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»Das ist lächerlich«, sagte Graves. »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Auf nichts«, antwortete Wilson. »Ich sage nur, was geschehen ist. Die Leute reden. Was hier vorgeht, macht ihnen Angst. Und Leute, die Angst haben, tun manchmal Dinge, die sie besser nicht tun sollten.«

Die Düsternis schien nun schneller aus Graves' Augen hervorzubrechen, und etwas begann unter seinem Gesicht Gestalt anzunehmen. Wieso sah Wilson es nicht?

»Ich fasse das als Drohung auf, Sheriff«, sagte Graves kalt.

Wilson hob gleichmütig die Schultern. »Das Wort Warnung wäre mir lieber. Aber ganz wie Sie wollen.«

Er schien noch mehr sagen zu wollen, beließ es aber dann bei einer Mischung aus einem Kopfschütteln und einem Achselzucken und trat so weit zurück, dass er Graves und Mogens zugleich im Auge behalten konnte. Etliche Sekunden lang sah er sie abwechselnd und mit wechselndem Ausdruck in den Augen an, dann hob er die Hand und berührte damit die Brusttasche, in die er seinen Durchsuchungsbefehl gesteckt hatte.

»Das hier gibt mir das Recht, Ihren ganzen Laden sofort dicht zu machen«, sagte er kühl. »Bedanken Sie sich bei Professor VanAndt, dass ich es nicht tue.«

Graves warf Mogens einen raschen Blick zu. Er wirkte nicht dankbar, sondern im Gegenteil beinahe noch wütender. Aber er beherrschte sich. »Ganz wie Sie wünschen, Sheriff.«

Wilson wandte sich direkt an Mogens. »Würden Sie mich dann zurückbringen?«

»Selbstverständlich.« Mogens machte einen Schritt, aber Wilson hob noch einmal die Hand, und er blieb wieder stehen.

»Noch etwas«, sagte Wilson. »Bis die Angelegenheit endgültig aufgeklärt ist, muss ich Sie bitten, das Lager nicht zu verlassen.«

29.

Auf dem Weg nach oben bemerkte Mogens, dass eine der drei sargähnliche Kisten verschwunden war. Zu seiner Erleichterung schien es Wilson jedoch nicht aufzufallen, obgleich er mit einem großen Schritt darüber hinwegtrat, statt um die Behältnisse herumzugehen. Auch auf dem gesamten Weg zurück zu seinem Wagen sagte Wilson kein einziges Wort, und als er schließlich einstieg, fasste sich Mogens ein Herz und bat ihn, Miss Preussler und ihn mit in die Stadt zu nehmen, was von Wilson aber mit rohen Worten abschlägig beschieden wurde; der Hausarrest, unter den er Graves gestellt hatte, gelte nicht nur für ihn und Tom, sondern auch für Mogens und selbst Miss Preussler. Er fuhr ab, ohne ihm Gelegenheit zu einer weiteren Frage zu geben.

Für die nächsten zwei Stunden sah er weder Graves noch Tom oder Miss Preussler, aber Mogens hätte hinterher auch nicht sagen können, wie er diese Zeit zugebracht hatte; als Graves schließlich - soweit er sich erinnern konnte, zum ersten Male überhaupt - an seine Tür klopfte und eintrat, nachdem er ein überraschtes Herein gerufen hatte. Mogens fand sich selbst wie aus einem fiebergeplagten Traum erwachend an seinem Stehpult wieder, ein aufgeschlagenes Buch, dessen Titel er nicht kannte, vor sich und ein belegtes Gefühl auf der Zunge. Er sah Graves einen Moment lang fast verständnislos an, dann blickte er noch viel verunsicherter auf das aufgeschlagene Buch vor sich herab und schlug es mit einer - nicht fast, sondern eindeutig - erschrockenen Bewegung zu und stellte es an seinen Platz auf dem Regal zurück, ehe er sich seinem unwillkommenen Besucher zuwandte.

»Jonathan.«

Der Angesprochene trat vollends ein und schloss die Tür hinter sich, sah aber zuerst das Bücherregal an, von dem sich Mogens gerade abwandte, und erst dann ihn, und obwohl Mogens sein Gesicht im schwachen Licht des bereits verblassenden Nachmittags nicht genau erkennen konnte, meinte er seinen zufriedenen Gesichtsausdruck doch geradezu zu spüren. Zugleich fragte er sich - vergebens - in welchem Buch er eigentlich gerade geblättert hatte; und warum.

