende Art, auf die Mercer sprach, war ihm keineswegs entgangen. Mercer und die beiden anderen - wenn auch in größer werdendem Abstand - kamen näher, und Mogens begann sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie er sie am besten abweisen konnte, ohne allzu unhöflich zu wirken und damit sein ohnehin nicht gerade gutes Verhältnis zu seinen neuen Kollegen noch mehr zu belasten.
Er fand keine. Es hätte ihm vermutlich auch nichts genutzt, wie ihm spätestens beim ersten Blick in Mercers Gesicht klar wurde. Es wirkte noch rosiger als sonst, und seine Augen hatten einen wässrigen Glanz. Er wankte mindestens so heftig hin und her, wie es der Ford vor einer Minute getan hatte. Mercer war betrunken. Mogens hoffte nur, dass er nicht am Steuer gesessen hatte.
»Wir haben Sie vermisst, Professor«, fuhr Mercer in aufgeräumtem Ton fort. »San Francisco ist eine großartige Stadt! Das nächste Mal müssen Sie uns unbedingt begleiten.«
Mogens sagte immer noch nichts, aber Mercer ließ sich auch davon nicht beeindrucken, sondern hievte seine gewaltige Körperfülle schnaubend die kleine Treppe herauf, und Mogens trat hastig zur Seite, da er fast befürchten musste, von ihm überwalzt zu werden. »Wir dürfen doch hereinkommen, nur auf einen kleinen Plausch unter Kollegen?«
»Sicher.« Mogens trat einen weiteren Schritt zurück und machte eine einladende Bewegung in Richtung der beiden anderen. McClure warf ihm ein rasches, um Verständnis heischendes Lächeln zu, während er in Hyams' Gesicht vergeblich zu lesen versuchte. Allerdings spürte er die Ablehnung, die die Archäologin ihm entgegenbrachte, deutlicher denn je.
Mercer marschierte fröhlich an ihm vorbei und nahm uneingeladen auf dem einzigen Stuhl Platz, den es im Zimmer gab. »Das nächste Mal müssen Sie uns unbedingt begleiten, Professor«, sagte er noch einmal, und mit noch schwererer Zunge. »Wenn unser Zerberus Sie gehen lässt, heißt das.«
»Zerberus?«
»Graves«, erklärte McClure. »Mercer liebt es, Doktor Graves so zu nennen - vor allem, wenn er zu tief ins Glas geschaut hat, wie heute. Und natürlich, wenn er es nicht hören kann.«
Mercer reagierte mit einem breiten Grinsen. »Sie sind ein Spielverderber, McClure«, sagte er. »Warum gönnen Sie einem armen alten Mann nicht einmal dieses kleine Vergnügen?«
Der Art nach zu schließen, auf die Mercer sprach, dachte Mogens, war es wohl eher ein ziemlich hochprozentiges Vergnügen gewesen. Wieder begegnete er jenem halb verständnisvollen, ein ganz kleines bisschen aber auch mitleidigem Lächeln in McClures Augen, als er den Paläontologen ansah.
»Wir wollen Sie auf keinen Fall stören«, sagte McClure. »Sie haben gewiss einen anstrengenderen Tag hinter sich als wir.«
Zumindest was Mercer anging, hatte Mogens da gewisse Zweifel. »Sie stören keineswegs, Doktor«, sagte er. »Ich fürchte nur, ich kann Ihnen nichts anbieten - außer einem Becher kalten Kaffees vielleicht.«
»Aber das ist doch vollkommen in Ordnung«, versicherte Mercer, während er sich bereits schnaufend vorbeugte und nach der Kanne griff. Es gab nur die eine Tasse, aus der Mogens gerade getrunken hatte, woran Mercer aber keinen Anstoß zu nehmen schien. Ungeachtet des längst kalt gewordenen Restes, der sich noch darin befand, schenkte er sich nach und griff anschließend unter seinen Mantel, um eine flache Schnapsflasche hervorzuziehen, aus der er einen kräftigen Schuss in den Kaffee goss. McClure runzelte missbilligend die Stirn, enthielt sich aber jeden Kommentars, sondern wandte sich mit einem leicht verlegenen Lächeln wieder direkt an Mogens.
