Graves nickte ihm flüchtig zu, bevor er die Tür mit einer unnötig heftigen Bewegung hinter sich ins Schloss warf und an Wilsons Schreibtisch herantrat. »Was geht hier vor?«, fragte er herausfordernd.
Im allerersten Moment schien es, als reiche allein Graves' herrischer Ton, um Wilsons Widerstand zusammenbrechen zu lassen, dann aber erinnerte sich der Sheriff ganz offensichtlich, wo sie hier waren. Er stand nicht auf, funkelte Graves aber mit trotzig vorgerecktem Kinn an und ließ ganz bewusst einige Sekunden verstreichen, bevor er antwortete: »Guten Morgen, Doktor Graves. Und um Ihre Frage zu beantworten: Ich habe einige Fragen an Professor VanAndt, und ich denke nicht, dass es Sie etwas angeht, was...«
»Oh, Sie denken«, fiel ihm Graves höhnisch ins Wort. »Nun, dann werde ich Ihnen sagen, was ich denke, Sheriff.« Er wedelte mit der Hand in Mogens' Richtung, ohne Wilson dabei auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn Sie einen meiner Mitarbeiter verhören, Sheriff!«
»Niemand hat etwas von einem Verhör gesagt«, antwortete Wilson. Es versuchte, selbstbewusst zu klingen, aber seine Worte hörten sich eigentlich nur noch verstockt an. Er hatte bereits verloren, begriff Mogens. »Ich habe lediglich ein paar Fragen an Professor VanAndt.«
»Und dazu muss er sich ausziehen und halb nackt vor Ihnen auf einem Stuhl sitzen?«
»Das hat damit nichts zu tun«, sagte Mogens rasch. »Meine Kleider waren verschmutzt. Sheriff Wilson war so freundlich, sie säubern zu lassen.«
Graves warf ihm einen kurzen, eisigen Blick zu, sprach jedoch an Wilson gewandt weiter. »Was ist geschehen?«
»Wir haben Ihren«, er deutete auf Mogens, »... Mitarbeiter in der Nähe des ausgebrannten Wagens aufgegriffen. Er hat sich daran zu schaffen gemacht.«
Graves hob scheinbar gelangweilt die Schultern. »Was nicht strafbar ist, oder? Streng genommen gehört der Wagen immer noch mir. Und ich habe nichts dagegen, dass Professor VanAndt ihn sich anschaut.«
In Wilsons Augen blitzte es auf. »Übertreiben Sie es nicht, Doktor Graves! Das hier ist vielleicht nur eine einfache kleine Stadt, und ich bin nur ein einfacher Sheriff, aber wir wissen hier immerhin, was Recht ist und was nicht. Die Ursache des Unfalls ist noch nicht geklärt. Es sind zwei Menschen ums Leben gekommen, vielleicht sogar drei, und Professor VanAndt wurde mitten in der Nacht dabei beobachtet, wie er sich in der Nähe des ausgebrannten Fahrzeugs herumgetrieben hat.« Er ließ eine kurze, genau bemessene Pause folgen, bevor er fast triumphierend hinzufügte: »Und die Leichen Doktor McClures und Doktor Mercers sind verschwunden.«
»Und?«, fragte Graves so ruhig, als wäre an dieser Neuigkeit rein gar nichts Besonderes. »Glauben Sie jetzt vielleicht, dass Professor VanAndt sie weggeschafft hat?«
»Immerhin hatte er Blut an den Händen«, sagte Wilson.
»Ja, Doktor Hyams' Blut!«, begehrte Mogens auf.
