Aber er verstand die Geschichte, die diese unaussprechlichen Worte erzählten...
»Es waren nicht die Ägypter«, murmelte er. »Dieser Ort ist viel älter, Graves. Kannst du es fühlen?«
Er sah nicht zu Graves zurück, aber er konnte dessen Nicken spüren.
»Sie waren hier, lange bevor es Menschen gab«, fuhr Mogens fort. »Und sie werden noch hier sein, wenn die letzte Erinnerung an die Menschen längst verblasst ist. Sie sind die, die waren, die sind und die immer sein werden. Sie sind tot, und dennoch am Leben; lebendig, und dennoch unbelebt. Sie schlafen in ihren Kerkern tief im Schoß der Erde und auf dem Grund der Ozeane, und sie warten auf den Tag, an dem sie ihre Fesseln sprengen und ihren angestammten Platz als Herrscher über diese Welt wieder einnehmen werden.«
Ohne dass er selbst sich dessen bewusst gewesen wäre, war seine Stimme zu einem monotonen, an- und abschwellenden Singsang geworden, als erzähle er nicht wirklich die Geschichte dieser Bilder, sondern rezitiere eine uralte Litanei, einem Muster von Tönen und Lauten folgend, das älter war als die Sonne und nicht für menschliche Kehlen gedacht. Sein Hals begann bald zu schmerzen von den fremdartigen, gutturalen Lauten, die dem wahren Klang der Worte, für die sie standen, nicht einmal nahe kamen, und der menschliche Teil seiner Seele krümmte sich unter jedem Wort, jedem krächzenden Laut und jeder hervorgewürgten Silbe dieser uralten verbotenen Sprache wie ein getretenes Tier.
Trotzdem war er nicht fähig, aufzuhören. Nachdem die Worte einmal angefangen hatten, aus ihm herauszubrechen, war es ihm unmöglich, sie aufzuhalten. Wie ein insektoider Parasit, der sich in ihm eingenistet hatte und unbemerkt vom Ei zur Larve herangereift war, um sich mit Zangen und Klauen einen Weg ins Freie zu fressen, sprudelten sie weiter und weiter aus ihm hervor, brachen über seine blutigen Lippen und seinen bald von den grässlichen Lauten und blasphemischen Silben wund gescheuerten Hals und erzählten die Geschichte derer, die von den Sternen gekommen waren, als diese Welt noch jung und von anderen, den Menschen ebenso fremd erscheinenden Kreaturen bewohnt gewesen war, und die auf den Tag warteten, an dem ihr finsterer Gott, der schlafend in seinem Palast auf dem Meeresgrund lag, die Fesseln des Todes abstreifen und seine Herrschaft über sein angestammtes Reich erneut antreten würde. Er erzählte von anderen, gewaltigen Wesen, die von den Sternen gekommen waren und den älteren Göttern ihren Platz streitig machten, und gewaltigen Kriegen, die das Antlitz des Planeten wieder und wieder verwüstet hatten, bis er sich in eine rot glühende Kugel aus geschmolzener Schlacke und brennender Lava verwandelte, auf der irgendwann der immer währende Zyklus des Lebens neu begann, und von Geschöpfen, die so unvorstellbar fremd und bösartig waren, dass ihr bloßer Anblick den Tod brachte.
Und irgendwann war es vorbei. Die Worte versiegten, und Mogens fühlte bittere Galle und nach Kupfer schmeckendes Blut seine Kehle herabrinnen. Er wankte vor Schwäche, und er fühlte sich auf eine Weise ausgelaugt, die weit über das körperliche Maß hinausging.
Aber es war nicht vorbei. Nachdem die Worte versiegt waren, begann sich eine unheimliche, erstickende Stille in der Zeremonienkammer breit zu machen, eine Stille, die so gewaltig und allumfassend war, dass sie in seinen Ohren zu dröhnen schien, und unter der etwas herankroch, etwas Uraltes und unvorstellbar Böses, das seine Worte geweckt hatten und das sich nun weigerte, wieder in das Grab des Vergessens zurückzukehren.
Es war Graves, der das atemabschnürende Schweigen brach, nicht er. »Du hast also nur einige wenige Worte entziffert, wie?«, fragte er spöttisch. »Vielleicht sollte ich froh sein. Hättest du noch mehr übersetzt, hätte die Zeit bis zum nächsten Vollmond vielleicht nicht mehr gereicht.«
Mogens versuchte noch immer vergeblich, wirklich zu begreifen, was er gerade erlebt hatte. Er kam sich unwirklich vor, wie in einem Albtraum gefangen, in dem er zur Rolle eines bloßen Zuschauers verdammt war. Graves' unzulänglicher Versuch, spöttisch zu klingen, brach die Spannung nicht, sondern schien alles im Gegenteil eher noch schlimmer zu machen. Aber ihm fehlte die Kraft, den Freund von einst zurechtzuweisen.