»Professor VanAndt.«

Mehr als alles machte der Umstand, dass Graves ihn nicht nur mit seinem Nachnamen, sondern vor allem mit seinem akademischen Grad ansprach Mogens klar, dass er nicht nur gekommen war, um die Zeit bis zum Abendessen mit einem belanglosen Gespräch zu überbrücken. Er blickte das gesichtslose Schemen, in das Graves sich verwandelt hatte, nachdem die Tür hinter ihm wieder geschlossen war, einen Moment lang unschlüssig an und antwortete dann ganz bewusst in einer Umkehrung von Graves' ungewohnter Anrede: »Jonathan.«

Es funktionierte, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Graves stockte mitten in der Bewegung, und selbst sein Umriss wirkte irgendwie irritiert. Dann aber fing er sich wieder und führte seine unterbrochene Bewegung umso energischer zu Ende. Ohne eine ausdrückliche Aufforderung abzuwarten, ging er zum Tisch und setzte sich.

»Du arbeitest wieder, Mogens?«, fragte er.

»Nein«, antwortete Mogens - was zugleich der Wahrheit entsprach, wie es auch von Graves' Standpunkt aus völlig absurd klingen musste: Immerhin hatte er ihn über eines seiner Bücher gebeugt angetroffen, als er hereingekommen war. Gleichzeitig kramte Mogens angestrengt in seinem Gedächtnis, aber es war fast erschreckend: Er konnte sich erinnern, in einem von Graves' mitgebrachten Büchern gelesen zu haben, und er wusste sogar, dass ihm seine Lektüre etwas ungemein Wichtiges verraten hatte, aber er konnte sich partout nicht erinnern, was.

Nicht einmal mehr, welches Buch es gewesen war.

Graves seufzte. »Ich kann dich verstehen, Mogens. Ich an deiner Stelle würde wahrscheinlich nicht anders reagieren.« Wieder legte er eine kleine Pause ein. Der Schatten, in den er sich verwandelt hatte, drehte den Kopf direkt in Mogens' Richtung, und er konnte seinen bohrenden Blick regelrecht spüren. Er schwieg.

»Also gut, ich verstehe«, seufzte Graves. »Du ziehst es vor, den Beleidigten zu spielen. Wahrscheinlich habe ich nicht das Recht, es dir übel zu nehmen, auch wenn ich gestehen muss, dass ich gehofft habe, es wäre anders. Im Grunde bin ich auch nur gekommen, um dir von deiner Miss Preussler auszurichten, dass das Abendessen in einer Viertelstunde bereit ist - und um mich bei dir zu entschuldigen.«

Spätestens jetzt wäre es Mogens' Part gewesen, irgendetwas zu sagen - und sei es nur eine entsprechende Frage zu stellen, die er als Stichwort nutzen konnte, um fortzufahren. Aber er schwieg beharrlich weiter.

»Du hattest vollkommen Recht, Wilson die Höhlenmalereien zu zeigen«, sagte Graves nach einer Weile. »Es war ganz genau die richtige Entscheidung. Unglaublich, sich vorzustellen, was dieser kleinmütige Hinterwäldler-Sheriff mit seinem Gerichtsbeschluß alles hätte anrichten können. Es war eine kluge Idee von dir, ihn direkt in die Höhle mit den Felsmalereien zu führen - sonst hat er doch nichts Relevantes gesehen, oder?«

Einen Moment lang spielte Mogens ganz ernsthaft mit dem Gedanken, das Gegenteil zu behaupten, nur um zu sehen, wie Graves sich wand und vor Schrecken kreidebleich wurde. Er fand durchaus Gefallen an dieser Vorstellung. Aber natürlich tat er nichts dergleichen, sondern schüttelte nur den Kopf.

Graves atmete hörbar auf. »Hervorragend«, sagte er. »Du hast genau das Richtige getan. Wilson ist jetzt wieder in seinem Büro in der Stadt und kommt sich vermutlich ungeheuer wichtig vor, weil wir ihn in unser Geheimnis eingeweiht haben. Bis er begreift, dass es in Wahrheit um etwas ganz anderes geht, ist es längst zu spät. Du hast ganz hervorragend reagiert, Mogens. Ich war es, der sich im Irrtum befand. Ich hoffe, du nimmst meine Entschuldigung an.«

»Betrachte es als Abschiedsgeschenk, Jonathan«, antwortete Mogens. »Freu dich darüber, denn es wird das unwiderruflich Letzte sein, was ich für dich getan habe.«

Graves zeigte sich nicht sonderlich beeindruckt. »Sind wir jetzt wieder so weit, dass du beleidigt die Koffer packst und wegrennst wie ein kleiner Junge, der seinen Willen nicht bekommen hat? Das wievielte Mal? Das dritte oder das vierte?«