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Mogens rührte sich nicht von der Stelle. Das konnte er gar nicht.

»Aber wo... ich meine: Wie kommen Sie denn hierher?«, stotterte er.

Miss Preussler ließ enttäuscht die Arme sinken. Eine Sekunde lang verlor sie die Kontrolle über ihre Physiognomie; sie sah nicht nur so aus, Mogens erkannte ganz deutlich, dass sie nahe daran war, in Tränen auszubrechen. Im nächsten Moment aber hatte sie sich wieder in der Gewalt und zwang ein - wenn auch leicht verunglücktes - Lächeln auf ihre Züge.

»Nun, es war eine recht lange und beschwerliche Reise, das gebe ich gern zu«, sagte sie. »Aber ich habe sie gerne auf mich genommen, um Sie wiederzusehen, mein Lieber.«

»So«, machte Mogens. Das war gewiss nicht unbedingt die intelligenteste aller vorstellbaren Antworten. Sie war nicht einmal besonders höflich. Aber es war alles, was er herausbrachte. Seine Gedanken drehten sich wirr im Kreis. Miss Preussler? Hier? Aber warum?

Miss Preussler seufzte. »Ja, ich sehe schon, die schiere Wiedersehensfreude hat Sie überwältigt. Ich hätte Sie vorwarnen sollen. Soll ich in die Stadt zurückfahren und Ihnen ein Telegramm schicken, oder reicht es, wenn ich noch einmal nach draußen gehe und anklopfe?«

»Nein, das... das sicher nicht.« Mogens brach ab, raffte mit einiger Mühe zumindest genug Kraft zusammen, um entschuldigend die Achseln zu heben und setzte nach einem unbehaglichen Räuspern neu an. »Bitte entschuldigen Sie mein Betragen, Miss Preussler. Ich war nur so überrascht, Sie zu sehen.«

Endlich löste er sich aus seiner Erstarrung und eilte um den Tisch herum und auf Miss Preussler zu, blieb aber vorsichtshalber in zwei Schritten Abstand wieder stehen, bevor sie seine Bewegung falsch deuten und auf die Idee kommen konnte, ihn etwa doch noch in die Arme zu schließen.

»Ich... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, sagte er. »Zuerst einmal herzlich willkommen. Aber dennoch: Wie kommen Sie hierher? Ich meine: Warum um alles in der Welt haben Sie diese lange und beschwerliche Reise auf sich genommen?«

Miss Preussler maß ihn mit einem langen, gleichermaßen spöttischen wie auch leicht tadelnden Blick, aber sie antwortete nicht sofort auf seine Frage, sondern sah sich zuerst ausgiebig und stirnrunzelnd im Zimmer um, wobei der Ausdruck auf ihrem Gesicht zunehmend missbilligender wurde.

»O je«, murmelte sie. »Wenn ich mich hier so umsehe, dann scheint es ja höchste Zeit zu sein, dass ich gekommen bin. Diesem«, sie zögerte einen Moment, als hätte sie Hemmungen, das Wort Zimmer im Zusammenhang mit dem auszusprechen, was sie sah, »... Raum fehlt ganz eindeutig die Hand einer Frau.«

Und dann tat sie etwas, was Mogens abermals ungläubig Mund und Augen aufreißen ließ: Ohne auch nur ihren Mantel abzulegen, ging sie an ihm vorbei und bückte sich nach dem unordentlichen Haufen zerrissener Kleider, der neben seinem Bett auf dem Boden lag. Mogens war nicht ganz sicher, glaubte aber, sie etwas murmeln zu hören, das sich wie »Männer!« anhörte.

»Aber Miss Preussler, ich bitte Sie!«, sagte er. »Was tun Sie denn da? Legen Sie doch erst einmal ab.«

Miss Preussler richtete sich schnaufend wieder auf, seine zerrissene Hose in der rechten und das zerfetzte Hemd in der linken Hand wie zwei Beutestücke, die sie nach langer Jagd endlich errungen hatte. »Das täte ich ja gerne, aber ich fürchte, dazu muss ich erst einmal den nötigen Platz schaffen«, sagte sie. »Professor, ich muss mich wundern. Sie waren doch immer ein so auf Ordnung bedachter Mann!«

Mogens ging zu ihr, nahm ihr die beiden zerrissenen Kleidungsstücke aus den Händen und ließ sie genau dort wieder zu Boden fallen, wo sie sie gerade aufgehoben hatte.

»Ich war gerade dabei, zu packen«, sagte er.

Miss Preussler blinzelte. »Packen?«

»Ich reise ab«, bestätigte Mogens. »Es tut mir Leid, aber ich fürchte, Sie haben sich den weiten Weg vergebens gemacht.«

»Sie bleiben nicht hier?«, vergewisserte sich Miss Preussler. Sie klang nicht enttäuscht, oder gar ärgerlich. Im Gegenteil.

