Falls es dann nicht zu spät war für Hyams.
Niedergeschlagen machte er sich auf den Rückweg. Er brauchte deutlich länger dazu, als er erwartet hatte, denn er hatte sich deutlich weiter vom Wrack des Ford entfernt, als ihm bewusst gewesen war; aber immerhin war es jetzt heller geworden, sodass er nicht mehr Gefahr lief, blindlings gegen einen Felsen zu laufen. Alles in allem musste mehr als eine halbe Stunde seit dem Moment verstrichen sein, in dem er hier unten angelangt war, bis er das ausgebrannte Wrack wieder erreichte.
Die beiden Leichname waren verschwunden.
Mogens trat in gut fünfzehn oder zwanzig Schritten Entfernung zwischen den Felsen hervor, aber er sah es trotz des blassen Lichts sofort: Die Zeltplane, die er sorgsam wieder über die beiden verkohlten Körper gezogen hatte, lag in Fetzen gerissen da, und Mercers und McClures sterbliche Überreste waren definitiv verschwunden. Mogens blieb wie vom Donner gerührt sekundenlang stehen und starrte die zerfetzte schwarze Plane an, ohne wirklich zu begreifen, was er da sah, dann ging er mit fast schleppenden Schritten weiter und sank unmittelbar daneben in die Hocke. Zögernd streckte er den Arm aus, aber er stockte, ehe er die Bewegung zu Ende bringen konnte. Seine Finger begannen zu zittern.
Die zerfetzte Plane war nicht alles. Von dort aus, wo die beiden verbrannten Körper gelegen hatten, führten zwei tiefe Schleifspuren weg und verschwanden zwischen den Felsen, und unmittelbar daneben gewahrte Mogens einen tiefen, bizarr verzerrten Fußabdruck. Auf den allerersten Blick hätte man ihn für den eines Menschen halten können, aber Mogens wusste nur zu gut, welche Kreatur ihn wirklich hinterlassen hatte. Zitternd vor mühsam unterdrückter Angst und von einem Entsetzen gepackt, das ihn daran hinderte, klar zu denken, hob er den Kopf und folgte der Schleifspur weiter mit Blicken. Obwohl sie nach wenigen Schritten zwischen den Felsen verschwand, konnte er sie noch ein gutes Stück weit verfolgen. Allein in dem kurzen Bereich, den er im diffusen Licht des sichelförmigen Neumonds einigermaßen überblicken konnte, entdeckte er zwei weitere riesige Fußabdrücke.
Mogens drehte sich in der Hocke um und stand auf, und im gleichen Moment fiel ein so grelles, blendend weißes Licht in sein Gesicht, dass er erschrocken die Hand vor die Augen hob. »Stehen bleiben!«, herrschte ihn eine wütende Stimme an.
Mogens hätte sich nicht einmal rühren können, wenn er es gewollt hätte. Das grelle Licht paralysierte ihn regelrecht, und es bohrte sich so schmerzhaft in seine Augen, dass er nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken konnte. Hastig hob er auch noch die andere Hand, um seine Augen zu schützen, und blinzelte durch einen Schleier aus Tränen in den gleißenden Lichtschein. Schatten bewegten sich dahinter, und statt nachzulassen, nahm die quälende Helligkeit sogar noch zu, als sich ein zweiter Scheinwerferstrahl dem ersten hinzugesellte.
»Was zum Teufel tun Sie hier, Professor VanAndt?«, herrschte ihn Sheriff Wilson an.
21.
»Noch einen Kaffee - oder vielleicht etwas Stärkeres, Professor?« Sheriff Wilson schwenkte die Kaffeekanne in Mogens' Richtung und machte ein fragendes Gesicht, zuckte dann aber nur gleichmütig mit den Schultern, als dieser mit einem Kopfschütteln ablehnte, und schenkte sich einen weiteren Becher der dampfenden Flüssigkeit ein, die nicht nur wie geschmolzener Teer aussah, sondern nach Mogens' Dafürhalten auch genau so schmeckte.
»Ganz wie Sie wollen, Professor«, sagte er. »Aber Sie sollten es sich überlegen. Ich fürchte, wir haben noch ein ziemlich langes Gespräch vor uns.«
Mogens verzichtete auf eine Antwort. Es war lange her, aber er hatte gewisse Erfahrungen im Umgang mit Gesetzeshütern, genug zumindest, um zu wissen, dass jedes Wort überflüssig war. Er konnte nicht sagen, ob Wilson ihn verdächtigte, und wenn ja, wessen überhaupt, aber was er mit absoluter Gewissheit sagen konnte war, dass Wilson sich bereits eine Meinung über das gebildet hatte, was er draußen beim Wrack des Fords gesehen hatte, und dass jeder Versuch, ihn von irgendetwas anderem zu überzeugen, nichts als verschwendeter Atem war. Die Art, auf die Wilson seine Fragen stellte; die Art, auf die er zuhörte; die Art, auf die er ihn ansah; selbst die Art, auf die er scheinbar gar nichts tat, waren Mogens nur zu bekannt. Für Wilson war der Fall bereits klar, und nichts, was Mogens auch immer sagen oder tun konnte, würde ihn von seiner vorgefassten Meinung abbringen.