»Ich habe das nicht übersetzt«, sagte er mühsam. Er versuchte den Kopf zu schütteln, aber selbst für diese winzige Bewegung fehlte ihm beinahe die Kraft, sodass es bei einer bloßen Andeutung blieb.
»Es klang auch nicht wirklich nach dir, Mogens«, pflichtete ihm Graves bei. Es gelang ihm irgendwie, zwar weiter spöttisch zu klingen, aber zugleich auch so etwas wie ein Schaudern in seine Stimme zu legen. »Großer Gott, Mogens - was war das? So etwas habe ich nie zuvor gehört.«
Mogens antwortete nicht sofort, aber sein Zögern lag nicht nur daran, dass seine Kehle wundgescheuert war und schmerzte. Was auch immer er mit seinen Worten geweckt hatte, es war noch immer da. »Ich weiß es nicht«, murmelte er. »Ich bin nicht einmal sicher, dass ich das war, Jonathan. Es war...« Seine Stimme versagte, und er spürte, wie er am ganzen Leib zu zittern begann. Vergeblich versuchte er, dem Beben seiner Hände und Knie Einhalt zu gebieten. Etwas hatte ihn berührt, und unter dieser Berührung schien ein Teil von ihm gleichsam zu Eis erstarrt zu sein.
»Ich weiß nicht, was es war«, murmelte er. »Irgendetwas...« Er suchte nach Worten, aber er fand keine. Vielleicht weil Worte gleich welcher menschlichen Sprache nicht ausreichten, um das grenzenlose Entsetzen zu beschreiben, das er empfunden hatte. Das er noch empfand.
»... hat Besitz von dir ergriffen?«, schlug Graves vor, als Mogens nicht weitersprach.
»Warum... warum sagst du das?«, fragte Mogens stockend.
»Ist es etwa nicht wahr?«, gab Graves zurück. Er legte den Kopf schräg. Mogens konnte sein Gesicht noch immer nicht erkennen, da Graves aus irgendeinem Grund sorgsam darauf bedacht schien, außerhalb des Lichtscheines zu bleiben, aber seine Stimme klang auf fast obszöne Weise erregt.
»Unsinn«, widersprach Mogens. Es klang lahm. Wen wollte er damit überzeugen?
Graves jedenfalls nicht, denn der begann plötzlich mit beiden Händen zu gestikulieren, und seine Stimme wurde noch einmal eine Spur schriller. »Ja, begreifst du denn nicht, Mogens? Du hast es selbst gesagt: Niemand kann eine vollkommen unbekannte Sprache erlernen, in nur drei Tagen! Dir ist das gelungen! Meinst du nicht auch, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht?«
»Und?« Er wusste längst, worauf Graves hinauswollte. Er hatte es gewusst, noch bevor Graves auch nur das erste Wort ausgesprochen hatte, aber er hatte sich geweigert, diesem Gedanken auch nur das Recht auf Existenz zuzubilligen - von Glaubwürdigkeit ganz zu schweigen -, und er tat es noch immer.
»Mogens, verstehst du denn nicht? Das ist der Beweis: Das, wonach du zeit deines Lebens gesucht hast! Was gerade geschehen ist, das ist nicht mit unserer Wissenschaft und Logik zu erklären! Du bist im Recht, Mogens! Du hattest die ganze Zeit über Recht, und die anderen waren die Narren, nicht du! Da ist etwas außerhalb unseres Verständnisses. Wenn das, was wir gerade erlebt haben, keine Magie war, dann weiß ich nicht, was man als solche bezeichnen soll!«
»Ich will davon nichts hören«, antwortete Mogens.
Graves lachte, aber auch dieser Laut klang eher wie ein Bellen in Mogens' Ohren. »Ich verstehe dich nicht, Mogens«, sagte er. »Du kommst mir vor wie ein Mann, der sein gesamtes Leben damit zugebracht hat, Stöcke aneinander zu reiben, um damit Feuer zu machen. Und als es ihm endlich gelungen ist, starrt er nur die Flammen an und weigert sich zu glauben, was er sieht. Gib Acht, dass du dich nicht verbrennst!«
»Ja, vielleicht hast du Recht, Jonathan«, murmelte Mogens. Und vielleicht hatte er sich schon verbrannt.