»Ja«, sagte er. »Die Arbeit ist... anders, als ich mir vorgestellt habe. Ich fürchte, es war ein Fehler, überhaupt hierher zu kommen.«

Miss Preussler sparte es sich, zu antworten: Das habe ich Ihnen ja gleich gesagt, aber er konnte die Worte so deutlich in ihren Augen lesen, als hätte sie es gesagt. »Bieten Sie mir trotzdem einen Platz an?«, fragte sie.

Mogens fuhr hastig herum und zog den einzigen Stuhl heran, den es in seinem Zimmer gab. Ein Stapel Papiere lag darauf, den er hochhob und einen Moment lang fast hilflos in den Händen hielt, bevor er ihn auf die schräge Platte des Stehpults legte. Er rutschte herunter, und die Papiere verteilten sich auf dem Boden. Miss Preussler zog die Augenbrauen hoch, aber sie schwieg dazu und wartete, bis Mogens ihr aus dem Mantel geholfen hatte, und nahm dann Platz. Ihr Blick glitt viel sagend über den unordentlich überladenen Tisch, aber zu Mogens' Überraschung sagte sie auch dazu nichts.

»Ihre Arbeit hier gefällt Ihnen also nicht«, sagte sie, wobei es ihr nicht ganz gelang, einen gewissen Unterton von Zufriedenheit aus ihrer Stimme zu verbannen.

»Ja... ich meine, nein«, sagte Mogens irritiert. »Es ist nur... nicht das, was ich erwartet habe.«

»Es ist dieser schreckliche Mensch, nicht wahr? Dieser Doktor Graves.« Miss Preussler beantwortete ihre eigene Frage mit einem Nicken, das keinen Widerspruch zuließ. »Nun, dann war es ja vielleicht ganz klug von mir, Ihr Zimmer noch nicht weiterzuvermieten.«

Mogens brauchte eine geschlagene Sekunde, bis er begriff, was Miss Preussler überhaupt meinte. »Sie haben...?«

»Aber ich wusste doch, dass Sie zurückkommen, mein lieber Professor«, antwortete Miss Preussler lächelnd. »Jemand von Ihrem gebildeten Wesen kann es unmöglich lange in der Gesellschaft eines solchen Unholds wie diesem Graves aushalten. Und dann diese Umgebung hier!« Sie ließ ihren Blick demonstrativ durch das Zimmer schweifen und schüttelte dann noch demonstrativer den Kopf. »Nein, das ist nichts für Sie. Ich habe gewusst, dass Sie zurückkommen. Allerdings«, fügte sie nach einer fast unmerklichen Pause hinzu, »hätte ich nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde. Aber ich wusste, dass Sie zurückkommen.«

So oft, wie sie diesen Punkt betonte, erwartete sie offenbar eine ganz bestimmte Reaktion von Mogens. Aber er blieb sie ihr schuldig, zumindest im ersten Moment.

Mogens gestand sich ein, dass er noch gar nicht darüber nachgedacht hatte, wohin er von hier aus gehen wollte. Zurück nach Thompson? Allein die Vorstellung erfüllte ihn mit einem Entsetzen, das dem, das er bei dem Gedanken an Graves verspürte, kaum nachstand.

»Sie kommen doch zurück?«, fragte Miss Preussler direkt, als er auch nach etlichen weiteren Sekunden noch nicht antwortete. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Professor. Ich habe mit dem Dekan gesprochen. Sie können Ihren Posten wieder antreten. Man wird Ihnen eine Woche Gehalt abziehen, aber das ist auch alles. Er war zuerst nicht besonders davon angetan, das muss ich gestehen, aber es ist mir gelungen, ihn umzustimmen.« Sie lächelte verschmitzt. »Ich verfüge über gewisse Informationen über seine Schwiegertochter, von denen er offensichtlich nicht wollte, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen.«

Mogens schwieg weiter. Natürlich würde er nach Thompson zurückkehren. Er war noch nicht so weit, es sich selbst gegenüber einzugestehen, aber tief in sich hatte er längst begriffen, dass er genau dies tun würde. Er würde nach Thompson zurückgehen, er würde seinen verhassten Posten in einem fensterlosen winzigen Büro im Keller der Universität wieder antreten und wieder in das Zimmer mit dem brandfleckigen Boden in Miss Preusslers Pension einziehen, und sein Leben würde weitergehen, als wäre seine endlose Monotonie niemals unterbrochen worden. Die Vorstellung jagte ihm einen Schauder über den Rücken. Und dennoch wusste er, sein Entschluss, Graves zu begleiten, war nichts als ein letztes verzweifeltes Aufbegehren gewesen, sein allerletzter Versuch, dem zu entkommen, was aus seinem Leben geworden war, aber dieser Versuch war gescheitert, und er wusste, dass er die Kraft für einen weiteren derartigen Versuch nicht mehr aufbringen würde.