Miss Preussler reagierte auch darauf nicht, aber Mogens, der ihr Gesicht zumindest im Profil sah, konnte ein flüchtiges Gefühl von Zufriedenheit nicht ganz verleugnen. Graves hatte weitere Minus-punkte bei ihr gesammelt; einfach, indem er die Worte Frau und Bett zusammen in einem Satz verwendet hatte.
»Aber es bleibt doch bei unserer Verabredung zum Abendessen?«, fuhr Graves fort.
»Ich bin nicht besonders hungrig.« Miss Preussler richtete sich auf die Knie hoch und stampfte den ersten Stapel Papier auf die Tischplatte vor Mogens. »Und es wäre mir auch peinlich, wenn Sie sich meinetwegen eigens so viel Mühe machen würden.«
»Aber ich bitte Sie!« Graves winkte mit beiden Händen ab. »So selten, wie wir hier Besuch haben, ist es mir ein Vergnügen. Außerdem«, fügte er mit einem angedeuteten Lächeln hinzu, »bereitet es mir keine Mühe. Allenfalls die, Tom ein paar zusätzliche Anweisungen zu geben. Er ist ein ausgezeichneter Koch, Sie werden sehen.«
Miss Preussler würdigte ihn auch jetzt noch keiner Antwort, aber sie unterbrach ihre Arbeit für einen kurzen Moment, um einen Blick in die Runde zu werfen, der dafür umso beredter war. Vielleicht überlegte sie, ob Toms Fähigkeiten als Koch wohl ebenso zu wünschen übrig lassen würde wie die als Haushälter.
»Also gut.« Graves stand auf und machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über die Entwicklung, die dieses Gespräch genommen hatte. Anscheinend war er mit einer bestimmten Absicht hierher gekommen, die er nun offensichtlich nicht mehr verwirklichen zu können glaubte. »Dann werde ich mal wieder nach dem Rechten sehen. Es bleibt dann dabei: in zwei Stunden drüben in meiner Hütte.« Er machte ein paar Schritte in Richtung Tür und blieb dann wieder stehen, um sich noch einmal zu Miss Preussler umzudrehen.
»Ach, Miss Preussler - machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Katze. Sie hat sich vor dem Unwetter in Sicherheit gebracht. Tom kümmert sich um sie.«
»Cleopatra ist bei Ihnen?«, fragte Miss Preussler zweifelnd.
»Ich fürchte, Ihre vierbeinige Freundin hat mich nicht unbedingt in ihr Herz geschlossen«, bekannte Graves mit einem verlegenen Lächeln. »Dafür scheint sie einen um so größeren Narren an Tom gefressen zu haben. Ich gebe ihm Bescheid, dass er sie zum Essen mitbringt.«
18.
Das Unwetter tobte noch gute anderthalb Stunden mit wachsender Wut, bevor seine Kraft allmählich nachließ und aus dem heulenden Orkan ein normaler Wind und aus dem hämmernden Trommelfeuer wieder normaler Regen wurde. Mogens öffnete ein paar Mal die Tür, um nach draußen zu sehen, und der Regen war jedes Mal schwächer geworden. Auf geradezu unheimliche Weise pünktlich, um ihnen keinen Vorwand zu liefern, Graves' Einladung auszusitzen, hörte der Regen ganz auf. Der Wind flaute zu einer sachten Brise ab, deren Kraft kaum noch ausreichte, um die Wolken am Himmel auseinander zu treiben.
Dennoch wurde es nicht hell. Im gleichen Maße, in dem die Regenwolken über ihnen ihre Farbe verloren und sich schließlich ganz auflösten, senkte sich die Dämmerung über das Land. Es blieb dunkel, auch als sie das Haus verließen und sich auf den kurzen Weg zu Graves' Unterkunft machten.
Sie erlebten noch eine weitere, diesmal aber angenehme Überraschung: Obwohl der stundenlange Regen den Platz endgültig in einen Morast verwandelt hatte, erreichten sie die Hütte trockenen Fußes, denn jemand - vermutlich Tom - hatte sich die Mühe gemacht, einen Weg aus Planken dorthin zu legen, sodass sie zwar vorsichtig balancieren mussten, aber zumindest nicht Gefahr liefen, bis an die Knöchel in Schlamm zu versinken. Miss Preussler zeigte sich äußerst angetan von dieser Zuvorkommenheit, in Mogens weckte sie jedoch nur eine Mischung aus Ärger und kindischem Trotz. Auch wenn er sich wenig um solcherlei Dinge gekümmert hatte, war ihm doch klar, dass Tom praktisch alle im Lager anfallenden Arbeiten allein verrichtete. Dutzende der schweren Bohlen herbeizuschleppen und auszulegen musste eine ziemliche Plackerei gewesen sein - und eine überflüssige dazu. Bei Miss Preussler hatte Graves von Anfang an keine Chance gehabt, und was ihn anging, hätte er den Weg zu seiner Hütte mit massiven Goldbarren pflastern können, ohne dadurch irgendetwas an Mogens' Entschluss zu ändern, so bald wie möglich abzureisen.
