»Was schlagt ihr denn vor?«, fragte er.
Nodon schaute auf die anderen und sagte: »Das steht nicht in unserem Ermessen, Sir. Sie sind der Kapitän; Sie müssen die Entscheidung treffen.«
Wieder schaute Fuchs auf die ausdruckslosen Gesichter. Trotz ihrer Jugend hatten sie schon gelernt, ihre Gefühle gut zu verbergen. Wie sieht es wohl hinter diesen Masken aus, fragte er sich. Ist das etwa ein Test? Was erwarten sie überhaupt von mir? Doch sicher mehr als nur einen Namen für das Schiff. Sie beobachten mich, versuchen sich ein Urteil über mich zu bilden und mich einzuschätzen. Wenn ich schon ihr Anführer sein soll, muss ich meine Führungsqualitäten auch unter Beweis stellen.
Ein Name für das Schiff. Ein passender, Glück bringender Name.
Ein Wort kam ihm über die Lippen. »Nautilus.«
Sie wirkten verwirrt. Wenigstens habe ich ihre Schale leicht angeknackst, sagte Fuchs sich.
»Die Nautilus war ein U-Boot, das von ihrem Kapitän und der Besatzung eingesetzt wurde, um Rache an Bösewichtern zu nehmen und ihre Schiffe zu zerstören.«
Nodon runzelte die Stirn und dolmetschte dann für die anderen. Es gab eine kurze Diskussion, doch nach einer Weile nickten sie alle zustimmend. Ein paar lächelten sogar.
»Nautilus ist ein guter Name«, sagte Nodon.
Fuchs nickte. »Also heißt das Schiff ab jetzt Nautilus.« Er hatte indes nicht die Absicht, sie darüber aufzuklären, dass das U-Boot nur in einem Roman existiert hatte und welches Ende es gefunden hatte — und sein Kapitän.
Amanda wachte mit hämmernden Kopfschmerzen auf. Sie drehte sich um und sah, dass Lars nicht neben ihr im Bett lag. Und der Wandbildschirm sagte, dass ein paar Nachrichten eingegangen waren. Komisch, dass sie das Telefon nicht gehört hatte. Lars muss es stumm geschaltet haben, sagte sie sich.
Sie setzte sich im Bett auf und sah, dass er nicht im Einraum-Apartment anwesend war. Das Herz wurde ihr schwer.
»Lars«, rief sie leise. Keine Antwort. Sie wusste, dass er weg war. Er hat mich verlassen. Dieses Mal für immer.
Die erste Nachricht auf der Liste war von ihm. Sie vermochte den Computer kaum anzuweisen, die Nachricht auf den Bildschirm zu legen, so sehr zitterte ihre Stimme.
Lars saß im Lagerhaus am Schreibtisch und schaute so grimmig wie der Tod. Er trug ein altes pechschwarzes T-Shirt und eine Schlapphose. Sein Blick war unergründlich.
»Meine liebste Amanda«, sagte er. »Ich muss dich leider verlassen. Wenn du diese Nachricht liest, werde ich schon weg sein. Es gibt keine andere Möglichkeit, jedenfalls keine, die ich sehe. Geh nach Selene, wo Pancho dich zu beschützen vermag. Und was immer du auch von mir hörst, vergiss nie, dass ich dich liebe. Was immer ich auch getan habe oder noch tun werde, ich tue es, weil ich dich liebe und weil ich weiß, dass dein Leben in Gefahr ist, solange du in meiner Nähe bist. Leb wohl, Liebling. Ich weiß nicht, ob ich dich jemals wieder sehen werde. Leb wohl.«
Ohne sich dessen bewusst zu sein, befahl sie dem Computer, seine Nachricht zu wiederholen. Und dann noch einmal. Doch dann sah sie den Bildschirm schon nicht mehr wegen der Tränen, die ihr in die Augen traten.
Kapitel 43
Sie hatte wieder ihren Mädchennamen angenommen: Amanda Cunningham. Nicht dass sie ihre Ehe mit Lars Fuchs hätte verleugnen wollen; jeder auf Ceres und jede Felsenratte im Gürtel wusste schließlich, dass sie seine Frau war. Doch seit Fuchs in den Tiefen des Alls verschwunden war, hatte sie daran gearbeitet, sich selbstständig zu machen und ihre Ziele zu erreichen.
Sie verkaufte die Helvetia GmbH für einen Apfel und ein Ei an die Astro-Corporation. Wenigstens einmal siegte Pancho über Humphries und überzeugte den Astro-Vorstand, dass dies ein Geschäft war, das sie nicht ablehnen konnten.
