Выбрать главу

Unter Aufbietung jedes bisschen Willens, das er noch in sich fand, drängte er die drohende Ohnmacht zurück, presste die Handflächen gegen den Boden und stemmte sich in die Höhe. Sein Fuß reagierte mit einer wütenden Schmerzattacke, und Mogens biss die Zähne zusammen, ließ sich wieder ein Stück zurücksinken und versuchte den Fuß aus der steinernen Falle zu ziehen. Es ging, aber diesmal war der Schmerz alles andere irreal, sondern so grausam, dass ihm übel wurde. Sein Knöchel musste gebrochen sein. Er war gefangen, hilflos eingesperrt in einem steinernen Grab tief unter der Erde - und dies zusammen mit Graves, der sich mit jeder Sekunde mehr in ein Ungeheuer verwandelte.

Mogens drängte die Panik zurück, die seine Gedanken endgültig in einen schwarzen, sich immer schneller und schneller drehenden Strudel zu reißen drohte, und wälzte sich stöhnend auf den Rücken. Ein gut halbmetergroßer Steinquader stürzte von der Decke und zerbrach unmittelbar neben ihm in Stücke. Ein Hagel winziger, rasiermesserscharfer Steinsplitter überschüttete sein Gesicht und biss wie mit rot glühenden Rattenzähnchen in seine Haut. Mogens brüllte vor Schmerz und riss instinktiv die Hände vor das Gesicht, um sich vor weiteren Attacken zu schützen, war aber zugleich vor Entsetzen auch wie gelähmt. Das dumpfe, trommelnde Dröhnen hielt an, aber Mogens begriff auch endlich, dass es nicht das Geräusch seines außer Kontrolle geratenen Herzschlages war, das er hörte. Rings um ihn herum regneten Steine von der Decke. Der ganze Raum schien sich zu schütteln wie ein Schiff in stürmischer See. Ein unheimliches Grollen und Rumoren drang aus der Erde herauf, und die Luft war plötzlich so voller Staub, dass jeder Atemzug zur Qual wurde.

Ein Erdbeben! Vielleicht hatte Graves ja Recht gehabt, und die gesamte Tempelanlage versank im Boden, nicht irgendwann, nicht in einem Monat oder einer Woche, und schon gar nicht langsam, sondern jetzt, in diesem Augenblick!

Die schiere Todesangst verlieh ihm die Kraft, trotz der pochenden Schmerzen in seinem Fuß aufzuspringen und loszuhumpeln. Der Boden zitterte so heftig, dass er fast sofort wieder gestürzt wäre. Er wagte es nicht, sich zu Graves umzudrehen, schrie aber aus Leibeskräften: »Jonathan! Ein Erdbeben! Lauf!«

Er bezweifelte, dass Graves ihn hörte. Das Rumpeln und Dröhnen hatte sich mittlerweile zu einem infernalischen Getöse gesteigert, das jeden anderen Laut übertönte. Der Boden zitterte immer noch heftiger, und in die dumpfen, in immer rascherer Abfolge ertönenden Hammerschläge mischte sich jetzt ein neuer, noch viel unheimlicherer Laut: ein schweres Knirschen und Mahlen, das direkt aus dem Boden zu dringen schien, als baue sich tief im Leib der Erde eine gewaltige Spannung auf, unter der irgendetwas zerbrechen musste.

»Jonathan!«, brüllte er verzweifelt. »Lauf!«

Wieder stürzte etwas in seiner unmittelbaren Nähe zu Boden und zerbarst; diesmal verletzten ihn die Splitter nicht, aber der Hagel kleiner gefährlicher Geschosse machte ihm endgültig klar, in welcher Gefahr er sich befand. Aus den Augenwinkeln glaubte er zu sehen, wie sich einer der gewaltigen Stützpfeiler, die die Decke trugen, zu neigen begann, und das Knirschen und Mahlen wurde lauter. Etwas traf seine Schulter, und nur einen Sekundenbruchteil darauf schrammte eine unsichtbare Kralle über seinen Rücken und hinterließ eine Spur aus loderndem Schmerz. Der Boden, über den er stolperte, zitterte mittlerweile nicht mehr, sondern hob und senkte sich wie der Rücken eines wütenden Bullen, der seinen Reiter abzuwerfen versuchte.