Graves' Hütte war vom warmen Schein zahlreicher Kerzen erhellt, als sie eintraten, und das war nicht alles, was sich verändert hatte. Die Veränderung war beinahe so radikal wie die, die in Mogens' Quartier stattgefunden hatte, nur dass Graves keine Miss Preussler zur Verfügung gehabt hatte: Der Raum war bis in den hintersten Winkel pedantisch aufgeräumt, und der große Tisch, der sich Mogens noch vor wenigen Stunden als ein einziges Chaos dargeboten hatte, war zu einer festlichen Tafel für drei Personen gedeckt worden, das jedem Nobelrestaurant Ehre gemacht hätte: Es gab kostbares Porzellan, Gläser aus geschliffenem Kristallglas und schweres Silberbesteck mit Einlagen aus Gold. In der Luft lag ein Wohlgeruch, der Mogens das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Die allergrößte Überraschung aber stellte Jonathan Graves selbst dar: Er hatte sich umgezogen und trug Frack, ein blütenweißes Hemd und Fliege, dazu Gamaschen und hochglanzpolierte Schuhe. Mogens, der sich für die geplante Reise eher nach Kriterien wie Zweckmäßigkeit und Robustheit umgezogen hatte, kam sich plötzlich schäbig, ja, fast ein wenig schmuddelig vor, was seinen Ärger auf Graves noch mehr anstachelte. Vermutlich hieße es, Graves trotz allem zu viel Bosheit zu unterstellen, indem er annahm, dass irgendeine Absicht dahinter steckte, aber Mogens gefiel diese Vorstellung. Es war, als suche er nun, wo er sich einmal von Graves' Einfluss freigemacht hatte, fast krampfhaft nach allem, was er seinem ehemaligen Kommilitonen anlasten konnte.
Graves erhob sich bei ihrem Eintreten, eilte Miss Preussler entgegen und verbeugte sich zu einem perfekten Handkuss. Miss Preussler war viel zu perplex, um irgendetwas anderes zu tun, als einfach dazustehen und Graves anzustarren. Ihre Überraschung, erkannte Mogens besorgt, war jedoch eher angenehmer Art.
»Meine liebe Miss Preussler!«, begrüßte sie Graves. »Mogens! Willkommen in meiner bescheidenen Behausung!«
Er richtete sich auf, trat einen Schritt zurück und machte eine einladende Geste auf den gedeckten Tisch. »Bitte nehmen Sie doch Platz. Tom wird Ihnen sofort einen Aperitif bringen.«
Noch immer reichlich perplex, folgte Miss Preussler seiner Einladung augenblicklich, während es in Mogens' Fall einer Wiederholung seiner wedelnden Geste bedurfte. Mogens war kaum weniger überrascht als Miss Preussler - vermutlich sogar mehr, denn anders als sie hatte er diesen Raum noch vor wenigen Stunden in einem gänzlich anderem Zustand gesehen. Es war ihm vollkommen unverständlich, wie Tom dieses Wunder in so kurzer Zeit vollbracht und dabei auch noch dieses zumindest himmlisch riechende Mahl zubereitet hatte - ganz davon zu schweigen, dass Graves behauptete, er habe auch noch den einsturzgefährdeten Tunnel gesichert und die schlimmsten Trümmer beseitigt.
Graves nahm ebenfalls Platz und wandte sich mit einem um Vergebung heischenden Lächeln an Miss Preussler. »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, meine Liebe. Mir ist natürlich klar, dass das hier nicht dem Standard entspricht, den eine Frau wie Sie gewohnt ist, aber wir waren leider gezwungen, ein wenig zu improvisieren. Wir haben hier nicht sehr oft Besuch.«
»Aber ich bitte Sie, Doktor Graves!«, antwortete Miss Preussler. »Das ist... das ist geradezu fantastisch! Ich weiß gar nicht genau, was ich sagen soll!«
»Darf ich das als Kompliment auffassen?«
»Und ob Sie das dürfen!«, antwortete Miss Preussler.
»Danke sehr«, antwortete Graves. »Aber das Kompliment gebührt wohl eher Tom. Ich muss gestehen, dass er zum Großteil für dieses Wunder verantwortlich zeichnet.«
»Ah ja, Tom.« Miss Preussler nickte. »Der Professor hat mir von ihm erzählt. Ich würde diesen bemerkenswerten jungen Mann gerne einmal kennen lernen.«