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Der Singsangakzent verhallte; er schüttelte mir die Hand und ging hinaus, ein grauer Mann in einem grauen Anzug, der sich seinen eigenen, ungewöhnlichen Pfad zur Wahrheit suchte.

Ich blieb noch eine Weile sitzen und dachte darüber nach, was ich ihm gesagt und was er mir mitgeteilt hatte. Ich wollte noch immer nicht glauben, daß einer der Menschen, die ich mittlerweile so gut kennengelernt hatte, tatsächlich ein Mörder sein sollte. Keiner von ihnen war ein Schurke, nicht einmal Nolan. Es mußte noch jemanden geben, einen, den wir mit noch keinem Gedanken in Erwägung gezogen hatten.

Den Rest des Morgens über arbeitete ich mehr oder weniger an Tremaynes Buch, konnte mich aber nur schlecht konzentrieren.

Dee-Dee schneite hin und wieder herein, bot mir Kaffee und ihre Gesellschaft an, und Tremayne machte eine Stippvisite, um mir mitzuteilen, er gehe nach Oxford zu seinem Schneider, ob ich die Gelegenheit zum Einkaufen wahrnehmen wolle.

Ich bedankte mich, lehnte jedoch ab. Ich hätte schon gerne neue Stiefel und einen neuen Anorak gekauft, verfügte aber nach wie vor nicht über genügend eigenes Geld. In Shellerton House kam man leicht ohne Geld über die Runden. Zweifellos hätte mir Tremayne den Teil des Vorschusses, der zum Monatsende fällig war, vorgestreckt, doch meine Geldknappheit resultierte aus meiner eigenen Entscheidung, und solange ich in dieser Form überleben konnte, wollte ich nicht danach fragen. Auch das gehörte zum Spiel.

Mackie kam aus ihrer Wohnung herüber, um Dee-Dee Gesellschaft zu leisten. Sie sagte, Perkin sei nach Newbury gefahren, um Besorgungen zu machen. Kurzentschlossen gingen die beiden Damen zusammen zum Mittagessen aus und ließen mich in dem geräumigen Haus allein zurück.

Ich machte mich erneut und fest entschlossen an die Arbeit, fühlte mich jedoch rastlos und unbehaglich. So was Blödes, dachte ich. Das Alleinsein machte mir sonst nichts aus, im Gegenteiclass="underline" Ich war gerne allein. An diesem Tag jedoch fühlte ich mich von der schieren Größe dieses stillen Hauses erdrückt.

Ich ging nach oben, zog die Reitsachen aus, duschte mich und zog mir die bequemeren Jeans und das Hemd vom Vortag an. Dann schlüpfte ich in meine Turnschuhe und in den roten Pullover, um nicht zu frieren. Anschließend machte ich mir in der Küche ein Käsesandwich und bedauerte, nicht mit Tremayne gefahren zu sein, schon allein der Fahrt wegen. Das bekannte Muster: man versucht sich zu beschäftigen… mit irgend etwas — um ja nicht vor dem leeren Blatt sitzen zu müssen. Nur war dieses Mal die innere Unruhe besonders stark.

Planlos schlenderte ich ins Familienzimmer hinüber, das ohne brennendes Kaminfeuer tot und verlassen wirkte. Ich überlegte, was ich zum Abendessen kochen sollte. An der Pinnwand hing immer noch Gareth’ ZUM FUTTERN WIEDER DA-Nachricht, und mit einem deutlichen Gefühl der Erleichterung fiel mir ein, daß ich versprochen hatte, seine Kamera zu suchen.

Die Unbehaglichkeit war wie weggeblasen. Ich fand ein Stück Papier und hinterließ meine Nachricht: ICH HABE DEN LANDROVER AUSGELIEHEN, UM GARETH’ KAMERA ZU HOLEN. ZUM FUTTERN WIEDER DA! Ich spießte den Zettel mit einer roten Nadel beschwingten Herzens an die Korkwand, ging nach oben, um erneut die Reithosen anzuziehen, da sie für diesen Zweck besser geeignet waren, und steckte den Kompaß und die Landkarte ein, falls ich die Fährte nicht mehr finden sollte. Dann stürmte ich die Treppe hinunter und hinein in den fahrbaren Untersatz, nachdem ich den Hintereingang hinter mir zugeschlossen hatte.

Es war ein herrlicher Tag, so sonnig wie der vorherige, nur windiger. Mit dem Gefühl, unerwartet vom Schulunterricht befreit zu sein, fuhr ich die Straße nach Reading über die Hügel an den uneingezäunten Gebieten des Quil-lersedge-Anwesens entlang, bis ich glaubte, an der Stelle angekommen zu sein, an der Gareth die Farbe fallen gelassen hatte. Dort parkte ich auf dem Randstreifen und machte mich zu Fuß auf die Suche.

