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Amanda trug das türkisfarbene Kleid, das sie in Selene gekauft hatte, während sie in ihrer Unterkunft am Schreibtisch saß und den Wandbildschirm im Auge hatte. Unten im Kommunikationszentrum fungierte Big George als Moderator der Versammlung; er bestimmte, wer zur Gruppe sprach und in welcher Reihenfolge. Er hatte auf Amandas Drängen hin versprochen, dass jeder, der sich zu Wort melden wollte, auch die Gelegenheit dazu bekam. »Es wird aber eine verdammt lange Nacht werden«, erklärte er.

Und das wurde sie auch. Es hatte nämlich jeder etwas zu sagen, obwohl in vielen Fällen Ideen und Positionen nur wiedergekäut wurden, die schon mehrmals thematisiert worden waren. Während der ganzen langen Versammlung — die zuweilen lebhaft, überwiegend aber langweilig war —, blieb Amanda an ihrem Platz und hörte jedem Teilnehmer aufmerksam zu.

Ihre Agenda war einfach: »Wir brauchen hier auf Ceres eine Art von Regierung, eine Sammlung von Gesetzen, nach denen wir alle leben können. Andernfalls wird die Gewalt weiter eskalieren, bis die IAA oder die Friedenstruppen oder eine andere externe Gruppe einschreitet und den Laden hier übernimmt.«

»Mit größter Wahrscheinlichkeit wäre es HSS«, sagte ein griesgrämiger Prospektor, der auf Ceres festsaß, während sein beschädigtes Schiff repariert wurde. »Sie versuchen nun schon seit Jahren, uns zu übernehmen.«

»Oder Astro«, erwiderte ein HSS-Techniker hitzig.

George entzog beiden das Wort, bevor die Versammlung durch einen Streit gestört wurde. »Privatgespräche können auf einem anderen Kanal geführt werden«, sagte er jovial und schaltete zur schmalgesichtigen, falkenäugigen Joyce Takamine, die wissen wollte, wann das Habitat endlich fertig gestellt wurde. Sie wollte dort hinaufziehen, um endlich aus diesem staubigen Rattenloch rauszukommen.

Amanda nickte verständnisvoll. »Das Habitat befindet sich in der Lage, die früher als eine so genannte Catch-22-Situation bezeichnet wurde«, erwiderte sie. »Diejenigen von uns, die es fertig stellen wollen, damit wir endlich einziehen können, haben nicht die Mittel, um die Arbeit zu vollenden. Und diejenigen, die die Mittel hätten — zum Beispiel Astro und HSS?? sind nicht daran interessiert, sie in die Fertigstellung des Habitats zu investieren.«

»Wie dem auch sei, es sollte etwas unternommen werden«, sagte Takamine mit fester Stimme.

»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, sagt Amanda. »Damit können wir uns beschäftigen, wenn wir eine Regierung haben, die das organisiert.«

Fast eine Stunde später stellte der Inhaber des Pubs die entscheidende Frage: »Und woher sollen wir das Geld für eine Regierung und eine Polizei nehmen? Ganz zu schweigen von der Fertigstellung des Habitats. Das wird im Endeffekt bedeuten, dass wir Steuern zahlen müssten, nicht wahr?«

Amanda hatte mit dieser Frage schon gerechnet. Sie war sogar froh, dass der Mann sie gestellt hatte.

Als sie die Nachricht sah, die auf ganzer Breite unten auf dem Wandbildschirm eingeblendet wurde, sagte sie liebenswürdig: »Wir müssen keine Steuern zahlen. Das tun stattdessen die Konzerne.«

George selbst stellte die Frage, die in diesem Moment jeden umtrieb: »Hä?«

»Wenn wir eine Regierung hätten«, erklärte Amanda, »könnten wir sie mit einer geringen Steuer auf die Umsätze finanzieren, die HSS und Astro und die anderen Konzerne hier auf Ceres tätigen.«

George brauchte ein paar Sekunden, um die Flut der eingehenden Anrufe zu sortieren, und dann erschien das Bild eines grimmigen Prospektors auf ihrem Wandbildschirm.

