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«Ich kenne die Geschichte Ihres Landes. Ich kenne den Kampf Ihres Volkes für die Freiheit. Ich habe über die Verbrechen des Spanischen Bürgerkrieges gelesen.«»Aber ich war in diesem Krieg. Ich kann darüber sprechen, denn in diesem Krieg ist das Blut meiner Familie geflossen.

Was Sie gelesen haben, interessiert mich nicht. Mich interessiert, was in meiner Familie geschehen ist. Ich habe gegen Franco gekämpft, doch nach seinem Sieg ist mein Leben besser geworden. Ich bin nicht arm und besitze einen fahrbaren Popcornstand. Der sozialistischen Regierung, die wir jetzt haben, habe ich das nicht zu verdanken. Mir geht es jetzt schlechter als vorher.«

Mir fiel ein, wie Petrus gesagt hatte, daß sich die Menschen im Leben mit wenig zufriedengeben, und ich beschloß, nicht weiter darauf einzugehen, und setzte mich auf eine andere Bank.

Petrus kam und setzte sich neben mich. Ich erzählte ihm, was ich mit dem Popcornverkäufer erlebt hatte.

«Miteinander reden ist sehr gut«, meinte er,»wenn man sich von dem überzeugen will, was man sagt. Zu Hause bin ich Mitglied der Kommunistischen Partei, also ich hatte ja keine Ahnung von deiner faschistischen Seite.«

«Was heißt hier faschistische Seite?«fragte ich empört.

«Du hast dem Alten dabei geholfen, sich davon zu überzeugen, daß Franco besser war. Vielleicht hätte er sonst nie erfahren, weshalb. Jetzt weiß er es.«

«Tja, ich war auch sehr überrascht zu hören, daß der PCI an die Gaben des Heiligen Geistes glaubt.«

«Wir kümmern uns nicht darum, was die Nachbarn sagen werden«, äffte er den Papst nach. Wir lachten beide. Das Feuerwerk krachte von neuem. Eine Musikkapelle stieg in den Musikpavillon auf den Platz und fing an, die Instrumente zu stimmen. Das Fest mußte jeden Augenblick beginnen.

Ich blickte zum Himmel. Es dämmerte, und einige Sterne erschienen. Petrus wandte sich an einen der Kellner, und es gelang ihm, zwei Plastikbecher mit Wein zu organisieren.

«Es bringt Glück, wenn man schon etwas trinkt, bevor das Fest beginnt«, sagte er und reichte mir eines der Glaser.»Nimm einen Schluck, es wird dir helfen, den Alten mit dem Popcorn zu vergessen.«

«Ich habe schon gar nicht mehr daran gedacht.«

«Hättest du aber sollen. Weil, was geschehen ist, eine symbolische Botschaft zur Korrektur eines falschen Verhaltens ist. Wir versuchen immer Anhänger für unsere Sicht der Welt zu gewinnen. Wir glauben, daß, wenn nur viele dasselbe glauben wie wir, dies Wirklichkeit wird. Das ist keineswegs so.

Sieh dich um. Hier wird ein großes Fest vorbereitet, gleich wird es beginnen. Viele Dinge werden gleichzeitig gefeiert: der Traum des Vaters, der seine Tochter verheiraten wollte, der Traum der Tochter, die heiraten wollte, der Traum des Bräutigams. Das ist gut so, weil sie an diesen Traum glauben und allen zeigen wollen, daß sie ein Ziel erreicht haben. Es ist kein Fest, bei dem es darum geht, jemanden zu überzeugen.

Deshalb ist es fröhlich. Alles weist darauf hm, daß es Menschen sind, die den guten Kampf der Liebe kämpfen.«

«Aber du versuchst mich doch auch zu überzeugen, Petrus. Du führst mich auf dem Jakobsweg. «Er bedachte mich mit einem kühlen Blick.»Ich bringe dir die Praktiken des R.A.M. bei. Aber du wirst dein Schwert erst finden, wenn du entdeckst, daß der Weg in deinem Herzen liegt, wie auch die Wahrheit und das Leben.«

Petrus wies auf den Himmel, an dem die Sterne jetzt gut sichtbar waren.

«Die Milchstraße zeigt den Weg nach Compostela. Es gibt keine Religion, die in der Lage wäre, alle Sterne zusammenzubringen. Denn geschähe dies, würde das Universum zu einem riesigen leeren Raum werden und seine Daseinsberechtigung verlieren. Jeder Stern — und jeder Mensch

— hat seinen eigenen Raum und seine besonderen Eigenschaften.

