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Wäre er eine Katze gewesen, hätte er zumindest die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen, aus Thompson zu verschwinden. Mogens lächelte über seinen eigenen Gedanken, war aber auch zugleich ein wenig verwirrt, denn solcherlei Albernheiten passten im Grunde gar nicht zu ihm. Aber vielleicht sollte er heute nicht zu streng mit sich selbst sein. Er hatte eine Menge sonderbarer und erschreckender Dinge erlebt, und auch die Nachricht über das schreckliche Unglück, das Mercer und den beiden anderen zugestoßen war, war nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Wie konnte er da erwarten, so distanziert und logisch zu reagieren wie sonst?

So schwer es ihm gefallen war, wach zu werden, so deutlich spürte er, dass er jetzt vermutlich keinen Schlaf mehr finden würde. Also konnte er ebenso gut auch nachsehen, ob Tom vielleicht noch wach war; und sei es nur, um Miss Preussler nicht anlügen zu müssen. Statt also zu Graves zu gehen, wandte er sich in die entgegengesetzte Richtung, in der Toms Hütte lag. Er schlug einen komplizierten Slalom-Kurs ein, um den Pfützen auszuweichen. Der Erfolg war allerdings mäßig: Mogens wich zwar den Wasseransammlungen aus, die das Sternenlicht reflektierten, aber der Boden dazwischen fühlte sich jetzt nicht mehr an wie ein Schwamm, wie Mercer es ausgedrückt hatte, sondern hatte eher die Konsistenz von Schokoladenpudding. Er sank bei jedem Schritt beinahe bis an die Knöchel ein und war froh, keinen seiner Schuhe verloren zu haben, als er Toms Hütte erreichte. Vermutlich wäre er besser beraten gewesen, in die Pfützen zu treten.

Auch in Toms Unterkunft brannte noch Licht, aber es war nicht der warme Schein von Kerzen oder einer Petroleumlampe, sondern das viel gleichmäßigere Leuchten einer elektrischen Glühbirne. Offensichtlich hatte Tom den Generator heute Nacht nicht ausgeschaltet. Mogens dachte mit einem schiefen Lächeln daran zurück, wie mühsam er sich durch sein dunkles Zimmer zur Tür getastet hatte, schüttelte den Kopf und klopfte an.

Er bekam keine Antwort. Sicher war es möglich, dass Tom einfach vergessen hatte, das Licht auszuschalten, und eingeschlafen war, und das Letzte, was er wollte war, Tom zu wecken. So übermäßig, wie Graves Tom in Anspruch nahm, hatte er jede Minute Schlaf, die er bekommen konnte, redlich verdient. Dennoch klopfte er noch einmal an und schob schließlich den Riegel zur Seite, als er keine Antwort bekam. »Tom?«, fragte er leise. »Bist du noch wach?«

Er bekam auch jetzt keine Antwort, öffnete die Tür aber dennoch weiter und trat ein, wobei er sich bemühte, möglichst wenig Lärm zu machen, um Tom nicht zu wecken, sollte er tatsächlich schlafen.

Tom schlief nicht; zumindest nicht in seinem Bett. Er war gar nicht da. Trotzdem machte Mogens noch einen weiteren Schritt in die Hütte hinein und blieb dann stehen, um sich fassungslos und aus aufgerissenen Augen umzusehen.

Mogens war niemals zuvor hier gewesen, zum einen, weil sich bisher nicht die Gelegenheit ergeben hatte, zum anderen, weil es zu Mogens' Prinzipien gehörte, die Privatsphäre anderer zu achten.

Vielleicht hätte er sich auch heute Nacht besser daran gehalten.

Der Raum bot ein einziges Bild des Chaos. Mogens hatte noch nie zuvor eine derartige Unordnung gesehen; und auch nicht so viel Schmutz. Auf Tischen, Regalen, Stühlen und Borden stapelten sich wahre Berge von Büchern und Papieren, Werkzeugen und Kleidern, wissenschaftlichen Instrumenten und Karten, Beuteln und Kisten und Kartons, Töpfen und Geschirr und Schuhen, Vorratsbehältern und Steinen und Fundstücken. Über allem lag ein leiser, aber äußerst unangenehmer Geruch nach Verfall und Fäulnis, aber auch noch nach etwas anderem, das undefinierbar, aber viel älter und von üblerer Art war.

