Tremayne lief vor Dankbarkeit rosa an. Er nahm die Schüssel entgegen. Alles jubelte. Blitzlichter zuckten. Tremayne hielt eine kurze Rede und bedankte sich bei allen: bei den Sponsoren, bei seinen Freunden, bei seinen Angestellten, seinen Jockeys, beim ganzen Rennsport. Bewegt setzte er sich wieder hin. Wieder jubelten alle und applaudierten lautstark. Ich begann mich zu fragen, wie viele von ihnen wohl Tremaynes Buch kaufen würden. Ich fragte mich, ob Tremayne nach diesem Abend das Buch noch geschrieben haben wollte.
«War das nicht toll?«rief Mackie freudestrahlend.
«Ja, allerdings.«
Die Hintergrundmusik verwandelte sich in Tanzmusik. Die Leute liefen durcheinander, drängten sich um Tremayne und klopften ihm auf die Schulter. Perkin führte Mackie auf den Flecken Tanzfläche, der sich an die Tische anschloß. Nolan schnappte sich Fiona, Lewis wurde immer betrunkener, Gareth verdünnisierte sich, und der Sponsor holte seine Lady zurück. Erica und ich blieben übrig.
«Tanzen Sie?«fragte ich.
«Nein. «Sie ließ ihren Blick über die immer noch sehr lebendige Party schweifen.
«Der Ball der Herzogin von Richmond«, sagte sie.
«Erwarten Sie für morgen ein Waterloo?«
«In naher Zukunft. Wer ist Napoleon?«
«Der Feind?«
«Selbstverständlich.«
«Das weiß ich nicht.«
«Strengen Sie Ihr Gehirn an. Wie wäre es mit einer Kombination aus Phantasie und gesundem Menschenverstand?«
«Ich dachte, Sie glauben nicht daran.«
«Zu diesem Zwecke schon. Jemand hat versucht, Harry umzubringen. Das ist außerordentlich beunruhigend. Was ist daran so beunruhigend?«
Sie schien eine Antwort zu erwarten, und so antwortete ich:»Es geschah vorsätzlich. Angela Brickells Tod mag vorsätzlich oder nicht vorsätzlich passiert sein, aber die Attacke auf Harry ist haarklein geplant worden.«
Sie schien augenblicklich ruhiger zu werden.
«Mein Gott!«sagte ich wie vor den Kopf geschlagen.
«Was? Was ist Ihnen eingefallen?«Sie war wieder hellwach und blickte mich gespannt an.
«Ich muß mit Doone reden.«
«Wissen Sie, wer es getan hat?«bohrte sie.
«Nein, aber ich weiß jetzt, was er schon länger wußte. «Ich runzelte die Stirn.»Jeder weiß das.«
«Was denn? So reden Sie doch.«
Ich schaute sie zerstreut an und überlegte.
«Ich glaube nicht, daß es sehr wichtig ist«, sagte ich schließlich.
«Um was handelt es sich denn?«Sie ließ nicht locker.
«Holz schwimmt.«
Sie sah verwirrt aus.»Natürlich schwimmt Holz.«
«Die Bretter, die mit Harry in die Tiefe gefallen sind, sie sind untergegangen. Sie sind nicht oben geschwommen.«
«Weshalb nicht?«
«Das müssen wir herausfinden«, sagte ich.»Doone muß es herausfinden.«
«Was ist daran so wichtig?«
«Nun, niemand konnte völlig sicher sein, daß Harry sich aufspießt und sofort ertrinkt. Also angenommen, er bleibt am Leben und schwimmt dort unten herum. Er kennt das Haus, er war bei Sams Party dort, und er weiß, daß da ein Anlegesteg an der Wand entlang führt. Er weiß, daß dort eine Tür ist, und er hat genug Tageslicht und sieht den Fluß durch das Rollgitter. Wie kommt er also heraus?«
Sie schüttelte den Kopf:»Sagen Sie es mir.«
«Die Tür geht nach draußen auf. Wenn man drinnen ist und in nur zwanzig Zentimeter, nicht zwei Meter tiefem Wasser steht, und da schwimmen drei oder vier Bodenbretter herum, dann nimmt man sich eins als Rammbock, um das Schloß zu zertrümmern, oder man zerschlägt die ganze Tür. Wenn Sie ein großer, starker Mann sind, wie Harry, und obendrein naß, frierend, verzweifelt und wütend — wie lange dauert es, bis Sie draußen sind?«
«Vermutlich nicht sehr lange.«
«Als Napoleon zum Bootshaus kam«, sagte ich,»war nichts davon zu hören, daß Harry sich seinen Weg nach draußen brach. Genau gesehen«, sagte ich düster,»kann niemand sagen, wie lange der Feind dort schon auf der Lauer lag. Er hätte sich versteckt haben können… Harrys Wagen kommen hören.«
«Wenn Ihr Buch veröffentlicht wird«, sagte Erica,»schicken Sie mir ein Exemplar.«
Ich starrte sie mit offenem Mund an.