Es gibt grüne, gelbe, blaue, weiße Sterne, es gibt Kometen, Meteore und Meteoriten, es gibt Sternennebel und — ringe. Was von hier unten wie ein Haufen gleicher Punkte aussieht, sind in Wirklichkeit Millionen unterschiedlicher Dinge, die in einem Raum verteilt sind, der die menschliche Vorstellungskraft übersteigt.«

Das Feuerwerk leuchtete wieder auf, und sein Strahlen verbarg für einen Augenblick den Himmel. Eine Kaskade grüner, glitzernder Partikel erschien am Himmel.

«Vorhin haben wir, weil es noch Tag war, nur den Lärm gehört.

Jetzt können wir sein Licht sehen«, sagte Petrus.»Dies ist die einzige Veränderung, die der Mensch anstreben kann.«

Das Brautpaar trat aus der Kirche, und die Leute warfen Reis und ließen sie hochleben. Die Braut war ein mageres Mädchen von etwa siebzehn Jahren, das bei einem jungen Mann in Galauniform eingehakt war. Ihnen folgte die Hochzeitsgemeinde, und alle machten sich auf den Weg zum Platz.

«Sieh mal, der Oberst M.! Guck mal das Brautkleid! Wie hübsch sie ist«, sagten ein paar Mädchen, die bei uns in der Nähe standen. Die Gäste setzten sich an die Tische, die Kellner schenkten Wein ein, und die Musikkapelle fing an zu spielen.

Der Alte mit dem Popcorn wurde sofort von einem Schwärm kleiner Jungen umringt, die ihm übereifrig das Geld hinreichten und den Inhalt der Beutel auf den Boden schütteten. Die Nacht war ein Fest, die ganze Stadt war eingeladen, und alle fühlten sich wichtig.

Ein Fernsehteam steuerte auf uns zu, und Petrus verbarg sein Gesicht. Doch das Team ging an uns vorbei zu einem anderen Gast, der neben uns stand. Ich erkannte ihn sofort: Es war der Anführer der spanischen Fangemeinde bei der Fußballweltmeisterschaft in Mexiko. Als das Interview vorüber war, wandte ich mich an ihn, sagte ihm, ich sei Brasilianer, und er forderte mit gespielter Empörung ein Tor ein, das ihnen beim ersten Spiel aberkannt worden war. Doch dann umarmte er mich und sagte, daß Brasilien in Zukunft wieder die besten Spieler der Welt haben würde.

«Wie schaffen Sie es, das Spiel zu sehen, obwohl Sie immer mit dem Rücken zum Fußballfeld stehen und die Fans anfeuern?«fragte ich. Das war mir damals bei den Übertragungen der Weltmeisterschaft aufgefallen.

«Meine größte Freude ist, wenn die Fans an den Sieg glauben.«

Und, als sei er auch ein Führer auf dem Weg nach Santiago, schloß er:

«Eine Fangemeinde ohne Glauben läßt eine Mannschaft ein Spiel mit sicherem Sieg verlieren.«

Dann wollten andere etwas von ihm. Doch ich dachte über seine Worte nach. Obwohl er niemals die Rota Jacobea gegangen war, wußte auch er, was es bedeutete, den guten Kampf zu kämpfen.

Ich entdeckte Petrus, den die Gegenwart des Fernsehteams sichtlich störte, in einer Ecke. Erst als die Scheinwerfer ausgingen, kam er zwischen den Bäumen des Platzes hervor und entspannte sich etwas. Wir baten um noch zwei Becher Wein, ich füllte mir einen Teller mit Schnittchen, und Petrus fand einen Tisch, an den wir uns zu den anderen Gästen setzen konnten.

Das Brautpaar schnitt einen riesigen Kuchen an. Wieder erschallten Hochrufe.

«Sie scheinen sich zu lieben«, dachte ich laut.

«Natürlich lieben sie sich«, sagte ein Herr im dunklen Anzug, der an unserem Tisch saß.»Haben Sie schon mal jemanden gesehen, der aus einem anderen Grund geheiratet hat?«

Ich behielt die Antwort für mich, denn ich erinnerte mich an das, was Petrus über den Popcornverkäufer gesagt hatte. Doch mein Führer ließ diese Frage nicht einfach im Raum stehen.

«Welche Liebe meinen Sie: Eros, Philos oder Agape?«

Der Mann sah ihn verständnislos an. Petrus stand auf, schenkte sich Wein nach und forderte mich auf, mit ihm einen kleinen Spaziergang zu machen.

«Es gibt im Griechischen drei Worte für Liebe«, begann er.

«Heute siehst du eine Manifestation des Eros, des Gefühls, das zwei Menschen füreinander empfinden. «Die Brautleute lächelten in die Blitzlichter und wurden beglückwünscht.

«Es sieht so aus, als liebten sie einander«, sagte er und meinte damit die Brautleute.»Und sie glauben, daß Liebe etwas ist, das wächst. Bald schon werden sie allein ihr Leben gestalten, ein Haus einrichten und gemeinsam dasselbe Abenteuer leben.