Wir setzten uns und schwiegen. Die Stille der Nacht umfing uns, und die Milchstraße am Himmel erinnerte mich an mein Zieclass="underline" mein Schwert zu finden.
Nach einer Weile lehrte mich Petrus das Exerzitium des Wassers.
«Ich bin müde und werde jetzt schlafen gehen«, sagte er.
«Aber mach du jetzt diese Übung. Erwecke deine Intuition, deine geheime Seite. Laß die Logik aus dem Spiel, denn das Wasser ist ein flüssiges Element und läßt sich nicht so einfach beherrschen. Doch es wird ganz allmählich, gewaltlos, eine neue Beziehung zwischen dir und dem Universum aufbauen.«
Und er schloß, bevor er ins Hotel trat:»Man hat nicht immer einen Hund, der einem hilft.«
Ich genoß die Kühle und die Stille der Nacht. Das Hotel lag weitab von der nächsten Stadt, und niemand fuhr die Straße entlang, an der ich saß. Ich dachte an den Besitzer, der Ipanema kannte und dem es absurd vorkommen mußte, daß ich mich an diesem kargen Ort aufhielt, auf den die Sonne jeden Tag wieder mit derselben Heftigkeit niederbrannte.
Ich wurde allmächlich müde und beschloß, die Übung gleich zu machen. Ich schüttete den Rest des Wassers auf den Betonboden. Sofort bildete sich eine Pfütze. Sie hatte weder eine bestimmte Form, noch stellte sie irgend etwas dar, aber darum ging es mir auch nicht. Meine Finger begannen durch das kalte Wasser zu fahren, und ich gelangte allmählich in den hypnotischen Zustand, der einen überkommt, wenn man ins Feuer blickt. Ich dachte an nichts, spielte nur mit dem Wasser einer Pfütze. Ich machte am Rand ein paar Striche, und die Pfütze schien sich in eine nasse Sonne zu verwandeln, doch die Striche verliefen schnell wieder ineinander. Dann schlug ich mit der Handfläche mitten in die Pfütze. Das Wasser spritzte und über DAS EXERZIT IUM DES ERWECKENS DER INTUITION
(Das Exerzitium des Wassers)
Mache auf einer glatten, wasserundurchlässigen Oberfläche eine Pfütze. Sieh diese Pfütze eine Zeitlang an. Dann beginne, absichts- und ziellos, mit dieser Wasserpfütze zu spielen. Male etwas vollkommen Sinnloses mit dem Wasser. Mache diese Übung eine Woche lang jeweils mindestens zehn Minuten.
Suche in dieser Übung nicht nach praktischen Ergebnissen. Sie wird ganz allmählich deine Intuition wecken. Vertrau ihr immer, auch wenn sie beginnt, sich auch zu anderen Tageszeiten zu manifestieren. zog den Betonboden mit Tropfen, schwarzen Sternen auf grauem Grund. Ich war ganz in diese kindische Übung versunken, die kein Ziel verfolgte, sondern einfach nur Spaß machte. Ich fühlte, daß mein Geist fast vollkommen ausgeschaltet war. Das erreichte ich sonst nur nach langen Meditationen und in tiefer Entspannung. Gleichzeitig sagte mir etwas, daß tief in mir, in den verborgenen Bereichen meines Geistes, eine Kraft Gestalt annahm und sich anschickte, sich zu manifestieren.
Ich spielte lange mit der Pfütze, und es fiel mir schwer, mit der Übung aufzuhören. Hätte mir Petrus die Übung mit dem Wasser am Anfang der Reise beigebracht, hätte ich sie bestimmt für eine Zeitvergeudung gehalten. Doch jetzt, nachdem ich in fremden Zungen geredet und Dämonen ausgetrieben hatte, stellte diese Wasserpfütze einen ersten zaghaften Kontakt zur Milchstraße über mir her. Sie spiegelte deren Sterne wider, schuf Zeichnungen, die ich nicht entschlüsseln konnte, und verschaffte mir das Gefühl, gleichsam einen neuen Code der Kommunikation mit der Welt zu schaffen. Den geheimen Code der Seele, der Sprache, die wir zwar verstehen, aber nur selten hören.
Es war spät geworden. Die Lichter am Empfang des Hotels brannten nicht mehr, und ich ging ganz leise hinein. In meinem Zimmer rief ich noch einmal Astrain. Er erschien mir deutlicher, und ich sprach eine Zeitlang mit ihm über mein Schwert und meine Lebensziele.
