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«Noch etwas«, fügte Petrus an.»Das Duell mit dem Hund kann nur mit dem Sieg von einem von euch beiden enden. Der Hund wird wiederkommen, und das nächste Mal wird er versuchen, den Kampf bis zu Ende auszufechten. Sonst wird sein Geist dich für den Rest deines Lebens in Atem halten.«

Als wir dem Zigeuner begegnet waren, hatte Petrus mir gesagt, er kenne den Namen dieses Dämons. Ich fragte danach,

«Legion«, sagte er.»Denn es sind ihrer viele.«

Wir gingen über Felder, die die Bauern für die Aussaat vorbereiteten. Vereinzelte Landarbeiter betätigten primitive Wasserpumpen. Am Rande des Jakobsweges bilden aufgeschichtete Steine endlose Mauern, die sich überschneiden und in den Umrissen der Felder verschwinden.

Ich dachte an die vielen Jahrhunderte, in denen diese Felder nun schon bestellt worden waren, und dennoch tauchte immer wieder ein Stein auf, der weggeschafft werden mußte, der die Flugschar zerbrach, das Pferd lahmen und die Hände des Landarbeiters schwielig werden ließ.

Petrus ging schweigend neben mir her, und mir fiel auf, daß er seit dem Morgen kaum etwas gesagt hatte. Nach der Unterhaltung bei der mittelalterlichen Säule hatte er sich hinter seinem Schweigen verschanzt und einen Großteil meiner Fragen unbeantwortet gelassen. Ich hätte gern mehr über die Geschichte mit den» vielen Dämonen «erfahren, Jeder Mensch habe nur einen Boten, hatte er mir erklärt, doch mehr war im Moment nicht aus ihm herauszuholen. Dann mußte ich eben auf eine bessere Gelegenheit warten. Wir stiegen eine kleine Anhöhe hinauf, und oben angekommen sahen wir den Hauptturm der Kirche von Santo Domingo de la Calzada. Der Anblick munterte mich auf. Ich begann vom Komfort und dem Zauber des Parador Nacional zu träumen. Ich hatte gelesen, daß das Gebäude vom heiligen Antonius höchstpersönlich als Pilgerherberge erbaut worden war. Einmal hatte dort auch der heilige Franziskus von Assisi auf seinem Weg nach Compostela übernachtet. All das machte mich ganz aufgeregt.

Es war etwa sieben Uhr abends, als Petrus mich stehenbleiben hieß. Ich erinnerte mich an Roncesvalles, an das langsame Gehen, als es mich wegen der Kälte so sehr nach einem Glas Wein verlangt hatte, und ich befürchtete, daß er etwas Ähnliches im Schilde führte.

«Ein Bote wird dir niemals dabei helfen, einen anderen zu vernichten, denn Boten sind weder gut noch böse, doch einander loyal verbunden. Vertraue nicht darauf, daß dein Bote dir hilft, den Hund zu besiegen.«

Jetzt wollte ich nicht über Boten sprechen. Ich wollte schnell in Santo Domingo ankommen.

«Die Boten toter Menschen können den Körper von jemanden besetzen, der von Angst beherrscht wird. Daher sind es wie im Falle des Hundes viele. Die Angst der Frau hat sie gerufen.

Nicht nur den Boten des toten Zigeuners, sondern die vielen, die auf der Suche nach einer Möglichkeit, mit den Kräften der Erde in Kontakt zu treten, im Raum umherirren.«

Erst jetzt beantwortete er meine Frage. Die seltsam gekünstelte Art, wie er mit mir sprach, sagte mir, daß er überhaupt nicht darüber reden wollte. Mein Instinkt warnte mich, doch ich fragte trotzdem:

«Was soll das, Petrus?«

Mein Führer antwortete nicht. Er verließ den Weg und ging auf einen alten, fast entlaubten Baum zu, der ein gutes Stück abseits auf dem Feld stand und weit und breit der einzige Baum war. Da er mir nicht bedeutet hatte, ihm zu folgen, blieb ich auf dem Weg stehen. Und wurde Zeuge einer seltsamen Szene: Petrus ging um den Baum herum und sagte etwas mit lauter Stimme, während er zu Boden blickte. Als er geendet hatte, machte er mir ein Zeichen.»Setz dich hierhin«, sagte er. Seine Stimme klang anders als sonst, irgendwie zärtlich, vielleicht auch traurig.»Du bleibst jetzt hier. Morgen treffe ich dich in Santo Domingo de la Calzada.«

Bevor ich noch etwas sagen konnte, fuhr Petrus fort:»Bald schon, aber ganz sicher nicht heute, wirst du dich deinem wichtigsten Feind auf dem Jakobsweg stellen müssen: dem Hund. Wenn dieser Tag gekommen ist, bleib ruhig, denn ich werde in der Nähe sein und dir die Kraft geben, die du zu deinem Kampf brauchen wirst. Doch heute wirst du dich einem anderen Feind stellen, einem fiktiven Feind, der dich zerstören oder dein bester Gefährte sein kann: dem Tod.