»Wenn ihr den Konzernen eine Mehrwertsteuer auferlegt, werden sie die einfach durch eine Preiserhöhung auf uns abwälzen.«

Amanda nickte und sagte: »Ja, das stimmt. Aber es wird nur eine geringfügige Erhöhung sein. Eine Steuer von einem Prozent würde zehntausend Internationale Dollar bei einem Umsatz von einer Million Dollar bringen.«

Ohne auf den nächsten Anrufer zu warten, fuhr Amanda fort: »HSS allein hat in der letzten Woche Umsätze in Höhe von siebenundvierzig Millionen Dollar getätigt. Das sind fast zweieinhalb Milliarden Dollar pro Jahr, was wiederum bedeutet, dass eine Steuer von einem Prozent uns allein durch die HSS-Umsätze einen steuerlichen Ertrag von über vierundzwanzig Millionen Dollar bescheren würde.«

»Könnten wir das Habitat mit diesen Einkünften überhaupt fertig stellen?«, fragte der nächste Anrufer.

»Ja«, erwiderte Amanda. »Mit diesen gesicherten Einkünften könnten wir von den Banken auf der Erde sogar Kredite bekommen, um das Habitat fertig zu stellen — wie auch andere Regierungen Kredite zur Finanzierung ihrer Programme aufnehmen.«

Die Versammlung zog sich bis ein Uhr morgens hin, doch als sie beendet war, sagte Amanda sich müde, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. Die Menschen auf Ceres waren bereit, für eine Regierungsbildung zu stimmen.

Solange Martin Humphries uns nicht dazwischenfunkt, sagte sie sich.

Kapitel 44

Lars Fuchs stand breitbeinig hinterm Pilotensitz auf der Brücke der Nautilus und studierte aufmerksam die Bildschirmdarstellung von etwas, das wie ein HSS-Frachter aussah.

Anhand der Nachrichten, die das Schiff empfing und sendete, handelte es sich um die W. Wilson Humphries, das Flaggschiff von Humphries Space Systems’ wachsender Flotte von Erzfrachtern, das nach Martin Humphries’ verstorbenen Vater benannt worden war. Das Schiff war wahrscheinlich mit Erz von verschiedenen Asteroiden beladen und nahm aus dem Gürtel Kurs auf das Erde-/Mondsystem.

Dennoch verspürte Fuchs Unbehagen bei der Annäherung an dieses Schiff. Seit vierzehn Monaten verbarg er sich nun schon im Gürtel und deckte seinen Bedarf an Nachschub und Treibstoff bei den gekaperten Schiffen und sporadischen Stippvisiten bei Schiffen ihm freundlich gesonnener Unabhängiger. In dieser Zeit hatte er gelernt, auf der Hut zu sein. Er hatte Gewicht verloren, aber noch immer die Statur eines kleinen Stiers — ohne ein Gramm Fett zu viel. Selbst sein Gesicht war härter geworden: Das kantige Kinn wirkte noch kantiger, und die Mundwinkel waren in einer scheinbar permanenten finsteren Miene heruntergezogen.

Er drehte sich zu Nodon um, der an der Kommunikationskonsole auf der Brücke stand.

»Wie sieht der ein- und ausgehende Funkverkehr aus?«, fragte er und zeigte mit dem Daumen auf den Bildschirm.

»Normale Telemetrie«, erwiderte Nodon. »Nichts Außergewöhnliches.«

»Zeig mir den Kurs der letzten sechs Wochen«, sagte Fuchs zu der kräftigen jungen Frau auf dem Pilotensitz. Er sprach nun im mongolischen Dialekt mit seinen Leuten; zwar noch nicht ganz flüssig, aber er beherrschte die Sprache der Besatzung immer besser. Er wollte nämlich nicht, dass sie Geheimnisse vor ihm hatten.

Auf einem der Zusatzbildschirme erschienen schmale, verschlungene gelbe Kurven vor einem mit grünen Punkten gesprenkelten Hintergrund.

Fuchs studierte die Abbildung. Wenn man ihr Glauben schenken wollte, stellte die gelbe Linie den Kurs dar, den das Humphries-Schiff in den letzten sechs Wochen genommen hatte, während es Erzladungen von fünf verschiedenen Asteroiden aufgenommen hatte. Doch Fuchs wollte ihr nicht glauben.

»Das ist ein Schwindel«, sagte er laut. »Wenn das Schiff wirklich diesen Kurs gesteuert hätte, wäre ihm schon der Treibstoff ausgegangen, und es hätte einen Treffpunkt mit einem Tanker angesteuert.«

»Laut ihrem Flugplan wollen sie in zwei Stunden die Beschleunigung erhöhen und Kurs auf das Erde-/Mondsystem nehmen«, sagte Nodon.

»Dazu hätten sie aber in den letzten Tagen auftanken müssen«, sagte Fuchs.