Выбрать главу

5. Halte dieses über die Welt gebreitete Licht so lange wie möglich aufrecht. Dein Herz ist offen, verbreitet Liebe. Diese Phase des Exerzitiums sollte mindestens fünf Minuten dauern.

6. Kehre ganz allmählich aus deiner Trance in die Welt zurück.

Die Heiligen werden in der Nähe bleiben. Das blaue Licht wird weiterhin über die Welt verteilt sein.

Dieses Ritual kann, wenn es nicht anders geht, von einer Person allein, sollte aber wenn möglich von mehreren Personen vollführt werden. Dabei sollen sie einander an den Händen halten. die Exerzitien durchführte. Er hatte mir geholfen, die erste Begegnung mit dem Boten zu deuten, hatte mich beim Exerzitium des Samenkorns aus der Trance gerissen, doch zu keinem Zeitpunkt hatte er sich für das interessiert, was sie in mir bewirkten. Mehr als einmal hatte ich ihn gefragt, weshalb er meine Gefühle nicht erfahren wolle, und er hatte mir geantwortet, daß die einzige Verpflichtung, die er als Führer habe, darin bestehe, mir den Jakobsweg und die Praktiken der R.A.M. zu zeigen. Es liege bei mir, die Ergebnisse entweder zu nutzen oder abzulehnen.

Als er sagte, er wolle das Exerzitium mit mir zusammen machen, fühlte ich mich plötzlich seines Lobes unwürdig. Er kannte meine Fehler und hatte häufig an seiner Fähigkeit gezweifelt, mich auf dem Jakobsweg zu führen. Ehe ich ihm das ansatzweise sagen konnte, fiel er mir ins Wort.

«Sei nicht grausam zu dir. Sonst hast du keine Lehre gezogen aus dem, was ich dir beizubringen suchte. Sei nett zu dir selber.

Nimm ein verdientes Lob an.«

Mir stiegen Tränen in die Augen. Petrus nahm mich bei der Hand, und wir gingen hinaus. Die Nacht war dunkel, dunkler als sonst. Ich setzte mich neben ihn, und wir begannen zu singen.

Die Musik stieg in mir auf, und ich folgte der Melodie mühelos.

Ich begann leise in die Hände zu klatschen, während ich den Oberkörper vor- und zurückschwingen ließ. Das Händeklatschen wurde stärker, und in mir floß frei die Musik, eine Lobeshymne auf den dunklen Himmel, die wüstenähnliche Ebene, die leblosen Felsen. Ich begann die Heiligen zu sehen, an die ich als Kind geglaubt hatte, die aber das Leben von mir entfernt hatte, weil auch ich einen großen Teil Agape in mir abgetötet hatte. Doch jetzt kehrte die alles verschlingende Liebe freigebig wieder zu mir zurück, und die Heiligen lächelten genauso vom Himmel wie damals in meiner Kindheit.

Ich breitete die Arme aus, damit die Agape floß, und ein geheimnisvoller Strom aus blauem Licht begann in mich hinein-und aus mir herauszufließen, wusch meine Seele und vergab mir meine Sünden. Da begann ich zu weinen. Ich weinte, weil ich den Enthusiasmus wieder fühlte, den ich als Kind angesichts des Lebens gefühlt hatte. Nichts mehr konnte mir in diesem Augenblick etwas anhaben.

Das Licht breitete sich erst über die Landschaft aus, und dann umhüllte es die ganze Welt. In jede Tür, in jede Gasse war es gedrungen und hatte für Bruchteile von Sekunden jedes lebende Wesen berührt.

Ich spürte, daß jemand kam und sich rechts neben mich setzte, und glaubte, es sei mein Bote, denn er würde der einzige sein, der dieses starke Licht sehen konnte. Jemand ergriff meine zum Himmel erhobenen Hände. In diesem Augenblick wurde der Strom blauen Lichts noch stärker, so intensiv, daß ich glaubte, ohnmächtig zu werden. Doch es gelang mir, ihn noch so lange aufrechtzuerhalten, bis ich das Lied zu Ende gesungen hatte.

Dann entspannte ich mich, vollkommen erschöpft, doch eins mit dem Leben und glücklich über das, was ich gerade erlebt hatte.

Die Hände, die meine Hände gehalten hatten, gaben diese frei.

Ich bemerkte, daß eine Hand die Hand von Petrus war. Und tief in meinem Herzen ahnte ich, wessen die andere Hand war.

Ich öffnete die Augen, und neben mir saß der Mönch Alfonso.