Der Mensch ist das einzige Wesen in der Natur, dem bewußt ist, daß es sterben wird. Daher, und nur daher, empfinde ich eine tiefe Achtung vor der menschlichen Spezies und glaube, daß ihre Zukunft besser sein wird als ihre Gegenwart. Obwohl ich weiß, daß ihre Tage gezählt sind und alles enden wird, wenn man es am wenigsten erwartet, ist er es, der das Leben zu einem Kampf macht, der eines ewigen Wesens würdig ist.

Was die Leute Eitelkeit nennen — Werke, Kinder hinterlassen, etwas tun, damit der eigene Name niemals vergessen wird — , halte ich für einen Ausdruck der menschlichen Würde.

Schwach, wie er ist, versucht der Mensch jedoch die Gewißheit des Todes zu verdrängen. Er sieht nicht, daß gerade dieser der Antrieb für die besten Taten im Leben ist. Der Mensch hat Angst vor Schritten im Dunklen, alles Unbe- kannte erfüllt ihn mit Schrecken, und er kann seine Angst nur überwinden, indem er vergißt, daß seine Tage gezahlt sind. Dabei wäre er doch andererseits imstande, so viel mehr zu wagen, in seinem täglichen Leben Erfolg zu haben und weiterzukommen — er hat ja nichts zu verlieren, denn der Tod ist unausweichlich.

Der Tod ist unser großer Verbündeter, weil er unserem Leben den wahren Sinn gibt. Doch um das wahre Antlitz unseres Todes zu sehen, müssen wir alle Ängste und Schrecken kennen, die die einfache Erwähnung seines Namens in jedem Lebewesen zu wecken imstande ist. «Petrus hockte sich unter den Baum und bat mich, mich neben ihn zu setzen. Dann zog er zwei belegte Brote aus dem Rucksack, die er mittags gekauft hatte.

«Hier droht dir keine Gefahr«, sagte er, indem er mir die belegten Brote reichte.»Es gibt keine giftigen Schlangen, und der Hund wird dich erst wieder angreifen, wenn er die Niederlage von heute morgen vergessen hat. In der Umgebung gibt es auch keine Wegelagerer und ähnliches. Du befindest dich an einem absolut sicheren Ort. Mit einer Ausnahme: der Gefahr deiner Angst.

Vor zwei Tagen hast du ein Gefühl erlebt, so intensiv und heftig wie der Tod — die alles verschlingende Liebe. Und du hast zu keinem Zeitpunkt geschwankt oder dich gar gefürchtet, weil du unvoreingenommen auf die universelle Liebe reagiert hast.

Doch wir alle haben Vorurteile in bezug auf den Tod, weil wir nicht begreifen, daß er nur eine weitere Manifestation der Agape ist.«

Ich entgegnete, daß ich durch das jahrelange Training der Magie praktisch jegliche Angst verloren hätte. Ich fürchtete mich in Wahrheit mehr vor der Art, wie ich sterben würde, als vor dem Tod an sich.

«Nun, dann wirst du heute die schlimmste Todesart erleben.«

Und Petrus lehrte mich das Exerzitium des Lebendig-begraben-Werdens. DAS EXERZITIUM DES LEBENDIG-BEGRABEN-WERDENS

Lege dich auf den Boden und entspanne dich. Falte deine Hände auf der Brust und liege da wie eine Leiche.

Stelle dir deine Beerdigung in allen Einzelheiten vor, als würde sie morgen stattfinden. Der Unterschied ist jedoch, daß du lebendig begraben werden wirst. Während sich alles abspielt —

die Andacht in der Kapelle, der Weg zum Grab, das Herablassen des Sarges, die Würmer in der Grube — , spanne deine Muskeln im Versuch, sie zu bewegen, immer stärker an.

Spanne deine Muskeln, so stark es irgend geht, an. Widerstehe dem Wunsch, dich zu bewegen. Bis zu dem Augenblick, in dem du es nicht mehr aushältst. Dann sprenge die Bretter des Sarges mit einer einzigen Bewegung, atme tief ein. Jetzt bist du frei.

Diese Bewegung hat noch mehr Wirkung, wenn sie von einem aus den Tiefen deines Körpers herrührenden Schrei begleitet wird. »Du darfst es nur einmal durchführen«, sagte er, und mir fiel spontan eine ähnliche Schauspielübung ein.»Du mußt die ganze Wahrheit, die ganze Angst erwecken, damit das Exerzitium an den Wurzeln deiner Seele rüttelt und deinem Tod die Schreckensmaske abreißt, die sein freundliches Antlitz verdeckt.«