Mit Doone lag die Sache am nächsten Nachmittag etwas anders. Ich hatte ihm einen groben Bericht am Morgen per Telefon durchgegeben, es waren seine ersten Informationen über den Vorfall. Jetzt kam er ins Eßzimmer, wo ich gerade am Arbeiten war, und setzte sich mir gegenüber an den Tisch.
«Sie sind also ein richtiger kleiner Held«, eröffnete er trocken.
«Wer hat Ihnen denn das erzählt?«
«Mr. Goodhaven.«
Ich starrte ihn mit dem gleichen nichtssagenden Gesichtsausdruck an, den er bei mir immer ausprobierte. Der Befund von Harrys Gesundheitszustand war an diesem
Morgen gut ausgefallen, die Aussichten waren exzellent, und laut Aussage der Ärzte stellte sich seine Erinnerung rasch wieder ein.
«Unfall oder Mordversuch?«fragte Doone; offensichtlich erwartete er eine wohlbedachte Antwort.
Die konnte erhaben:»Letzteres, würde ich sagen. Haben Sie seinen Wagen gefunden?«
«Noch nicht. «Er warf mir einen langen, finsteren und undurchdringlichen Blick zu.»Wo würden Sie danach suchen?«
Ich überlegte kurz.»Auf einer Klippe.«
Er blinzelte.
«Sie nicht?«fragte ich.
«Beachy Head? Dover?«fiel ihm ein.»Eine weite Fahrt bis ans Meer.«
«Vielleicht eher auf einer metaphorischen Klippe«, sagte ich.
«Machen Sie weiter.«
«Ist es eigentlich normal«, fragte ich,»daß sich Polizisten ihre Theorien beim Volk abholen?«
«Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, ich höre den Leuten gerne zu. Ich stimme nicht immer mit ihnen überein, aber manchmal schon.«
«Na schön. Angenommen, Harry Goodhaven wäre gestern nachmittag für immer verschwunden und Sie hätten sein Auto später auf einer Klippe gefunden, auf einer echten oder auf einer metaphorischen — was hätten Sie gedacht?«
«Selbstmord«, sagte er prompt.»Ein Eingeständnis seiner Schuld.«
«Ende der Ermittlungen? Fall erledigt?«
Er starrte mich mit düsterem Blick an.»Möglich. Aber solange wir keine Leiche gefunden hätten, gäbe es immer noch die einfache Möglichkeit der Flucht. Wir würden Australien alarmieren… ihn auf der ganzen Welt suchen lassen. Der Fall wäre noch nicht erledigt.«
«Aber Sie würden keine anderen Verdächtigen in Betracht ziehen, weil Sie ihn für den Schuldigen hielten.«
«Die Tatsachen würden darauf hindeuten. Seine Flucht wäre die Bestätigung.«
«Aber an dieser Beweislast stört Sie etwas.«
Allmählich wurde ich aus seinem Verhalten, besser gesagt aus seinem nichtvorhandenen Verhalten, schlau. Wenn er überhaupt keinen Muskel bewegte, dann hieß das, ich hatte eine Stelle getroffen, die er für gut verborgen gehalten hatte.
«Wie kommen Sie darauf?«fragte er schließlich.
«Weil Sie niemanden festgenommen haben.«
«So einfach ist das.«
«Ohne Ihr Wissen kann ich nur Vermutungen anstellen.«
«Vermuten Sie weiter«, forderte er mich auf.
«In diesem Fall würde ich sagen, daß Harrys Sonnenbrille, sein Kugelschreiber und sein Gürtel nur deswegen bei Angela gefunden wurden, weil sie die Sachen mitgenommen hatte.«
«Weiter, weiter«, sagte er unbeteiligt. Ich sah, daß ihm diese Überlegungen nicht neu waren.
«Sagten Sie nicht, die Handtasche sei aufgerissen und der Inhalt verschwunden gewesen, außer dem Foto in der Tasche mit dem Reißverschluß?«
«Das ist richtig.«
«Und Sie fanden Schokoladenpapier ringsumher?«»Ja.«
«Haben Sie Spuren von Hunden gefunden?«
«Ja.«
«Und jeder Hund, der sein Geld wert ist, würde die Handtasche aufbeißen, um an die Schokolade heranzukommen?«
«Möglich. «Er entschloß sich zu einem großen Zugeständnis:
«Auf der Handtasche waren Abdrücke von Zähnen.«
«Weiter angenommen«, fuhr ich fort,»Harry hatte es ihr angetan. Er ist ein freundlicher, attraktiver Mann. Angenommen, sie trug absichtlich ein Foto von ihm mit dem Pferd bei sich, nicht von Fiona, immerhin der Besitzerin. Angenommen, es war ihr gelungen, sich ein paar von Harrys persönlichen Sachen anzueignen, seine Sonnenbrille, seinen Kugelschreiber, sogar einen Gürtel, und sie benutzte die Sachen oder schleppte sie wenigstens stets mit sich herum, wie es junge Leute gerne tun. Das würde nur beweisen, daß sie in Harry verknallt war, aber nicht, daß er bei ihrem Tod zugegen war.«
«Das alles habe ich auch in Betracht gezogen.«
«Angenommen, jemand hat sich darüber gewundert, daß Sie Harry besonders nach der Hetzjagd in den Zeitungen nicht festgenommen haben, und dieser jemand entschloß sich, Ihre Zweifel ein für allemal hinwegzuwischen?«
Er saß eine Zeitlang da, ohne etwas zu sagen, offensichtlich erwog er, wieviel von seinen Gedanken er noch zu offenbaren geneigt war. Anscheinend nicht sehr viel mehr.