Mogens fiel mehrmals auf die Knie, und mehr als einmal entging er nur um Haaresbreite einem stürzenden Quader, der sich aus der Decke löste. Dennoch taumelte er mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Der Ausgang lag jetzt unmittelbar vor ihm. Das Beben und der Regen aus zerbrochenem Stein hatten die Flammen des brennenden Petroleums ebenso verschlungen wie Graves' Sturmlaterne, sodass der Raum in vollkommene Dunkelheit gehüllt war, aber die elektrischen Lampen, die Tom draußen im Gang installiert hatte, brannten wie durch ein Wunder immer noch. Mogens stolperte hustend und halb blind vor Schmerz und Furcht weiter, tief in sich davon überzeugt, dass es nur die Absicht eines grausamen Schicksals sein konnte, ihm bis zum allerletzten Moment die Hoffnung zu lassen, dass er den rettenden Ausgang vielleicht doch noch erreichte, nur um ihn dann im Augenblick des vermeintlichen Triumphs zu zerschmettern.

Aber das Schicksal hatte ein Einsehen. Hinter ihm nahm das Grollen und Dröhnen immer noch mehr zu, als bräche der gesamte Raum zusammen, und er wurde noch zweimal von fallenden Steinen getroffen. Doch er erreichte den rettenden Ausgang, ohne zerschmettert oder von einem jäh aufklaffenden Abgrund im Boden verschlungen zu werden. Schlitternd und kriechend überwand er den meterhohen Schuttberg und bedankte sich in Gedanken bei Tom dafür, dass dieser das Hindernis in den letzten beiden Tagen abgetragen hatte. Hätte die Barriere noch bis unter die Decke gereicht, hätte er kaum den Mut gehabt, sich durch den schmalen Spalt zu quetschen.

Erst, als er sich unmittelbar unter der brennenden Glühlampe befand, blieb er schwer atmend stehen und wandte sich um. Er konnte den Trümmerhaufen überblicken, den er gerade überwunden hatte, doch alles, was auch nur einen halben Schritt dahinter lag, schien einfach aufgehört zu haben zu existieren. Mogens sah nichts außer einem brodelnden Chaos aus reiner Bewegung, das Staub und kleine Steinsplitter ausspie. Es erschien ihm selbst fast absurd, dass er aus dieser Hölle entkommen sein sollte. Graves war verloren, daran bestand kein Zweifel.

Und vielleicht war er es auch, und die verzweifelte Hoffnung, an die er sich klammerte, war nur eine weitere Grausamkeit des Schicksals.

Noch war er keineswegs in Sicherheit. Auch hier zitterten und bebten die Wände. Zwar hielt die Decke bislang den gewaltigen Erschütterungen stand, aber Mogens glaubte nun auch hier draußen jenes furchtbare Mahlen und Ächzen zu hören, das den endgültigen Untergang der Tempelkammer angekündigt hatte. Die Glühlampe schwankte wild an ihrem Kabel hin und her und tauchte den Gang in hektisch flackerndes Licht und flüchtende Schatten, und überall rieselte Staub; hier und da hörte er auch schon das Poltern erster, fallender Steine. Auch dieser Tunnel würde zusammenbrechen, und wenn das geschah, dann war er verloren. In dem schmalen Gang hatte er keine Chance, den fallenden Steinen auszuweichen.

Für Graves konnte er nichts mehr tun, und er rettete ihn auch nicht, wenn er hier blieb und wartete, bis er ebenfalls zermalmt wurde. Mogens stürmte weiter. Für einen Moment blieb das Zittern und Vibrieren des Bodens hinter ihm zurück, doch dann konnte er spüren, wie das Beben mit einem gewaltigen Satz in seine Richtung sprang, einem wütenden Beutejäger gleich, der sein Opfer entkommen sieht und zur Verfolgung ansetzte. Die Lampen unter der Decke schaukelten stärker. Irgendwo, nicht sehr weit hinter ihm, krachte etwas mit einem ungeheuren Schlag zu Boden, dann explodierten gleich drei der Glühlampen, die den Gang vor ihm erhellten, in einem grellen Funkenschauer, und Mogens fand sich erneut in fast vollkommener Dunkelheit wieder. Er stürmte trotzdem weiter, blind vor Angst, aber auch in dem absoluten Wissen, keine andere Wahl zu haben, als das Risiko dieses irrsinnigen Spurts durch die Finsternis.

Natürlich schaffte er es nicht.

Dieses Mal war das Schicksal tatsächlich grausam genug, ihn sein Ziel nahezu erreichen zu lassen: Vor ihm lag die offen stehende Tür des Geheimganges. Die Tempelkammer dahinter war unversehrt - zumindest war sie noch hell erleuchtet -, und Mogens mobilisierte noch einmal alle Kräfte zu einem verzweifelten Endspurt.

Etwas traf seine Brust mit der Gewalt eines Hammerschlages, trieb ihm die Luft aus den Lungen und ließ ihn mit solcher Wucht zurücktaumeln, dass er gegen die gegenüberliegende Wand prallte und zusammenbrach.