Graves schüttelte müde den Kopf. »Meine Erziehung verbietet mir, Ihnen die Antwort zu geben, die Sie eigentlich verdienen, meine Liebe«, sagte er. »Auch wenn ich annehme, dass Sie sie sicher kennen. Ich lasse mich nicht erpressen. Nicht einmal von einer attraktiven Frau wie Ihnen, Doktor Hyams.«
»Erpressen?« Hyams dachte einen Moment über dieses Wort nach. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Nun, wenn Sie es so sehen wollen...« Sie streifte Mogens mit einem kurzen, eisigen Blick. »Ich gebe Ihnen eine Stunde Zeit, über das nachzudenken, was ich Ihnen gesagt habe, Doktor Graves. Entscheiden Sie sich richtig.«
»Dasselbe würde ich Ihnen raten, Doktor Hyams«, antwortete Graves eisig. »Wir haben einen Vertrag.«
»Dann verklagen Sie mich doch.« Hyams funkelte ihn noch einen Moment lang herausfordernd an, aber als der Widerspruch nicht kam, auf den sie ganz offensichtlich wartete, drehte sie sich mit einem Ruck um und stürmte durch die offen stehende Tür hinaus. McClure folgte ihr auf dem Fuß, während Mercer spürbar zögerte und sich auch noch spürbarer nicht besonders wohl in seiner Haut fühlte, als er ihr endlich nachging und selbst das erst, nachdem er Mogens einen fast flehend um Verständnis bettelnden Blick zugeworfen hatte.
»Dummköpfe«, grollte Graves. »Falls du dich noch nie gefragt haben solltest, was man unter dem Wort Blaustrumpf versteht, Mogens, dann sieh dir Hyams an.«
»Was hatte das zu bedeuten?«, fragte Mogens. »Was war hier los?«
Graves seufzte. »Etwas, das ich schon seit einer geraumen Zeit befürchtet habe«, räumte er ein. »Miss Hyams mag kein sehr angenehmer Mensch sein, aber sie ist nicht dumm. Sie hat von Anfang an geargwöhnt, dass dort unten noch mehr ist als ein versunkener Tempel, den die Nachfahren altägyptischer Seeleute errichtet haben.« Er seufzte. »Das Erdbeben, Mogens. Sie hat irgendetwas gefunden. Ich weiß nicht was. Ich hatte allen verboten, noch einmal nach unten zu gehen, aber ich hätte mir denken sollen, dass Hyams sich nicht daran halten würde.« Er hob die Schultern. »Also gut, du willst wissen, was sie wollte? Sie hat mir ein Ultimatum gestellt. Aber ich schätze es nicht, unter Druck gesetzt zu werden.«
»Was für ein Ultimatum?«
»Nun, sie hat mich vor die Wahl gestellt, ihr zu zeigen, was wir wirklich gefunden haben - oder sie und die beiden anderen legen ihre Arbeit nieder und gehen.«
»Und?«, fragte Mogens.
»Sollen sie gehen«, sagte Graves kalt. »Wir brauchen sie nicht mehr.« Er stand auf, kam um den Tisch herum und streckte den Arm aus, wie um Mogens die Hand auf die Schulter zu legen, hielt dann aber im letzten Moment inne, als Mogens instinktiv zurückzuckte. Er hätte es nicht ertragen, von diesen schrecklichen Händen berührt zu werden.
Mogens räusperte sich unbehaglich. »Jonathan, du...«
»Wir sind fast am Ziel, Mogens!«, fiel ihm Graves ins Wort. »Verstehst du denn nicht? Wir brauchen diese Dummköpfe nicht mehr!«
»Sie werden nicht über das schweigen, was sie hier gesehen haben«, gab Mogens zu bedenken.
»Und?« Graves machte eine wegwerfende Geste. »Sollen sie! Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Wir haben es geschafft, begreifst du das denn nicht? Sollen sie reden! Sollen sie meinetwegen zu Wilson laufen und ihm alles erzählen, oder sogar zu diesem Dummkopf Steffen. Es stört mich nicht. Jetzt nicht mehr.«
»Vor ein paar Stunden noch hast du dich ganz anders angehört«, erinnerte ihn Mogens.