«Wer auch immer Harrys Wagen gestohlen hat«, sagte ich,»der hat auch meine Jacke und meine Stiefel mitgenommen. Ich hatte sie ausgezogen, bevor ich durch das Loch hinunter in das Dock gestiegen bin.«
«Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?«Damit hatte ich ihn ernsthaft ausmanövriert.
«Ich sage es Ihnen jetzt. «Ich wartete einen Augenblick.»Ich denke, daß derjenige, der die Sachen nahm, jetzt ganz schön in Panik ist, wenn er feststellen muß, daß ich Harry begleitet hatte und daß er am Leben ist. Ich denke, daß es keinen triftigen Grund gab, weshalb Harry zu Sams Bootshaus hätte fahren sollen. Niemand hätte ihn dort gesucht. Ich denke, daß das Ganze ein Versuch war, Harrys Schuld zu beweisen, daß dieser Versuch in die Hose ging, und ich denke, daß Sie jetzt ganz schön was zu knabbern haben und eine Menge Nachforschungen in die Wege leiten müssen.«
«Ich möchte, daß Sie morgen früh im Bootshaus dabeisind«, sagte er förmlich.
«Was halten Sie von dem Ort?«fragte ich.
«Ich habe die Aussagen von Mr. und Mrs. Goodhaven und von anderen. Ich selbst bin noch nicht dort gewesen. Das Grundstück wurde jedenfalls polizeilich abgesperrt. Ich werde Mr. Yaeger dort morgen früh um neun Uhr treffen. Heute nachmittag wäre mir lieber gewesen, aber angeblich muß er drei Rennen in Wincanton reiten.«
Ich nickte. Tremayne war dort und auch Nolan. Ein weiterer Zweikampf der Titanen.
«Wissen Sie was«, sagte Doone gedehnt,»ich hatte tatsächlich angefangen, andere Leute außer Mr. Goodhaven zu vernehmen.«
Ich nickte.»Sam Yaeger zum Beispiel. Er hat es uns erzählt. Jeder weiß, daß Sie Ihren Kreis erweitert haben.«
«Das Mädel war nicht gerade sehr wählerisch«, sagte er bedauernd.
Am nächsten Morgen borgte mir Tremayne seinen Volvo, damit ich zum Dock fahren konnte, und erinnerte mich, kurz bevor ich losfuhr, daran, daß am gleichen Tag das Gala-Dinner zu seinen Ehren stattfinden werde.
Ich hatte die Einladung, die Dee-Dee unübersehbar im Büro an die Wand geheftet hatte, bereits registriert: Fast die gesamte Pferdesportszene würde sich einfinden, um zu applaudieren. Obwohl Tremayne einige selbstkritische Witze darüber gerissen hatte, bedeutete dieses Ereignis für ihn eine Bestätigung seiner Existenz, ähnlich wie die Biographie.
Sam und Doone waren bereits auf der Werft, als ich mich dort einfand. Keiner von beiden strahlte vor Begeisterung, und Sams grellbunte Jacke unterstrich im Vergleich zu Doones grauem Zivilanzug geradezu den Zusammenprall der Persönlichkeiten. Sie hatten auf mich gewartet, und offensichtlich waren sie sich darin einig, auf jede Höflichkeitsform zu verzichten.
«Schön, Sir«, sagte Doone, als ich aus dem Wagen gestiegen war,»wir haben noch nichts verändert. Führen Sie uns bitte vor, was Sie am Mittwoch vormittag hier getan haben.«
«Nicht ungefährlich, sich hier herumzutreiben«, sagte Sam schlechtgelaunt.
«Wie sich herausstellte«, gab Doone gelassen zurück.»Fangen Sie an, Mr. Kendall.«
«Harry sagte, er solle jemanden im Bootshaus treffen, also gingen wir dorthin. «Ich ging den Weg entlang, den wir genommen hatten, und die anderen folgten mir.»Wir machten diese Tür auf, sie war nicht verschlossen.«