«Dann kann ich Ihnen den Unterschied zwischen Erfindung und Eingebung erklären.«
Ich zuckte zusammen.»Sie wissen, wie man jemanden aufspießt.«
Sie wollte etwas ganz anderes sagen, kam aber nicht mehr dazu. Statt dessen wirbelten unsere Köpfe gleichzeitig zu den Tänzern hinüber, zwischen denen anscheinend ein Kampf bereits in vollem Gange war. Ein Krachen war zu hören und ein Schrei, und man konnte zu den Klängen der unverdrossen fröhlich drauflosspielenden Band zwei kämpfende Männer erkennen.
Sam… und Nolan.
Auf Sams weißem Jackett und den weißen Rüschen waren Blutflecke. Nolans Hemd war aufgerissen und enthüllte ein breites Stück behaarter Brust. Sie umkreisten einander und tauschten weitausholende Hiebe aus, kaum weiter als fünfzehn Meter von Tisch sechs entfernt; ich stand automatisch auf, weniger um mich einzumischen, als um mich zu schützen.
Perkin versuchte, sie auseinanderzureißen, und wurde von Nolan elegant niedergeschlagen. Der Jockey wußte mit seinen Fäusten so schnell und hart umzugehen, wie er es vom Reiten gewohnt war. Ohne nachzudenken, betrat ich die glatte Tanzfläche, um die Streithähne mit Worten zu besänftigen.
«Ihr blöden Idioten«, sagte ich — nicht gerade einer der originellsten Sätze aller Zeiten.
Nolan schenkte mir für den Bruchteil einer Sekunde seine Aufmerksamkeit, ließ einen geschickten Schlag in Richtung meines Gesichts los und wirbelte gerade rechtzeitig zu seinem Primärziel zurück, um Sams wild dreinschlagenden Arm zu parieren und ihm mit voller Absicht zwischen die Beine zu treten. Sams Kopf kam nach vorne. Nolans Faust senkte sich auf Sams verwundbaren Nacken herab.
Mehr aus Instinkt denn aus Überlegung warf ich mich mit der Wucht meines Körpers auf Nolan, stieß ihn zur Seite. Er wandte mir sein vor boshafter Wut verzerrtes Gesicht zu und übertrug seinen Haß mit Leichtigkeit von Sam auf mich.
Ich hatte verschwommen mitbekommen, daß sich die anderen Gäste von der Tanzfläche wie Morgennebel von einer Wiese verflüchtigt hatten. Mir war auch nicht entgangen, daß Nolan vom Faustkampf eine ganze Menge mehr verstand als ich.
Rennleute sind wirklich ein außergewöhnliches Völkchen, dachte ich. Statt sich in rauhen Scharen auf Nolan zu stürzen, um Schlimmeres zu verhindern, bildeten sie sofort einen Kreis um uns, und als die Band sich widerstrebend zu einer unplanmäßigen Pause durchgerungen hatte, war Lewis’ trunkene Aristokratenstimme zu hören, die» Fünf zu vier auf beide Teilnehmer «näselte.
Alle lachten. Alle bis auf Nolan. Ich zweifelte daran, daß er es gehört hatte. Er wurde so überflutet von dem, was durch den brechenden Damm seiner dunklen Natur hervorstürzte, all die Angst, die Schuldgefühle und der aufgestaute Haß brachen in einer Sturzflut hervor, eine Sturzflut, die nicht länger zurückgehalten werden konnte.
In einem ordentlichen Kampf konnte ich ihn niemals schlagen. Ich hätte nicht mehr als einen Sandsack für seine rastlose Wut abgegeben, einen Gegner, den er als neue, unerträgliche Bedrohung für seine Vorherrschaft in Tremaynes Stall ansah; den Eindringling, den Besetzer, ein gerechtfertigtes Ziel.
Ich drehte ihm den Rücken zu und ging ein, zwei Schritte zur Seite. Alles, was ich in puncto Schlägereien gelernt hatte, waren Tricks und Finten. Auf den Gesichtern der Zuschauer konnte ich ablesen, daß er — und wie schnell — auf mich zukam, und als ich die Bewegung in der Luft hinter mir spürte und das Rascheln seiner Kleider hörte, ging ich blitzschnell auf ein Knie hinunter, wirbelte herum und boxte ihm mit aller Kraft in die unteren Rippen. Dann stemmte ich mein Gewicht gegen seinen Körper und wuchtete ihn in die Luft, so daß er völlig den Kontakt mit dem Boden verlor, und bevor er sich dessen bewußt war, hatte ich eins seiner Handgelenke in der Hand, und als er wieder auf die Füße kam, stand ich hinter ihm, seinen Arm in einem schön schmerzhaften Griff, den Mund an seinem Ohr.