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»Steffen?«, keuchte Graves. »Bist du verrückt?«

»Keineswegs«, antwortete Mogens. »Ich kenne diese Art von Männern, Jonathan. Und du kennst sie auch. Steffen wird nicht aufgeben, bevor er sein Ziel erreicht hat.«

»Vielleicht hast du sogar Recht«, sagte Graves nach kurzem Nachdenken. »Was Steffen angeht, nicht deinen verrückten Vorschlag, ihm alles zu zeigen. Er wird nicht aufgeben; umso mehr sollten wir uns beeilen.« Er machte eine Kopfbewegung zum Zelt hin. »Tom war vorhin unten im Tunnel. Es ist schlimm, aber nicht so schlimm, wie es hätte kommen können. Ich habe Tom gebeten, die am stärksten beschädigten Teile des Gangs mit ein paar Balken abzustützen, und er hat mir zugesagt, die Arbeit bis heute Nachmittag zu beenden. Du solltest die Zeit nutzen, um dich ein wenig auszuruhen. Ich werde das jedenfalls tun. Ich fürchte, in den nächsten Tagen werden wir kaum noch zum Schlafen kommen.«

»Hast du mir nicht zugehört, Jonathan?«, fragte Mogens. »Ich werde nicht wieder dort hinuntergehen.«

»O doch, Mogens, das wirst du«, antwortete Graves lächelnd.

»Willst du mich zwingen?«

»Ich wüsste nicht, wie«, bekannte Graves freimütig. »Aber es wird auch kaum notwendig sein. Dazu kenne ich dich zu gut, Mogens. Ganz egal, was man über dich sagt und was andere über dich denken mögen, du bist ein Forscher mit Leib und Seele. Du kannst gar nicht aufhören, bevor du das Geheimnis dieser Tür gelöst hast. Und nun geh und versuche zu schlafen. Heute Nacht wirst du deine Kraft bitter nötig haben.«

13.

Obwohl Mogens nicht vorgehabt hatte, Graves' Rat zu folgen und zu schlafen, überkam ihn doch eine plötzliche Müdigkeit, kaum dass er in sein Quartier zurückgegangen war, sodass er sich aufsein Bett sinken ließ - nicht um zu schlafen, sondern nur, um zur Ruhe zu kommen und seine Gedanken zu ordnen. Kaum aber hatte sein Kopf das Kissen auch nur berührt, da sank er in einen tiefen, traumlosen Schlummer, aus dem er erst lange nach der Mittagsstunde erwachte, körperlich erfrischt wie schon seit langem nicht mehr, aber ärgerlich auf sich selbst: Zweifellos hatte sich sein Körper einfach nur genommen, was ihm zustand, nach den Anstrengungen und der überstandenen Todesangst der letzten Nacht, aber er hatte nicht schlafen wollen, allein schon deswegen, weil Graves ihm genau das geraten hatte, und er empfand es beinahe als persönliche Niederlage, der Müdigkeit nachgegeben zu haben.

Er war hungrig. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass Tom schon seit einer guten Stunde mit dem Mittagessen in Verzug war, was seinen Ärger nur noch weiter schürte.

Angesichts der wirren Bilder aus der vergangenen Nacht, mit der ihn seine Erinnerung immer noch zu quälen versuchte, scheute er davor zurück, hinauszugehen und nach Tom zu suchen, sodass er nur einen Schluck Wasser trank und sich sodann wieder seinen Büchern zuwandte, um sich abzulenken.

Es funktionierte nicht.

Es waren nicht nur sein grummelnder Magen und die innere Unruhe, die ihm aus seinen Träumen hinüber in die Wirklichkeit gefolgt waren, die es Mogens fast unmöglich machten, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Etwas hatte sich verändert. Die Bilder, Symbole und Zeichnungen, die ihm bisher so eingängig erschienen waren, waren ihm auf einmal so unverständlich wie Keilschrift-Texte. Noch am Tage zuvor hatte er die Bücher, die Graves aus der Bibliothek der Miskatonic-Universität herbeigeschafft hatte, mit einer geradezu erstaunlichen Mühelosigkeit entziffern können, nun aber weigerten sich die uralten Schriften plötzlich, irgendetwas von ihrem Geheimnis preiszugeben. Es war, als hätte das Wissen, das er sich in den letzten Tagen so mühelos angeeignet hatte, seinen Zweck erfüllt; nicht mehr als ein Werkzeug, das ihm für eine gewisse Weile zur Verfügung gestellt und nun wieder weggenommen worden war. Es war frustrierend, aber zugleich erschreckte es ihn auch auf eine Weise, die er sich kaum erklären konnte. War ihm auch seine Fähigkeit abhanden gekommen, die Schrift zu erfassen, so war doch etwas geblieben, das ihn schaudern ließ: das sichere Wissen, an etwas gerührt zu haben, an das nicht gerührt werden durfte.