»Da war mir noch nicht klar, wie nahe wir unserem Ziel sind«, sagte Graves, plötzlich erregt und scheinbar nicht mehr imstande, still zu stehen oder auch nur die Hände ruhig zu halten. »Tom ist mit seiner Arbeit fertig. Wir können binnen einer Stunde wieder hinuntergehen und unser Werk fortsetzen.«
Mogens sah ihn beinahe fassungslos an. »Hast du mir gar nicht zugehört?«, fragte er. »Ich werde diesen verfluchten Ort nicht noch einmal betreten! Um keinen Preis.«
Er trat demonstrativ einen Schritt zurück und straffte die Schultern. Graves starrte ihn mit ausdruckslosem Gesicht an, aber in seinen Augen begann wieder dieselbe lodernde Wut zu erwachen, mit der er Hyams und die beiden anderen zuvor gemustert hatte. »Du solltest dir das gut überlegen, Mogens«, sagte er kalt.
Irgendetwas schien sich unter seinem Gesicht zu bewegen. Er... veränderte sich, auf eine unsichtbare, grauenerregende Weise, die es Mogens immer schwerer machte, ihn auch nur anzusehen, geschweige denn, seinem Blick standzuhalten.
Dennoch fuhr er fort: »Ich habe es mir überlegt, Jonathan. Mein Entschluss steht fest. Ich werde von hier verschwinden, noch heute. Ich hätte erst gar nicht kommen sollen.«
»Du elender Narr!«, zischte Graves. »Dann geh doch! Lauf zu den anderen, und beeil dich! Vielleicht haben sie noch Platz für dich in ihrem Wagen!«
Mogens setzte zu einer Antwort an, aber es war ihm plötzlich nicht mehr möglich, Graves' Blick weiter standzuhalten oder noch länger in dieses unheimliche, sich unentwegt weiter verändernde Gesicht zu sehen. Wozu auch? Graves gehörte nicht zu den Männern, die Argumenten zugänglich waren, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatten.
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging zu seiner Unterkunft zurück, um seine Koffer zu packen.
14.
Er brauchte nicht lange, um seine Kleider in den beiden abgewetzten Koffern zu verstauen, mit denen er gekommen war. Seine ohnehin bescheidene Habe war noch weiter zusammengeschmolzen; das gestern Nacht getragene Hemd und die Hose konnte er nur noch wegwerfen, und auch die Kleider, die er auf dem Friedhof getragen hatte, waren vermutlich nicht mehr zu retten. Mogens stopfte alles, was noch übrig war, unordentlich in den Koffer und wandte sich dann dem Regal zu, um die mitgebrachten Bücher auszusortieren.
Die Tür ging auf, und Mogens spürte, wie jemand hereinkam und nach zwei schweren Schritten stehen blieb.
»Nur keine Bange«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Ich nehme nur mit, was mir gehört. Deinen kostbaren Originalen wird nichts geschehen.«
»Aber das weiß ich doch, mein lieber Professor«, sagte eine Stimme hinter ihm, die ganz eindeutig nicht Jonathan Graves gehörte. »Sie würden doch niemals etwas anrühren, das nicht Ihnen gehört.«
Mogens fuhr herum und erstarrte für geschlagene fünf Sekunden mitten in der Bewegung. Er konnte selbst spüren, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich.
»Miss Preussler?«
»Es ist schön, dass Sie mich noch erkennen, nach all der Zeit«, sagte Miss Preussler spöttisch. Sie war es tatsächlich. Es war vollkommen unmöglich, ausgeschlossen und absolut lächerlich - Miss Preussler war zweieinhalbtausend Meilen weit weg, in einem Kaff am anderen Ende des Landes, und sie hatte Thompson Zeit ihres Lebens nie verlassen! Aber sie war es! Sie stand zwei Schritte hinter der Tür, mit einem abgewetzten Koffer in der linken und einen kleinen Bastkorb in der rechten Hand, aus dem Mogens zwei orangerote glühende Augen entgegenstarrten.
»Miss Preussler«, murmelte Mogens noch einmal.
»Ja, das sagten Sie bereits«, erwiderte Miss Preussler und zog eine Schnute. »Ich sollte jetzt eigentlich böse sein, Professor. Ist das vielleicht eine Art, eine gute alte Freundin zu begrüßen?«
Sie stellte den Bastkorb mit Cleopatra ab, ließ den Koffer, den sie in der anderen Hand trug, einfach fallen und breitete die Arme aus, als erwarte sie allen Ernstes, dass Mogens ihr vor Freude um den Hals fiel.