»Also noch einmal von vorn?«, fragte Wilson. In seiner Stimme war ein ganz sachter, fast flehender Unterton, doch endlich mit der Wahrheit rüberzukommen, und vor allem sein Blick machte Mogens klar, wie müde es der Sheriff war, ihm immer und immer wieder dieselben Fragen zu stellen, und immer und immer wieder die gleichen Antworten zu bekommen - nur nicht die, die er hören wollte. Aber er machte ihm auch ebenso klar, dass Wilson durchaus bereit war, noch Stunden so weiterzumachen und wenn es sein musste, Tage.
Mogens zog die dünne Wolldecke enger um die Schultern, die Wilson ihm gegeben hatte, und unterdrückte mit Mühe ein Schaudern, das seine Ursache zu gleichen Teilen in Müdigkeit wie in ganz banaler Kälte hatte. Unter der groben Wolldecke, die wie Sandpapier auf seiner Haut kratzte, war er nackt. Wilson hatte ihm seine schmutzstarrenden Kleider abgenommen, angeblich, um sie reinigen zu lassen, aber Mogens nahm an, dass es ihm viel mehr darum ging, sie nach Blut oder anderen verräterischen Spuren zu untersuchen.
»Ich bitte Sie, Sheriff«, sagte er müde. »Ich kann Ihnen nicht mehr sagen als das, was ich Ihnen schon ein Dutzend Mal gesagt habe. Ich kann Sie nicht zwingen, mir zu glauben, aber Sie werden nichts anderes von mir hören, und wenn das hier noch einen ganzen Tag dauert.«
Er hatte sich bemüht, einen allenfalls resignierenden Tonfall in seine Stimme zu legen, und keinesfalls herausfordernd oder gar herablassend zu klingen, aber dieser Versuch schien offensichtlich nicht unbedingt von Erfolg gekrönt zu sein, denn er konnte regelrecht sehen, wie sich etwas in Wilsons scheinbar gleichmütig dreinblickenden Augen änderte. Mogens gemahnte sich in Gedanken zur Vorsicht. Wilson hatte vermutlich nicht einmal etwas gegen ihn, aber er war ein einfacher Mann, und wie viele einfache Menschen begegnete er Akademikern mit einer Mischung aus Respekt und aus Unsicherheit geborener Aggressivität.
»Sheriff, was erwarten Sie eigentlich von mir?«, fuhr er, nach einer spürbaren Pause und mit deutlich veränderter, ruhigerer Stimme fort. »Ich kann Ihnen nicht mehr sagen. Ich bin nach draußen gegangen, um nach einer Katze zu suchen, die verschwunden war.«
»Und Sie haben sie gefunden, aber leider nicht mehr lebendig«, seufzte Wilson. »Irgendein Raubtier hatte sie in Stücke gerissen. Doch statt zurückzugehen und Hilfe zu holen - oder wenigstens eine Waffe! - haben Sie sich auf eigene Faust und mit leeren Händen an die Verfolgung des Raubtieres gemacht, das, wie Sie selbst sagen, eine ausgewachsene Katze in Stücke gebissen hat.« Er schüttelte den Kopf. »Können Sie sich vorstellen, welches Tier in der Lage ist, so etwas zu tun, Professor?«
Mogens schwieg. Er konnte es sich nicht vorstellen, er hatte es gesehen, aber er hatte Wilson nichts von dem glutäugigen Ungeheuer erzählt. So etwas hatte er einmal getan, vor neun Jahren, und er würde es nie wieder tun.
»Sie müssen entweder ein sehr mutiger Mann sein, Professor, oder ein sehr dummer«, fuhr Wilson fort, als er keine Antwort bekam.
»Dumm«, mischte sich eine Stimme von der Tür her ein, »wäre es allerhöchstens, wenn Professor VanAndt jetzt auch nur noch eine einzige Ihrer Fragen beantworten würde, Sheriff.« Wilson sah mit einem Ruck auf, und Mogens konnte nicht nur erkennen, dass alle Farbe aus seinem Gesicht wich, sondern auch, wie sich seine Augen mit einer jähen Mischung aus Schrecken und Zorn füllten, ohne dass er hätte sagen können, welches dieser beiden Gefühle nun überwog. Dann fuhr auch er überrascht zusammen, als er sich auf seinem Sitz umdrehte und den uneingeladenen Gast erkannte, der Wilsons Büro betreten hatte. »Jonathan!«