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Graves sog mit einem scharfen Laut die Luft zwischen den Zähnen ein. Als er weitersprach, klang seine Stimme wie die eines Mannes, der vergeblich versucht, einem störrischen Kind etwas zu erklären und allmählich zu begreifen begann, wie hoffnungslos zum Scheitern verurteilt dieser Versuch war.

»So begreife doch! Du hast gewonnen! Wir beide haben gewonnen! Wir stehen ganz kurz vor dem Ziel!«

Aber vielleicht sollten wir dieses Ziel nicht erreichen, dachte Mogens schaudernd. Vielleicht durften sie es nicht. Er schwieg.

»Wir können es schaffen, Mogens!«, fuhr Graves fort. »Ich spüre es. Komm! Komm!« Er machte eine Bewegung, wie um nach Mogens zu greifen und ihn mit sich zu zerren, brach die Geste dann aber im allerletzten Moment ab, als wäre ihm gerade noch rechtzeitig eingefallen, dass er sich in das Licht hineinbewegen musste, um ihm nahe genug zu kommen, um sein Vorhaben auszuführen. Stattdessen drehte er sich auf dem Absatz um und ging wieder zum Tor. Mogens erschauerte, als sein Blick eine der beiden gewaltigen Wächterstatuen streifte. Es konnte nur an dem unsteten Licht liegen, und dem Zustand seiner eigenen Nerven, aber für einen Moment schienen sich die armlangen Tentakel, die seinen Schädel säumten, zu bewegen, als wollten sie nach dem frechen Eindringling greifen.

»Der Schlüssel ist hier«, sagte Graves erregt. »Ich weiß es! Er ist hier, direkt vor unseren Augen, Mogens! Wir brauchen nur danach zu greifen.«

Mogens wünschte sich, er würde das nicht tun. Wieder glaubte er eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrzunehmen, ein zitterndes Wogen und Greifen, als versuche etwas aus dem Bereich jenseits des Wirklichen sich an die Realität heranzutasten. Etwas kratzte wie mit harten Insektenklauen an seiner Seele. Aber er war einfach zu müde, um auch nur irgendetwas zu sagen. Der Kontakt mit jener schrecklichen uralten Macht hatte ihn nicht nur bis an den Grund seiner Seele erschreckt, sondern ihn auch ausgelaugt.

»Es muss hier irgendwo sein!« Graves' Stimme begann zu zittern, drohte vor Erregung gar zu brechen. »Ich kann es spüren, und du auch, Mogens! Ich weiß es! Sag es mir!«

Es kostete Mogens fast seine ganze Kraft, zu antworten. »Jonathan, bitte! Wir sollten jetzt nichts Übereiltes tun. Lass uns zurückgehen und über das nachdenken, was wir gerade erlebt haben.«

»Nein!«, schrie Graves. »Du weißt es! Du weißt, wie man dieses Tor öffnet! Aber du willst es mir nicht sagen!«

Mogens sah alarmiert auf. In Graves' Stimme war ein neuer, gefährlicher Unterton, der selbst durch den Schleier aus Müdigkeit und Furcht drang, der sich über Mogens' Gedanken gelegt hatte.

»Wo ist es?«, keuchte Graves. »Welches Wort öffnet diese Tür?«

»Abrakadabra«, antwortete Mogens kopfschüttelnd. »Du bist ja verrückt.«

Graves stieß einen zischenden Laut aus, bewegte sich drohend auf ihn zu und prallte erneut im letzten Moment zurück, bevor er aus den Schatten heraustreten konnte.

Aber vielleicht doch nicht rechtzeitig genug.

Es war vielleicht nur ein einzelnes Bild, nur die winzige Zeitspanne zwischen dem Heben und Senken eines Lidschlag, und doch war es so entsetzlich, dass Mogens nur deshalb nicht aufschrie, weil er selbst dazu zu erschrocken war. Und dabei war es nicht einmal Graves' Gesicht, das er sah. Es war seine Hand, die für eine halbe Sekunde oder weniger in den Bereich des verräterischen Lichts geriet, sodass Mogens sie erkennen konnte. Aber war es wirklich noch die Hand von Jonathan Graves? War es überhaupt die Hand eines Menschen?

Mogens glaubte es nicht. Was er sah, das war eine schwielige Pfote, größer als jedwede menschliche Hand, die er je gesehen hatte, und mit schrecklichen Klauen bewehrt. Borstiges dickes Haar, das auf dem Handrücken begann, hüllte das Gelenk ein und verschmolz mit den Schatten dahinter.

Mogens blinzelte, und als er die Augenlider wieder hob, hatte Graves - Graves? - den Arm zurückgezogen, und die grässliche Klaue war wieder in barmherzigen Schatten verborgen. Mogens' Herz jagte.