»Und wie haben Sie Ihren ersten Tag hier verbracht, Professor?«
»So wie Sie vermutlich auch«, antwortete Mogens. »Doktor Graves hat mich herumgeführt und mir alles gezeigt.«
Er sah nicht hin, aber er registrierte dennoch den scharfen, fast feindseligen Blick, den Hyams ihm aus den Augenwinkeln heraus zuwarf. Aber auch sie sagte nichts, sondern drehte sich nach einer Sekunde weg und trat an das Bücherregal heran. Mogens war nicht wohl dabei, aber ihm fiel kein plausibler Grund ein, sie zurückzuhalten.
McClure blieb ihm die Antwort auf seine indirekt gestellte Frage schuldig.
»Das hat er doch, oder?«, hakte Mogens nach.
McClure druckste einen Moment herum und antwortete schließlich, ohne ihm in die Augen zu sehen: »Wir sprechen außerhalb der Grabungsstelle nicht über unsere Arbeit. Doktor Graves wünscht es nicht.«
»Und Sie tun und lassen zweifellos immer alles, was Doktor Graves wünscht«, gab Mogens zurück. Der beißende Spott in seiner Stimme tat ihm augenblicklich selbst Leid, umso mehr, als er sah, dass der Anteil von Verlegenheit in McClures Blick noch wuchs. Aber es war Hyams, die antwortete, nicht McClure.
»In diesem Punkt sind wir mit Doktor Graves vollkommen einer Meinung, Professor VanAndt. So lange unsere Arbeit hier nicht abgeschlossen ist, ist absolute Verschwiegenheit das oberste Gebot. Wahrscheinlich haben Sie es noch nicht bemerkt, aber nicht alle sind mit dem einverstanden, was wir hier tun, und wir werden misstrauisch und äußerst aufmerksam beobachtet. Und wer weiß, vielleicht belauscht? Möchten Sie, dass Ihnen jemand die Früchte Ihrer Arbeit stiehlt?«
Den letzten Satz sprach sie mit einer sonderbaren Betonung aus, fand Mogens. Und noch viel unangenehmer war der Blick, mit dem sie ihn dabei maß.
»Selbstverständlich nicht«, antwortete er so ruhig, wie er nur konnte. »So wenig, wie ich selbst so etwas je tun würde.«
»Sehen Sie, Professor, und so geht es jedem von uns«, antwortete Hyams kühl. Dann deutete sie auf das Bord und fragte: »Sind das Ihre Bücher?«
»Einige«, antwortete Mogens. »Die meisten hat Graves herbeischaffen lassen.«
»Eine sonderbare Auswahl«, sagte Hyams, während sie sich wieder vollends dem Bücherregal zuwandte. »Was, sagten Sie noch einmal, ist Ihr Fachgebiet?«
»Archäologie«, antwortete Mogens, obwohl er sehr sicher war, dass Hyams dies ebenso gut wusste wie die beiden anderen und er selbst.
Hyams nahm einige Bände heraus, studierte die Titel oder warf einen eher flüchtigen Blick hinein, bevor sie sie wieder zurückstellte. »Das Buch der toten Namen«, sagte sie. »Atlantis: Die vorsintflutliche Welt.« Sie maß ihn mit einem schwer zu deutenden, aber nicht sehr angenehmen Blick. »Was soll das sein? Braucht man so etwas neuerdings in der Archäologie?«
»Nein«, antwortete Mogens, mühsam beherrscht. »Ich interessiere mich rein privat für diese Themen.«
»Für Zauberei?«
»Für Okkultismus«, verbesserte sie Mogens.
»Und das ist ein Unterschied?« Hyams zog beinahe verächtlich die Brauen zusammen. »Das müssen Sie mir erklären, Professor.«
Mogens schob es auf seine Einbildung, dass es sich für ihn so anhörte, als spräche sie das Wort »Professor« wie eine Beleidigung aus. Das machte ihn wütend. Er beherrschte sich aber und bemühte sich im Gegenteil, so ruhig und sachlich zu antworten, wie er nur konnte.