»Doktor Hyams?« Immerhin schien es Mogens zumindest für einen Moment gelungen zu sein, Graves' Aufmerksamkeit zu erregen. »Wieso Hyams? Soll das heißen...?«
»Sie ist noch am Leben«, sagte Mogens. »Jedenfalls glaube ich, dass sie das war, als Sheriff Wilson mich verhaftet hat.«
Graves fuhr mit einer zornigen Bewegung wieder zu Wilson herum, aber diesmal kam ihm der Sheriff zuvor. »Selbstverständlich nehme ich Professor VanAndts Aussage ernst«, sagte er. »Auch wenn es mir, offen gestanden, schwer fällt, sie zu glauben. Trotzdem habe ich fünf Männer zur Unfallstelle hinausgeschickt, um noch einmal das ganze Gelände absuchen zu lassen. Glauben Sie mir - sollte Doktor Hyams noch am Leben sein, dann finden meine Leute sie.«
»Und sollte sie nicht mehr am Leben sein, Sheriff...«, Graves beugte sich herausfordernd vor und stützte die Fingerknöchel auf Wilsons Schreibtisch ab, »... dann werden meine Leute herausfinden, wann Doktor Hyams gestorben ist. Und sollte sich herausstellen, dass sie sterben musste, weil Sie nicht auf Professor VanAndt gehört und die Suche nach ihr zu spät eingeleitet haben, dann gnade Ihnen Gott!«
Wilsons Gesicht verlor auch noch das letzte bisschen Farbe, aber Graves gab ihm keine Gelegenheit, etwas zu erwidern, sondern fuhr mit leiserer, aber beinahe noch schneidenderer Stimme fort: »Darf ich nun davon ausgehen, dass ich Professor VanAndt wieder mit zurück ins Lager nehmen kann? Wir haben eine Menge Arbeit vor uns!«
»Selbstverständlich«, antwortete Wilson gepresst. Er warf Mogens einen prüfenden Blick zu. »Sie haben zwar nicht genau meine Größe, aber ich könnte Ihnen meine Reserveuniform anbieten - nur für den Rückweg.«
»Und zweifellos werden Sie auch so freundlich sein, sie selbst wieder abzuholen, nicht wahr?«, fragte Graves höhnisch. »Am besten gleich heute Nachmittag.«
Wilsons Gesicht verdüsterte sich noch weiter, aber er schluckte die zornige Antwort, die ihm auf der Zunge lag, mit sichtbarer Mühe herunter und ging, vermutlich um die versprochene Uniform zu holen. Graves wartete gerade, bis er den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann fuhr er zu Mogens herum, und die vermeintliche Gelassenheit glitt wie eine Maske von seinem Gesicht.
»Was, um alles in der Welt...«, begann er.
»Es ist wieder da, Jonathan«, fiel ihm Mogens ins Wort.
Graves legte den Kopf auf die Seite. »Was ist wieder da?«
»Das... das Ding«, antwortete Mogens. Seine Stimme zitterte so heftig, dass er Mühe hatte, überhaupt weiterzusprechen. »Das Ungeheuer vom Friedhof, das Janice geholt hat.«
»Was redest du da, Mogens?«, fragte Graves. Er versuchte zu lachen, aber es gelang ihm nicht. »Das ist doch Unsinn.«
»Ich habe es gesehen«, fuhr Mogens beinahe im Flüsterton fort. »Es hat Cleopatra getötet, und... und ich glaube, es hat auch Hyams geholt.« Er atmete tief ein, um überhaupt die Kraft zum Weitersprechen zu finden. »Vor ein paar Tagen, Jonathan, draußen auf dem Friedhof, da habe ich es zum ersten Mal gesehen. Es war das Ding aus dem Mausoleum. Dasselbe, das damals Janice und die beiden anderen geholt hat. Es ist hier, Jonathan.«
Er rechnete mit Widerspruch; vielleicht, dass Graves ihn auslachte, zumindest aber zweifelte, aber Graves sah ihn nur sekundenlang schweigend und sehr nachdenklich an, bevor er in sehr ernstem Ton fragte: »Bist du sicher?«
»Ja«, antwortete Mogens. »Todsicher.«
Graves schwieg eine ganze Weile. Er sah sehr nachdenklich aus, aber auch sehr erschrocken. »Aber warum?«, murmelte er. »Warum jetzt? Warum hier?«
»Vielleicht war es die ganze Zeit hinter uns her, Jonathan«, antwortete Mogens. »Vielleicht... hat es all die Jahre nur darauf gewartet, dass es uns zusammen erwischt.«
»Unsinn«, sagte Graves. Er lachte, aber er klang noch immer nervös. Jetzt vielleicht noch mehr. »Das ist... ich meine: Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Warum sollte es... Ich habe doch gar nichts...«
»Ich habe es verletzt«, sagte Mogens leise. »Aber du warst dabei, Jonathan. Vielleicht will es uns ja beide.« Er hob die Schultern. »Es kann kein Zufall sein, dass es nach all der Zeit wieder auftaucht. Wir waren seit jener Nacht nie wieder zusammen, Jonathan.« Er zögerte einen Moment, fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und sah rasch zu der Tür, durch die Wilson verschwunden war, dann zum Eingang, bevor er weitersprach. »Und da ist noch etwas.«