»Sag es mir!«, kreischte Graves. »Du bist es mir schuldig!«

Er schrie nicht wirklich. Er... blubberte. Seine Stimme hatte kaum noch etwas Menschliches, sondern war zu einem nassen, schaumigen Sabbern geworden, dem Kreischen einer tollwütigen Bestie mit haarigen Pfoten und Klauen. Wieder kam er näher, und wieder prallte er zurück, aber diesmal schien es Mogens, als pralle er tatsächlich von dem Licht zurück, ein mythisches Ungeheuer, das sich mit rasender Wut gegen die Barriere aus schützender Helligkeit warf, ohne sie durchdringen zu können. Aber wie lange noch?

Fast ohne sein Zutun machte Mogens rasch zwei, drei Schritte zurück und starrte die unheimliche Gestalt in den Schatten an. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er versuchte sich mit aller Macht einzureden, dass es nur seine Nerven waren, die ihm einen Streich spielten, zusammen mit der Erschöpfung und dem verwirrenden Spiel von Licht und Dunkelheit hier unten, und ein Teil von ihm wollte diese Erklärung auch glauben, ja, klammerte sich mit fast verzweifelter Kraft daran, weil alles andere bedeutet hätte, seinen letzten Halt in der Realität loszulassen und endgültig in den Wahnsinn abzugleiten. Aber ein anderer Teil von ihm wusste, dass es nicht so war. Das... Ding da vor ihm war nicht mehr Graves.

Mogens begriff die Gefahr, die in diesem Gedanken lauerte, und tat das Einzige, wozu er überhaupt noch fähig war: Er fuhr auf dem Absatz herum und rannte los, so schnell er nur konnte.

»VanAndt!«, kreischte die schrille, gurgelnde Stimme hinter ihm. »Komm zurück! Ich befehle es dir! Du bist es mir schuldig!«

Mogens rannte nur noch schneller. Die Petroleumlampe behinderte ihn, also schleuderte er sie in seiner Panik beiseite. Sie flog drei oder vier Meter weit und zerbarst dann in einer Wolke aus Glassplittern und auseinander spritzendem brennendem Petroleum. Rotgelber Feuerschein trieb die dräuende Dunkelheit für einen Moment zurück, und Mogens tat etwas, was er schon im allernächsten Moment bitter bereuen sollte: Er lief noch schneller, drehte aber im Rennen den Kopf und sah zu Graves zurück.

Graves hatte aufgehört, wüste Drohungen hinter ihm herzukreischen, und sich wieder dem Tor und den beiden gewaltigen steinernen Götzenbildern zugewandt und die Arme in die Höhe gerissen, sodass er Mogens an den Priester eines uralten heidnischen Kultes erinnerte, der seine bizarren Götter anbetete. Im hektisch flackernden Licht des brennenden Petroleums sah es mehr denn je aus, als bewegten sich die Tentakel der beiden gewaltigen Götzenbilder, ja, als versuchten sie gar zur Gänze aus ihrer Erstarrung zu erwachen und sich von ihren gemeißelten Sockeln zu erheben, und auch mit Graves selbst schien eine neuerliche, noch viel schrecklichere Veränderung vonstatten gegangen zu sein, denn er...

Mogens' Fuß verfing sich an einem Hindernis. Ein scharfer Schmerz schoss durch seinen Knöchel, und noch während er von seinem eigenen Schwung herum - und zugleich weiter nach vorne gerissen wurde, wusste er, dass er stürzen würde. Verzweifelt und mit wild rudernden Armen versuchte er seinen Fall noch irgendwie abzufangen, aber es war vergeblich.

Der Aufprall auf den steinernen Boden war hundertmal schlimmer, als er erwartet hatte. Mogens hatte das Gefühl, einen Hammerschlag mitten ins Gesicht bekommen zu haben. Irgendetwas in seinem Mund zerbrach, und er schmeckte Blut. Zugleich wurde sein Bein mit grausamer Wucht herumgerissen und im Gelenk verdreht, denn sein rechter Fuß steckte noch immer unbarmherzig in der Spalte fest, in der er sich verfangen und so seinen Sturz ausgelöst hatte. Der Schmerz war entsetzlich, zugleich aber seltsam irreal, als beträfe er ihn schon gar nicht mehr selbst.

Er verlor nicht das Bewusstsein, aber alles wurde plötzlich leicht und gleichsam unwirklich, und selbst das kalte Entsetzen, das ihn gepackt hatte, verebbte allmählich zu einem blassen Echo irgendwo am Rande seines schwächer werdenden Bewusstseins. Blut lief seine Kehle hinab und drohte ihn zu ersticken. Der Boden, auf dem er lag, schien sich zu winden wie ein verwundetes Tier, und das Pochen seines eigenen Herzens nahm in seinen Ohren die Lautstärke dröhnender, unrhythmischer Hammerschläge an.