Mehr als nur ungläubig sah Mogens sich um. Er war regelrecht schockiert. Er wusste wenig über Tom, aber was er hier sah, das wollte so gar nicht zu dem Bild passen, das er sich von dem Jungen gemacht hatte.

Das Schlimmste war der Schmutz. Es war nicht nur der Gestank, auch wenn er übel genug war und immer schlimmer zu werden schien, statt dass er sich daran gewöhnte. Er sah nicht nur Unordnung und Durcheinander, sondern auch Teller mit schimmelnden Essensresten, angebrannte Töpfe und schmutziges Besteck, und in einer Kanne eine ölig glänzende Flüssigkeit, deren bloßer Anblick sich saure Galle unter Mogens' Zunge ansammeln ließ. Er musste an den Becher denken, aus dem Graves getrunken hatte.

Ein Geräusch, das von draußen hereindrang, ließ Mogens zusammenfahren. Hastig verließ er die Hütte, zog die Tür hinter sich zu und trat mit einem raschen Schritt zur Seite und in den Schatten des Gebäudes. Nach dem, was er gerade gesehen hatte, wäre es ihm um so peinlicher gewesen, hätte Tom erfahren, dass er seine Unterkunft betreten hatte.

Zu seiner Erleichterung war es nicht Tom. Das Geräusch wiederholte sich, und diesmal war es so deutlich, dass Mogens die Richtung identifizieren konnte, aus der es kam. Aufmerksam sah er dorthin und erblickte tatsächlich einen Schatten, der geduckt davonhuschte und in den Büschen jenseits des Zeltes verschwand. Aber er war viel zu klein, um einem Menschen zu gehören.

Eher schon einer Katze.

Mogens stritt einen Moment lang mit sich selbst, aber dann löste er sich aus dem Schatten der niedrigen Blockhütte und bewegte sich in die gleiche Richtung. Er war nicht sehr optimistisch: Selbst wenn es Cleopatra gewesen war, die er gesehen hatte, standen seine Aussichten nicht sonderlich gut, die Katze auch zu finden; gar davon zu reden, sie einzufangen. Aber was hatte er zu verlieren? Seine Schuhe waren ohnehin verdorben und vielleicht tat ihm ein wenig handfeste Ablenkung ganz gut, nach dem, was er gerade erlebt hatte. Er versuchte sich an die genaue Position zu erinnern, an der der Schatten im Gebüsch verschwunden war, und beschleunigte seine Schritte.

Ein Entschluss, den er beinahe augenblicklich bereute.

Schon mit dem ersten Schritt versank er bis über die Knöchel im Schlamm. Mit einem gemurmelten Fluch zog Mogens den Fuß wieder heraus, was ihm auch mit einiger Mühe gelang, aber es gab ein saugendes Geräusch, mit dem ihm der Schuh vom Fuß gezogen wurde. Hastig ließ er sich auf die Knie fallen und grub mit beiden Händen im Schlamm, bevor der Schuh endgültig im Morast versinken konnte, schließlich besaß er nur dieses eine Paar.

Er fand seinen Schuh, drehte ihn um, um Wasser und Morast hinauslaufen zu lassen, und schlüpfte grimassenschneidend hinein. Als er aufblickte, sah er in ein Paar gelb glühender Augen, das ihn aus den Büschen heraus anstarrte. Hätte er nicht gewusst, dass es vollkommen unmöglich war, wäre er sicher gewesen, dass ihn die Katze schadenfroh angrinste. Als er sich erhob, drehte sich Cleopatra um und verschwand raschelnd im Gebüsch.

Mogens eilte ihr nach, so schnell er konnte - was nicht sonderlich schnell war, denn er hatte keine Lust, schon wieder irgendwo einzusinken und seine Schuhe womöglich endgültig zu verlieren. Die Aussicht, Sheriff Wilson am nächsten Morgen auf Socken gegenüberzutreten, erfüllte ihn nicht unbedingt mit Begeisterung.

Es wurde besser, als er in das Unterholz eindrang. Der Boden war auch hier nass, sodass er leise, quatschende Geräusche verursachte, aber er sank wenigstens nicht mehr bei jedem Schritt ein.