Einstweilen äußerte er sich nicht, doch Petrus hatte mir ja gesagt, daß Astrain erst im Laufe der Zeit, je häufiger ich ihn anrief, zu einer lebendigen und mächtigen Gegenwart an meiner Seite werden würde.
Die Hochzeit
Logrono ist eine der größten Städte am Jakobsweg. Die einzige große Stadt, durch die wir zuvor gekommen waren, war Pamplona gewesen. An dem Nachmittag, an dem wir in Logrono ankamen, bereitete die Stadt sich auf ein großes Fest vor, und Petrus schlug vor, zumindest eine Nacht zu bleiben.
Ich hatte mich schon so sehr an die Stille und die Freiheit auf dem Lande gewöhnt, daß mir dieser Gedanke nicht sonderlich gefiel. Seit dem Zwischenfall mit dem Hund waren fünf Tage vergangen, und ich hatte jede Nacht Astrain gerufen und das Exerzitium des Wassers durchgeführt. Ich war innerlich sehr viel ruhiger und mir der Bedeutung des Jakobsweges für mein Leben und dessen bewußter geworden, was ich in Zukunft tun würde. Obwohl die Landschaft trocken und das Essen nicht immer gut gewesen waren und mich das tagelange Wandern müde gemacht hatte, lebte ich einen realen Traum.
All dies rückte in weite Ferne, als wir in Logrono ankamen. Hier herrschte nicht mehr die heiße, aber reine Luft wie draußen auf dem Land; im Gegenteil, die Stadt wimmelte nur so von Autos, Journalisten und Fototeams. Petrus ging in die nächste Bar, um nachzufragen, was hier los sei.
«Wissen Sie es denn nicht? Heute ist die Hochzeit von Oberst M.«, antwortete der Mann.»Es wird ein großes, öffentliches Bankett auf dem Platz geben, und ich schließe heute früher.«
Es war schwierig, eine Unterkunft zu finden, doch schließlich kamen wir bei einem alten Ehepaar unter, das die Jakobsmuschel auf Petrus' Rucksack bemerkt hatte. Wir nahmen ein Bad, ich zog die einzige lange Hose an, die ich mitgenommen hatte, und wir gingen zum Platz.
Dort waren unzählige Kellner und Kellnerinnen in weißen Jacken und schwarzen Kleidern damit beschäftigt, letzte Hand an die auf dem ganzen Platz verteilten Tische zu legen. Das spanische Fernsehen machte ein paar Aufnahmen von den Vorbereitungen. Wir folgten einer kleinen Straße, die zur Paroquia de Santiago El Real führte, wo die Trauung stattfinden sollte.
Festlich gekleidete Menschen, Frauen, deren Schminke in der Hitze fast zerlief, weißgekleidete Kinder mit grimmigen Gesichtern strömten in die Kirche. Einige Feuerwerkskörper zerkrachten über uns, als eine riesige schwarze Limousine vor dem Hauptportal hielt. Petrus und mir gelang es nicht, in die brechend volle Kirche zu gelangen, und so beschlossen wir, auf den Platz zurückzukehren.
Während Petrus eine Runde drehte, setzte ich mich auf eine Bank und wartete auf das Ende der Trauung und das anschließende Bankett. Neben mir wartete ein Popcornverkäufer ebenfalls auf das Ende der Trauungszeremonie, weil er sich einen Extragewinn versprach.
«Sind Sie auch eingeladen?«fragte er mich.
«Nein«, antwortete ich,»wir sind Santiago-de-Compostela-Pilger.«
«Von Madrid fährt ein Zug direkt dorthin, und wenn Sie freitags fahren, ist die Hotelübernachtung im Preis inbegriffen.«
«Aber wir machen eine Pilgerreise. «Der Verkäufer schaute mich an und meinte dann vorsichtig:
«Eine Pilgerfahrt, das ist etwas für Heilige. «Ich wechselte das Thema. Der Alte fing an, mir zu erzählen, daß seine Tochter schon verheiratet sei, aber jetzt von ihrem Mann getrennt lebe.
«Zu Francos Zeiten, da herrschte noch mehr Respekt«, sagte er.»Heute schert sich niemand mehr um die Familie. «Obwohl ich mich in einem fremden Land aufhielt, wo es nicht ratsam ist, über Politik zu diskutieren, konnte ich dies nicht so stehenlassen. Ich sagte, daß Franco ein Diktator sei und zu seiner Zeit nichts besser gewesen sein könnte. Der Alte lief rot an.»Was bilden Sie sich eigentlich ein?«