Er hatte gute zwei Stunden in den Büchern geblättert, bis er endlich zu einem Entschluss kam. Ganz egal, was geschah, und was Graves ihm auch immer anbot oder womit er ihm drohte: Er würde nicht wieder dort hinuntergehen, sondern diesen verfluchten Ort ganz im Gegenteil verlassen, und das noch heute.

Mogens klappte das Buch zu, in dem er zuletzt geblättert hatte, stellte es sorgsam an seinen Platz auf dem Bücherbord zurück und verließ das Haus, um zu Graves hinüberzugehen und ihn von seinem Entschluss in Kenntnis zu setzen.

Er platzte mitten in einen fürchterlichen Streit hinein. Graves war nicht allein. Die Tür zu seiner Blockhütte stand - ungewöhnlich genug - weit auf, und Mogens hörte erregte Stimmen, schon bevor er sich dem Haus auch nur auf zehn Schritte genähert hatte.

Er identifizierte Hyams' Stimme - warum überraschte ihn das nicht? -, aber auch die von McClure. Mogens war für einen Moment im Zweifel, ob er weitergehen sollte. Dass das Verhältnis zwischen Graves und den anderen nicht das Beste war, hatte er schon in seiner allerersten Stunde hier herausgefunden, sich aber bisher mit einigem Erfolg bemüht, sich aus diesem Disput herauszuhalten. Aber auch dafür war es zu spät. Die Zeit, sich aus irgendetwas herauszuhalten, was mit dieser unheimlichen Fundstelle zusammenhing, war schon längst vorbei.

Ohne anzuklopfen, trat Mogens ein und warf einen raschen Blick in die Runde, bevor er sich Graves und den anderen zuwandte. Er war noch nie hier drinnen gewesen, aber die kurze Beschreibung, die Tom ihm auf der Fahrt im Automobil hierher gegeben hatte, erwies sich als so treffend, dass er das Gefühl hatte, dieser Raum wäre ihm seit langem vertraut. Eine ganze Wand wurde von einem gewaltigen Regal voller Bücher und Pergamentrollen eingenommen und auf dem großen Tisch, hinter dem Graves saß, erhob sich ein Durcheinander aus Glaskolben und -röhren, Bunsenbrennern, Tiegeln und Kolben, das Mogens mehr an das Labor eines mittelalterlichen Alchimisten erinnerte als an irgendetwas, das einem seriösen Wissenschaftler des gerade erwachten zwanzigsten Jahrhunderts anstand.

Mogens schenkte all dem kaum mehr als einen flüchtigen Blick. Er war nicht nur mitten in einen Streit hineingeplatzt, er spürte auch überdeutlich, wie unwillkommen er in dieser Runde - und vor allem in diesem speziellen Moment - war. McClure, der im Augenblick seines Eintretens mit erregter Stimme und noch viel erregterem Gestikulieren auf Graves eingeredet hatte, brach mitten im Wort ab und sah betroffen in seine Richtung, während Hyams ihn kampflustig anfunkelte. Mercer sah weg.

»Komme ich ungelegen?«, fragte Mogens.

»Keineswegs«, antwortete Graves. Mercer und McClure gaben sich alle Mühe, durch ihn hindurchzusehen, während allein Hyams' Blicke ausreichten, seine Frage mit einem eindeutigen Ja zu beantworten.

»Tritt ruhig ein, Professor«, fuhr Graves fort. Ein dünnes, nicht sehr langlebiges Lächeln huschte über sein Gesicht. »Deine geschätzten Kollegen reden gerade über dich, Professor. - Aber ich nehme doch an, es ist dir lieber, wenn sie mit dir reden.«

Mogens war nicht nach rhetorischen Spitzfindigkeiten. »Was geht hier vor?«, fragte er scharf.

»Sagte ich das nicht bereits, Professor?«, gab Graves zurück. »Es geht um dich.«

Es war das dritte Mal, dass er Mogens nicht mit seinem Namen ansprach, sondern mit seinem akademischen Grad, und Mogens glaubte nicht, dass das ohne Grund geschah. Graves' Absicht verfehlte jedoch ihr Zieclass="underline" Indem er das Gewicht seines Professorentitels so übermäßig betonte, schien er seine Position eher zu schwächen.

»Unsinn!«, sagte Hyams, bevor Mogens antworten konnte. »Es geht nicht um Sie, Professor.« Aus ihrem Mund klang dieses Wort eher verächtlich, fand Mogens - und dazu hätte es des abfälligen Lächelns, das ihre schmalen Lippen umspielte, gar nicht mehr bedurft. »Nehmen Sie sich bloß nicht so wichtig.« Sie wandte sich demonstrativ wieder zu Graves um. »Also, wie lautet Ihre Antwort?«