»Verstehen Sie etwas von der Megalithkultur, Sheriff?«, fragte Mogens.
Wilson blinzelte.
»Aber Sie leiden nicht zufällig an Klaustrophobie?«, fuhr Mogens fort.
Wilson blinzelte erneut.
»Platzangst«, erklärte Mogens.
»Nein«, antwortete Wilson. »Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.«
Mogens überlegte nur noch einen Augenblick, dann trat er demonstrativ zurück und drehte sich zur Mitte des Platzes hin, um auf das Zelt zu deuten. »Dann wollen wir hoffen, dass Sie sich nicht irren«, sagte er. »Sonst stehen Ihnen ein paar unangenehme Minuten bevor.«
Wilson zog überrascht die Brauen hoch. »Sie...?«
»Ich hoffe, Sie haben noch Verwendung für einen Deputy-Sheriff, der Waffen hasst und seine Haushälterin mitbringt«, sagte Mogens. »Wenn Doktor Graves uns überrascht, könnte es gut sein, dass ich eine neue Anstellung brauche.«
28.
Auf dem ganzen Weg nach unten fragte sich Mogens vergeblich, warum er das eigentlich tat. Ob Graves vor Zorn schäumen würde oder nicht, war ihm gleich. Wenn es nach ihm ging, konnte Jonathan Graves getrost der Schlag treffen. Er war ihm keinerlei Loyalität schuldig, nicht nach allem, was er getan hatte und ganz offensichtlich noch zu tun beabsichtigte, aber er kam sich trotzdem vor wie ein Verräter.
Mogens tröstete sich damit, dass er Graves letzten Endes einen Gefallen tat. Er konnte nicht beurteilen, ob es Steffens angebliche Erdstöße wirklich gegeben hatte oder ob sie nur ein Vorwand waren, um dem Geologen Zutritt zur Ausgrabungsstelle zu verschaffen, aber er pflichtete Wilson bei, was seine Einschätzung Steffens anging. Graves unterschätzte ihn. Der Geologe würde nicht aufgeben, bevor er nicht gesehen hatte, was sie dort unten taten. Und er würde ganz bestimmt mehr sehen als Wilson.
Wie sich zeigte, litt Sheriff Wilson zwar nicht unter Klaustrophobie, stellte sich aber auf dem Weg nach unten weit ungeschickter an als selbst Mogens. Er brauchte gut doppelt so lange wie er, um die Leiter hinabzusteigen, und sein Fuß rutschte allein auf dem kurzen Stück zweimal von den Sprossen ab, sodass es Mogens im Nachhinein fast wie ein kleines Wunder vorkam, dass er den Grund des Schachtes erreichte, ohne abzustürzen und sich den Hals zu brechen - eine Vorstellung, die Graves vermutlich gefallen hätte.
»Ich fühle mich nicht wohl auf Leitern«, gestand Wilson mit einem nervösen Lächeln, als er endlich neben ihm angelangt war; mit ganz leicht zitternden Händen und schweißbedeckter Stirn. »Um ehrlich zu sein, ist mir am wohlsten, wenn ich mit beiden Füßen sicher auf der Erde stehe. Das war schon immer so, schon als ich ein Kind war.«
»Dann sollten Sie Gott jeden Abend in Ihrem Nachtgebet dafür danken, dass Sie nicht dreißig Jahre früher geboren worden sind«, sagte Mogens. Wilson zog fragend die linke Augenbraue hoch und Mogens fügte hinzu: »Dann hätten Sie Ihren Beruf im Sattel eines Pferdes ausüben müssen.«
Wilson lachte pflichtschuldig, aber Mogens sah ihm an, dass er diese Bemerkung nicht besonders lustig fand. Rasch deutete er mit einer Kopfbewegung hinter sich. »Kommen Sie. Ab jetzt bleiben wir auf festem Grund.«
Wilson murmelte etwas, das sich wie sehr witzig anhörte und fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn, um den Schweiß wegzuwischen, schloss sich ihm aber gehorsam an, als er sich umdrehte und gebückt in den niedrigen Tunnel eindrang.
»Sie haben elektrisches Licht«, sagte Wilson anerkennend. »Doktor Graves hat wirklich an nichts gespart.«
Mogens nickte nur und beschleunigte seine Schritte ein wenig. Er versuchte sich auf die Geräusche vor ihnen zu konzentrieren - die Frage, wie er reagieren sollte, wenn sie in die Höhle hineintraten und sich unversehens Graves gegenübersahen, stellte er sich vorsichtshalber erst gar nicht -, aber alles, was er hörte, war das gleichmäßige Tuckern des Generators. Jener sonderbare Unterton war noch darin, und Mogens schien es auch so, als wäre er lauter geworden.
