»Ihr Wunsch ist mir Befehl, Gnädigste«, sagte Graves. Und es war ganz gewiss kein Zufall, dass genau in diesem Moment die Tür aufging und Tom hereinkam, beladen mit einem Silbertablett, auf dem eine Kristallkaraffe und drei dazu passende Gläser standen. Ein schwarzer Schemen mit orangerot glühenden Augen flitzte zwischen seinen Beinen hindurch, sprang mit einem Satz auf Miss Preusslers Schoß und rollte sich schnurrend zu einem Ball zusammen.
»Cleopatra, da bist du ja wieder!«, rief Miss Preussler erfreut. »Wo warst du nur die ganze Zeit, du kleine Rumtreiberin?« Sie begann die Katze zwischen den Ohren zu kraulen. Cleopatras Schnurren wurde noch lauter, aber nur für einen Moment - dann setzte sie sich auf, machte einen Buckel und drehte den Kopf in Graves' Richtung. Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen und sie ließ ein Fauchen hören, bei dem sie anscheinend ein Dutzend winziger, aber nadelspitzer Zähnchen bleckte.
»Aber Cleopatra, was soll denn das?«, schimpfte Miss Preussler. »Wirst du dich wohl unserem Gastgeber gegenüber anständig benehmen?«
Als hätte Cleopatra die Worte verstanden, rollte sie sich wieder zusammen. Sie fauchte nicht mehr, aber sie begann auch nicht wieder zu schnurren, und sie ließ Graves keine Sekunde aus den Augen.
»Tja, mir scheint, bei dieser schwarzen Schönheit habe ich keine Chance«, sagte Graves lächelnd.
Miss Preussler erstarrte. Ihre Hand, die immer noch Cleopatras Kopf streichelte, erstarrte ebenfalls, und aus dem Lächeln auf ihren Lippen wurde etwas anderes. In ihren Augen flackerte eine Verlegenheit, die beinahe an Panik grenzte. Sie brauchte eine Weile, um sich weit genug wieder zu fangen, um wenigstens antworten zu können. »Doktor Graves«, begann sie stockend, »wegen Cleopatras schrecklicher Entgleisung damals... es... es tut mir aufrichtig Leid.«
Graves blinzelte. »Ich fürchte, ich weiß nicht genau, wovon Sie reden.«
»Nun, Sie erinnern sich doch gewiss an... an Cleopatras...« Miss Preussler verstummte endgültig. Sie war sichtlich nicht mehr in der Lage, zu reden. Die Verlegenheit hatte hektische rote Flecke auf ihre Wangen gezaubert.
»Was immer es gewesen sein mag, Miss Preussler«, fuhr Graves fort, »ich bin sicher, Cleopatra hatte ihre Gründe dafür. Ich konnte noch nie gut mit Katzen umgehen. Wenn überhaupt, dann bin ich wohl eher ein Hundetyp. So weit mir mein Beruf Zeit für Haustiere lässt.«
Miss Preussler tauschte einen ungläubigen Blick mit Mogens, aber auch der konnte nur verwirrt die Schultern heben. Wenn Graves schauspielerte, dann tat er es perfekt. Aber war es denn möglich, dass sich Graves nicht mehr an den bizarren Zwischenfall erinnerte, der kaum mehr als eine Woche zurücklag?
Wohl hauptsächlich, um das unbehagliche Schweigen zu beenden, das plötzlich im Raum lag, wandte sich Graves mit einer knappen Geste an Tom. Tom öffnete die Karaffe und schenkte Miss Preussler und ihm von der goldbraunen Flüssigkeit ein, die sie enthielt, aber als er auch Mogens eingießen wollte, schüttelte dieser rasch den Kopf.
»Der gute Professor trinkt niemals Alkohol, Tom«, sagte Graves mit einem leicht belustigten Unterton. Er selbst griff unverzüglich nach seinem Glas, leerte es mit einem einzigen Zug und bedeutete Tom, ihm nachzuschenken.
»Nun, was ich übrig lasse, dafür scheinst du ja reichlich Verwendung zu finden.« Mogens funkelte ihn an, aber Graves lächelte nur und prostete ihm mit dem nachgefüllten Glas zu, allerdings ohne zu trinken.
»Meine Herren«, sagte Miss Preussler. »Wir wollen doch nicht streiten.«
»Oh, wir streiten nie, Miss Preussler«, antwortete Graves lächelnd. »Hat Ihnen Mogens nicht verraten, dass wir alte Studienkollegen sind? Unser Umgangston ist manchmal etwas rau. Bitte verzeihen Sie.«
»Sie waren Kommilitonen?«, wunderte sich Miss Preussler.