Niemand war mit der Farbe auf den Autoreifen davongefahren. Der Farbfleck war schmutzig, aber immer noch gut zu sehen, und ohne größere Schwierigkeiten fand ich von dort aus den Anfang der Fährte, ungefähr sieben Meter schnurgeradeaus in den Wald hinein. Ich folgte der Spur ebenso leicht durch das Labyrinth der Bäume und Sträu-cher wie am Tag zuvor.

Gareth ein Mörder… ich mußte bei diesem absurden Gedanken vor mich hin grinsen. Da könnte man ebensogut Coconut verdächtigen.

Die Spur war nicht nur von den bleichen Farbflecken markiert, von denen immer der nächste in Sichtweite angebracht war. Wir hatten am vorigen Tag eine gut lesbare Fährte aus abgebrochenen Zweigen und zertrampelter Erde hinterlassen. Wenn ich hier noch einmal mit der Kamera durchkam, hatten wir schon beinahe einen Buschpfad angelegt.

Der Wind rauschte in den Bäumen, wiegte sie hin und her und erfüllte meine Ohren mit den alten Liedern vom Land. Die Sonne strahlte in immer wieder neuen Mustern durch die sich wiegenden Zweige. Ich marschierte langsam auf meinem verschlungenen Weg durch diesen wuchernden, ungerodeten Irrgarten und fühlte mich eins mit der Natur und unbeschreiblich glücklich.

Der Pfad schlängelte sich durch den Wald und führte mich schließlich zu der kleinen Lichtung. Unsere improvisierten Sitze hatte der Wind zerzaust, der Platz war jedoch einwandfrei wiederzuerkennen, und beinahe auf den ersten Blick sah ich Gareth’ Kamera, die, wie er gesagt hatte, an einem Ast hing und einem geradezu ins Auge stach.

Ich ging quer über die Lichtung, als mich plötzlich etwas mit voller Wucht in den Rücken traf.

Die Augenblicke, in denen sich eine Katastrophe abspielt, nehmen einem jede Orientierung. Ich wußte nicht, was passiert war. Ich befand mich plötzlich in einer anderen Welt. Ich stürzte. Ich lag mit dem Gesicht nach unten auf der Erde. Mit meiner Atmung stimmte etwas nicht.

Außer dem Rauschen des Windes hatte ich nichts gehört, nichts gesehen außer den sich wiegenden Bäumen, und doch, dachte ich ungläubig, hat jemand auf mich geschossen.

Mein Instinkt und meine Verletzung rieten mir, mich totzustellen. Ein Schwirren in der Nähe meines Ohrs. Ich schloß die Augen. Ein zweiter Einschlag fuhr mir in den Rücken.

Das also war der Tod, dachte ich benommen; und ich wußte nicht einmal, wer mich umbrachte, wußte nicht, weshalb.

Das Atmen fiel mir schrecklich schwer. Meine Brust stand in Flammen. Eine Welle naßkalten Schweißes brach am ganzen Körper aus.

Ich blieb regungslos liegen.

Mein Gesicht ruhte auf modrigen Blättern, trockenem Gras und kleinen Zweigen. Ich sog das Aroma der Erde tief ein. Von der Erde aufgenommen, wurde man wieder zu Staub.

Jemand wartete darauf, daß ich mich bewegte, dachte ich verschwommen; wenn ich mich bewegte, gäbe es einen dritten Stoß in meinem Rücken, und mein Herz würde aufhören zu schlagen. Wenn ich mich nicht bewegte, würde dieser jemand herbeikommen, meinen Puls fühlen und mir den Rest geben, wenn er ihn fand. So oder so, alles, was gerade erst losgehen sollte, nahm damit sein Ende, versickerte ohne Aussicht auf Hoffnung.

Ich regte mich nicht. Kein Muckser.

Ich hörte nichts als den Wind in den Bäumen; niemand rührte sich. Ich hatte noch nicht einmal die Schüsse gehört.

Das Atmen war eine Qual. Wie ein Schacht aus Schmerzen. Nur ein Minimum an Luft ging hinein, rann wieder heraus. Nicht genug. Nicht mehr lange… und ich würde einschlafen.

Eine lange Zeit schien zu vergehen, und ich lebte immer noch.

Ich hatte die Vision, daß jemand hinter mir stand, mit einem Gewehr, und nur darauf wartete, daß ich mich rührte. Eine dunkle Gestalt ohne Gesicht, deren Geduld bis in die Ewigkeit reichte.

Wieder diese naßkalte Übelkeit, einlullend und verhängnisvoll. Meine Haut schwitzte. Mir war kalt.

Ich versuchte, mir nicht genauer auszumalen, was da in meinem Körper vor sich ging.

Ruhig zu liegen war allemal einfacher als sich zu bewegen. Ich würde ohne mich zu rühren in die Ewigkeit hinübergleiten. Der Mann mit dem Gewehr konnte warten, bis er schwarz wurde, ich war dann schon weg. Genau so würde ich ihn hereinlegen.