»Zumal«, wie Pancho dem Vorstand erläuterte und dabei Humphries direkt anschaute, der ihr am Tisch gegenübersaß, »wir dort draußen im Gürtel präsent sein sollten. Dort sind die natürlichen Ressourcen, und mit ihnen ist richtig Geld zu verdienen.«
Amanda war froh, Helvetia endlich los zu sein. Sie sah, wie Pancho das Lagerhaus in eine profitable Einrichtung für die Versorgung, Reparatur und Wartung der Schiffe verwandelte, die den Gürtel durchpflügten. Sie lebte von den Dividenden der Astro-Aktien, die sie für den Verkauf bekommen hatte, und konzentrierte ihre Anstrengungen auf ein anderes Ziel — eins, das ursprünglich Lars’ Ziel gewesen war: seine Vision, dass die Felsenratten eine Art Regierung bildeten, damit endlich Recht und Gesetz Einzug auf Ceres hielten. Die individualistischen Prospektoren und Bergleute waren zunächst strikt gegen jede Art von Regierung gewesen. Sie betrachteten Gesetze nämlich als Eingriff in ihre persönliche Freiheit und Regeln als Beeinträchtigung ihrer wilden ›Freizeitaktivitäten‹ auf Ceres.
Doch als immer mehr Schiffe angegriffen wurden, dämmerte ihnen schließlich, wie verletzlich sie waren. Ein Krieg tobte im Gürtel, wobei HSS die Unabhängigen angriff und sie aus dem Gürtel zu vertreiben versuchte, während Fuchs als Einzelkämpfer HSS-Schiffe aufs Korn nahm und wie aus dem Nichts auftauchte, um sie manövrierunfähig zu schießen oder gleich ganz zu zerstören.
In Selene sprang Martin Humphries vor Sorge und Frustration förmlich im Dreieck, weil seine Kosten für die Operationen im Gürtel schier explodierten. Es wurde immer kostspieliger, Besatzungen für den Dienst auf HSS-Schiffen zu verpflichten, und weder die IAA noch Harbin oder einer der anderen Söldner, die Humphries anheuerte, vermochten Fuchs aufzuspüren und ihn zu töten.
»Sie helfen ihnen!«, echauffierte Humphries sich immer wieder. »Diese gottverdammten Felsenratten gewähren ihm Unterschlupf, versorgen ihn mit Nachschub und helfen ihm dabei, meine Schiffe außer Gefecht zu setzen.«
»Es ist sogar noch schlimmer«, sagte Diane Verwoerd. »Die Felsenratten bewaffnen ihre Schiffe und schließen zurück — auch wenn sie in den meisten Fällen das Ziel noch verfehlen. Aber es wird für uns immer gefährlicher da draußen.«
Humphries heuerte dennoch weitere Söldner an, um seine Schiffe zu schützen und Lars Fuchs aufzuspüren. Doch ohne Erfolg.
Die Leute, die wie Amanda ständig auf Ceres lebten — die Wartungstechniker, Lagerhausbetreiber und Geschäftsleute, die Barbesitzer und sogar die Prostituierten — erkannten allmählich, dass sie dringend eine Art von Recht und Gesetz brauchten. Ceres wurde zu einem gefährlichen Ort. Söldner und Verbrecher trieben sich in den staubigen Tunnels herum und bedrohten das Leben eines jeden, der ihnen über den Weg lief. Sowohl HSS und Astro heuerten ›Sicherheits‹-Leute an, um ihre Anlagen und Schiffe zu schützen. Oft genug bekämpften die Sicherheitsleute sich jedoch gegenseitig in den Tunnels, im Pub, in den Lagerhallen und Werkstätten.
Big George Armstrong kehrte nach Ceres zurück. Sein Arm war nachgewachsen, und er hatte einen Arbeitsvertrag mit Astro als technischer Leiter.
»Das Erzschürfen hat sich für mich erledigt«, sagte er zu seinen Freunden im Pub. »Ich bin nun ein abgefuckter Manager.«
Für eine handfeste Kneipenschlägerei war er aber immer noch zu haben. Männer und Frauen gleichermaßen bewaffneten sich zur Verteidigung mit Handlasern.
Schließlich gelang es Amanda, die Zustimmung des größten Teil von Ceres’ Bevölkerung zu einer ›Gemeinde-versammlung‹ einzuholen, an der alle Erwachsenen teilnehmen durften, die auf dem Asteroiden lebten. Es waren so viele, dass der Pub als Versammlungsort zu klein gewesen wäre; deshalb wurde die Zusammenkunft auf elektronischem Weg abgehalten, wobei alle Teilnehmer in ihren Quartieren blieben und durch das interaktive Telefonsystem miteinander verbunden waren.