»Viele Jahre lang«, antwortete Graves. »Wir haben uns sogar ein Zimmer geteilt.« Er seufzte. »Umso bedauerlicher ist es, dass der gute Professor sich nun entschlossen hat, seine Arbeit hier nicht fortzusetzen. Und das, obwohl wir so kurz vor dem Ziel sind.« Er hob rasch die Hand, als er sah, dass Mogens dazu ansetzte, etwas zu sagen. »Aber verzeihen Sie. Wir wollen jetzt nicht über unerfreuliche Dinge reden. Tom, wärst du so nett, das Essen aufzutragen? Ich bin sicher, unsere Gäste sind hungrig.«
Tom entfernte sich rasch, und Graves griff erneut nach seinem Glas und nippte daran. Wieder begann sich ein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen breit zu machen.
»Darf ich Ihnen eine vielleicht etwas indiskrete Frage stellen, Doktor Graves?«, fragte Miss Preussler plötzlich.
»Nur zu«, antwortete Graves lächelnd. »Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass eine Dame wie Sie überhaupt weiß, was das Wort indiskret bedeutet.«
Miss Preussler reagierte nicht auf seine plumpe Schmeichelei, sondern deutete mit einer Kopfbewegung auf Graves' Hände. »Warum tragen Sie immerzu diese schrecklichen Handschuhe - sogar beim Essen?«
»Das ist Ihnen aufgefallen? Sie sind eine ausgezeichnete Beobachterin, Miss Preussler. Mein Kompliment.« Er seufzte. »Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich tue es aus Rücksicht auf alle, die in meiner Nähe sind. Meine Hände bieten keinen sehr schönen Anblick, müssen Sie wissen.«
»Was ist passiert?«
Graves' Blick verdüsterte sich, als hätte ihre Frage die Erinnerung an etwas in ihm geweckt, woran er sich lieber nie erinnert hätte. »Es ist keine sehr schöne Geschichte«, begann er. »Auch wenn sie schnell erzählt ist. Es war auf einer meiner Expeditionen in den südamerikanischen Dschungel. Ich bin mit einer... Substanz in Berührung gekommen, die ich besser nicht berührt hätte.«
»Sie haben sich eine Vergiftung zugezogen?«
»So könnte man es nennen«, antwortete Graves. »Die Folgen waren jedenfalls äußerst fatal. Eine davon war ein sehr unangenehmer Hautausschlag, den ich seither nicht wieder losgeworden bin. Gottlob beschränkt er sich nur auf meine Hände. Aber es sieht wirklich schrecklich aus.«
»Haben Sie einen Arzt konsultiert?«, fragte Miss Preussler.
»Die besten«, antwortete Graves. »Aber noch einmaclass="underline" Lassen Sie uns über angenehmere Dinge reden. Wie war Ihre Reise hierher?«
Miss Preusslers Gesichtsausdruck nach zu urteilen, gehörte dieses Thema nicht unbedingt zu den angenehmeren Dingen, über die Graves eigentlich reden wollte. »Ganz entsetzlich«, antwortete sie. »Diese Eisenbahnen sind so laut und unbequem. Eine durch und durch unzivilisierte Art zu reisen, wenn Sie mich fragen.«
»Da mögen Sie Recht haben«, antwortete Graves. »Dennoch eine sehr effektive. Es gibt viele, die behaupten, dass dieses Land erst durch die Eisenbahn wirklich groß geworden ist.«
»Das mag sein«, sagte Miss Preussler ungerührt. »Aber bedeutet groß auch immer automatisch besser?«
»Touche«, sagte Graves lächelnd. »Vor Ihnen muss man sich in Acht nehmen, scheint mir. Sie sind die lebende Antwort auf die Frage, warum Frauen keinen Zutritt in Debattierclubs haben.«
Tom kam zurück, um das Essen zu servieren, und das, was er ihnen auftischte, übertraf sogar noch die Erwartungen, die der festlich gedeckte Tisch und der verlockende Duft geweckt hatten. Allein beim Anblick der auf dem Tablett gestapelten Speisen lief Mogens abermals das Wasser im Mund zusammen, und sein Magen knurrte hörbar. Er konnte es kaum abwarten, bis Tom zuerst ihm und dann Miss Preussler aufgetan hatte.
Tom machte jedoch keinerlei Anstalten, auch Graves' Teller zu füllen, sondern wünschte ihnen nur einen guten Appetit und ging wieder, und Miss Preussler wandte sich verwirrt an Graves. »Essen Sie nichts?«
»Ich fürchte, nein«, antwortete Graves. »Auch das gehört zu den Folgen jener unangenehmen Krankheit, die ich mir damals zugezogen habe.« Er hob demonstrativ die Hände. »Ich reagiere allergisch auf die allermeisten Lebensmittel und kann nur ganz bestimmte Dinge zu mir nehmen. Diese zweifellos köstliche Mahlzeit, die Tom für Sie zubereitet hat, würde mich vermutlich umbringen.«