Er lächelte.»Buenas noches. «Ich lächelte zurück, ergriff seine Hand und drückte sie fest an meine Brust. Er ließ mich gewähren, zog dann aber seine Hand sanft zurück.

Keiner sagte etwas. Eine geraume Weile später erhob sich Alfonso und ging wieder in die felsige Ebene zurück. Meine Blicke folgten ihm, bis die Dunkelheit ihn ganz in sich aufgenommen hatte.

Petrus brach kurz darauf das Schweigen. Er erwähnte Alfonso nicht.

«Mache dieses Exerzitium, sooft du kannst, und ganz allmählich wird die Agape wieder in dir leben. Wiederhole es, bevor du ein Vorhaben in Angriff nimmst, an den ersten Tagen einer Reise oder wenn etwas deine Gefühle aufgewühlt hat.

Wenn möglich, mache es mit jemandem zusammen, den du gern hast. Es ist eine Erfahrung, die mit anderen geteilt werden sollte. «Das war wieder der alte Petrus, der Fachmann, Lehrer und Führer, von dem ich so wenig wußte. Der gefühlsbetonte Augenblick in der Hütte war vorüber. Dennoch, er hatte meine Hand wahrend des Exerzitiums ergriffen, und ich hatte die Größe seiner Seele gespürt.

Wir kehrten zur weißen Einsiedelei zurück, in der noch unsere Sachen lagen.

«Ihr Bewohner wird heute nicht mehr zurückkommen, ich glaube, wir können hier schlafen«, sagte Petrus und legte sich nieder. Ich rollte meinen Schlafsack aus, trank einen Schluck Wein und legte mich auch nieder. Ich war erschöpft von der alles verschlingenden Liebe. Doch es war eine Müdigkeit, die frei von Anspannung war, und bevor ich meine Augen schloß, dachte ich an den hageren, bärtigen Mönch, der mir eine gute Nacht gewünscht und sich neben mich gesetzt hatte. Irgendwo dort draußen wurde dieser Mann von der göttlichen Flamme verzehrt. Vielleicht war deshalb die Nacht so dunkel, weil er alles Licht der Welt in sich aufgenommen hatte.

Der Tod

Sind Sie Pilger?«fragte die alte Frau, die uns das Frühstück servierte. Wir befanden uns in Azofra, einem Ort mit kleinen Häusern, die an ihrer Fassade Wappen aus dem Mittelalter trugen, und mit einem Brunnen, an dem wir kurz zuvor unsere Wasserflaschen gefüllt hatten.

Ich nickte, und die Augen der Frau blickten voller Achtung und Stolz.

«Als ich ein Kind war, kam täglich mindestens ein Pilger auf dem Weg nach Compostela durch den Ort. Was nach dem Krieg und nach der Franco-Zeit geschehen ist, weiß ich nicht.

Jedenfalls sieht es so aus, als hätten die Wallfahrten aufgehört.

Man sollte hier eine Straße bauen. Heute wollen die Leute doch nur noch Auto fahren.«

Petrus schwieg. Seit dem Erwachen war er schlecht gelaunt.

Ich stimmte der Frau zu und stellte mir eine neue, geteerte Straße vor, die durch Berge und Täler führte, stellte mir Autos mit einer auf die Kühlerhaube gemalten Jakobsmuschel vor und Souvenirläden vor den Toren der Klöster. Ich trank meinen Milchkaffee aus und aß mein Brot mit Olivenöl. Ein Blick in den Jakobswegführer von Aymeric Picaud sagte mir, daß wir wahrscheinlich am Abend in Santo Domingo de la Calzada ankommen würden, und ich nahm mir vor, im Parador Nacional zu übernachten.

Ich hatte viel weniger Geld ausgegeben, als ich gedacht hatte, obwohl wir immer drei Mahlzeiten am Tag zu uns nahmen. Jetzt war der Augenblick gekommen, sich etwas Extravagantes zu leisten.

Beim Aufwachen war ich von einem seltsamen Gefühl der Eile getrieben gewesen und wollte so schnell wie möglich in Santo Domingo ankommen. Auf unserem Weg zur Einsiedelei war ich noch überzeugt davon gewesen, daß ich dieses Gefühl nie wieder haben würde. Petrus war melancholischer, schweigsamer als sonst, und ich wußte nicht, ob die Begegnung mit Alfonso zwei Tage zuvor der Grund dafür war. Ich hätte gern Astrain gerufen, um mit ihm ein wenig darüber zu reden. Doch ich hatte ihn noch nie morgens gerufen und wußte nicht, ob es klappen würde. Daher verwarf ich diesen Gedanken.