»Wir haben nicht einmal in der Stadt überall elektrischen Strom«, fuhr Wilson hinter ihm fort. »In meinem Büro haben wir noch Gaslaternen - aber offen gesagt vermisse ich es auch nicht. Manchmal erschrecken mich all diese modernen Dinge richtiggehend. Sie machen das Leben nicht wirklich einfacher, finde ich. Es mag bequem sein, nur einen Schalter umlegen zu müssen, damit es hell wird, aber ich frage mich immer, ob wir uns letzten Endes damit wirklich einen Gefallen tun. Ich meine: Was, wenn all dieses neumodische Zeugs irgendwann einmal nicht mehr funktioniert? Eine Petroleumlampe kann jedes Kind reparieren. Früher haben wir sie uns selbst gebaut, aus einer alten Konservendose und einem Docht. Aber einen Generator?«
Mogens hütete sich, zu antworten. Wilson plapperte, nicht weil er etwas zu sagen hatte - oder gar wusste, worüber er sprach -, sondern um seine Nervosität zu überspielen. Anscheinend flößte ihm diese Umgebung mehr Unbehagen ein, als er zugeben wollte.
»Doktor Graves scheint ein sehr wohlhabender Mann zu sein«, fuhr Wilson im gleichen, nervösplappernden Ton fort. »Das alles hier muss ein Vermögen gekostet haben. Sie kennen sich schon lange?«
»Wir haben zusammen studiert«, antwortete Mogens. »Aber seit damals haben wir uns ein wenig aus den Augen verloren.«
Wilsons Frage irritierte ihn. Der Sheriff hatte vollkommen Recht. Graves hatte ihm erzählt, dass er dieses ganze Gelände gekauft hatte - und auch wenn es vermutlich nicht besonders teuer gewesen war, umsonst war es sicher nicht gewesen. Dazu kamen die Automobile, der Generator, die wissenschaftliche Ausstattung und die exorbitanten Saläre, die Graves seinen Kollegen mit Sicherheit ebenso gezahlt hatte wie ihm, um sie hierher zu locken... all das hatte ein Vermögen gekostet, und vermutlich nicht einmal ein kleines.
Mogens fragte sich, woher es kam. Graves hatte weder vermögende Eltern, noch hatte er während ihrer gemeinsamen Zeit in Harvard über nennenswerte Geldmittel verfügt. Ganz im Gegenteil war es meistens Mogens gewesen, der ihm das eine oder andere kurzfristige Darlehen gegeben hatte, obwohl er selbst alles andere als gut betucht gewesen war.
Sie erreichten das Ende des Tunnels und damit die große Höhle, die anders als am Morgen jetzt hell erleuchtet war; Tom hatte sämtliche elektrische Lampen eingeschaltet. Nur ein Stück jenseits der Stelle, an der sie am Morgen die Kiste abgestellt hatten, standen nun drei der großen sargähnlichen Behältnisse, gerade weit genug zur Seite gerückt, dass man aus dem Tunnel heraustreten konnte, ohne darüber zu stolpern. Wilson schenkte ihnen jedoch kaum Beachtung, sondern sah sich aus staunend aufgerissenen Augen um. Mogens registrierte voller Unbehagen, dass die Lattentür zu dem mit Hieroglyphen verzierten Gang weit offen stand, und auch dahinter Licht brannte. So schnell, wie er es wagte, ohne Wilsons Misstrauen durch zu große Hast noch weiter zu schüren, drehte er sich herum und deutete in die entgegengesetzte Richtung, wobei er Wilson wie durch Zufall den direkten Blick auf den Gang vertrat.
»Was Sie interessieren dürfte, ist dort hinten«, sagte er.
Wilson sah ihn beinahe lauernd an. »Woher wissen Sie, was mich interessiert, Professor?«, wollte er wissen.
»Sie wollten wissen, was wir hier gefunden haben«, antwortete Mogens achselzuckend. »Sie können sich gern auf eigene Faust umsehen. Allerdings bezweifle ich, dass Sie die wirklich interessanten Dinge auch nur erkennen würden.«
»Weil ich nur ein dummer kleiner Sheriff aus einem hinterwäldlerischen Kaff bin«, vermutete Wilson.
»Weil das, was wir entdeckt haben, auf den ersten Blick ziemlich unspektakulär ist«, antwortete Mogens in ganz bewusst leicht verärgertem Ton. »Aber wie gesagt: Es steht Ihnen frei, sich allein umzusehen. Wir haben keine Geheimnisse.« Es gelang ihm jetzt, einigermaßen beiläufig zu klingen, aber er wusste selbst nicht zu sagen, wie lange noch. Innerhalb der letzten zwanzig Minuten hatte er Wilson einen gehörigen Vertrauensvorschuss gegeben, aber der Sheriff strengte sich nicht unbedingt an, ihn einzulösen.