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Die Schritte entfernen sich, niemand hört die Schreie, die ich in Gedanken ausstoße, ich bin allein, und die Finsternis, die stickige Luft, der Blumenduft machen mich verrückt. Plötzlich höre ich ein Geräusch. Es sind die Würmer, die Würmer, die immer näher kommen, um mich lebendig zu verschlingen. Ich versuche mit aller Kraft irgendeinen Teil meines Körpers zu bewegen, doch er bleibt reglos. Die Würmer beginnen an mir hochzukriechen. Sie sind ölig und kalt. Sie krabbeln über mein Gesicht, kriechen in meine Hose. Einer dringt in meinen Anus, ein anderer beginnt sich in eines meiner Nasenlöcher zu stehlen. Hilfe! Ich werde bei lebendigem Leibe verschlungen, und niemand hört mich, niemand sagt etwas zu mir. Der Wurm, der in meine Nase gekrochen war, windet sich nun meinen Rachen hinunter. Ich fühle, wie ein weiterer in mein Ohr hineinkriecht. Ich muß hier raus! Wo ist Gott, warum antwortet er nicht? Sie beginnen meine Kehle zu verschlingen, und ich werde nun nie wieder schreien können! Sie kommen überall herein, durch die Ohren, durch die Mundwinkel, durch sämtliche Körperöffnungen. Ich spüre diese schleimigen, öligen Dinger in mir, ich muß schreien, ich muß mich befreien! Ich bin in dieses finstere, kalte Grab gesperrt, bin allein, werde bei lebendigem Leibe verschlungen! Es gibt kaum noch Luft, und die Würmer fressen mich auf! Ich muß mich bewegen. Ich muß diesen Sarg aufbrechen. Mein Gott, nimm alle meine Kräfte zusammen, denn ich muß mich bewegen! Ich muß hier raus, ich muß… ich werde mich bewegen! Ich werde mich bewegen!

Ich habe es geschafft! Die Bretter des Sarges flogen in alle Richtungen, das Grab verschwand, und ich atmete die reine Luft des Jakobsweges ein. Ich zitterte von Kopf bis Fuß, war schweißüberströmt. Doch das war unwichtig: Ich lebte.

Das Zittern hörte nicht auf, doch ich tat nichts, um es unter Kontrolle zu bringen. Das Gefühl einer unendlichen Ruhe überkam mich, und ich spürte, daß jemand neben mir stand. Ich schaute und sah das Gesicht meines Todes. Es war nicht der Tod, den ich Minuten zuvor erlebt hatte, ein Tod, der vom Schrecken in meiner Phantasie geschaffen war, sondern mein wahrer Tod, mein Freund und Ratgeber, der nie wieder zulassen würde, daß ich auch nur an einem einzigen Tag meines Lebens feige war. Von nun an würde er mir mehr als Petrus' Hand und Ratschlag helfen. Er würde nicht zulassen, daß ich auf morgen verschob, was ich heute leben konnte. Er würde mich nie wieder vor den Kämpfen im Leben fliehen lassen und mir helfen, den guten Kampf zu kämpfen. Nie wieder, zu keinem Zeitpunkt würde ich mich lächerlich fühlen, wenn ich etwas tat. Weil er dort war und mir sagte, daß ich, wenn er einmal meine Hände ergreifen würde, um mit mir in andere Welten zu reisen, dann die größte aller Sünden nicht mitnehmen dürfe: die Reue. Seine Anwesenheit und sein freundliches Antlitz gaben mir die Gewißheit, daß ich nunmehr gierig vom Quell des Lebens trinken würde.

Die Nacht barg nun weder Geheimnisse noch Schrecken. Es war eine glückliche Nacht, eine friedliche Nacht. Als das Zittern vorüber war, erhob ich mich und ging zu den Wasserpumpen der Landarbeiter. Ich wusch die Bermudas aus und zog ein Paar andere an, die ich noch im Rucksack hatte. Dann kehrte ich zum Baum zurück und aß die zwei Butterbrote, die Petrus mir zurückgelassen hatte. Nie hatte ich etwas Köstlicheres gegessen, denn ich lebte, und der Tod schreckte mich nicht mehr.

Ich beschloß, daselbst zu schlafen. Schließlich hatte es nie eine ruhigere Dunkelheit als diese gegeben.

Die persönlichen Schwächen

Wir befanden uns auf einem riesigen Feld, einem flachen Weizenfeld, das sich bis zum Horizont erstreckte. Nur eine mittelalterliche, von einem Kreuz gekrönte Säule, die den Pilgern als Wegweiser diente, unterbrach die Gleichförmigkeit der Landschaft. Als wir bei der Säule angelangt waren, ließ Petrus seinen Rucksack auf die Erde gleiten und kniete nieder.

«Wir wollen beten. Wir wollen um das einzige bitten, was einen Pilger besiegt, wenn er sein Schwert findet: seine persönlichen Schwächen. Denn mag er auch von den großen Meistern noch so gut lernen, wie er die Klinge zu führen hat, eine seiner Hände wird immer sein ärgster Feind sein. Laß uns darum bitten, daß du dein Schwert, so du es findest, immer mit der Hand hältst, die dir keine Schande macht.«

Es war zwei Uhr nachmittags. Es herrschte vollkommene Stille, und Petrus fuhr fort:

«Herr, erbarme Dich unser, denn wir sind Pilger auf dem Jakobsweg, und das kann eine Schwäche sein. Mach mit Deiner unendlichen Barmherzigkeit, daß wir niemals das Wissen gegen uns selbst wenden.

Erbarme Dich derer, die Selbstmitleid fühlen und sich selbst für gut und vom Leben ungerecht behandelt fühlen, weil sie nicht verdient haben, was ihnen geschah — denn diesen wird es nie gelingen, den guten Kampf zu kämpfen, Und erbarme Dich derer, die sich selbst gegenüber grausam sind und nur im eigenen Handeln Böses sehen und sich für die Ungerechtigkeit der Welt verantwortlich machen. Denn diese kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Sogar jedes einzelne deiner Haare ist gezählt.<

Erbarme Dich derer, die herrschen, und derer, die zu viele Stunden arbeiten und sich in der Aussicht auf einen Sonntag aufopfern, an dem alles geschlossen ist und man nirgendwo hingehen kann. Doch erbarme Dich vor allem derer, die ihr Werk heiligen und die Grenzen ihrer eigenen Verrücktheit überschreiten und schließlich verschuldet sind oder von ihren eigenen Brüdern ans Kreuz geschlagen werden. Denn sie kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Seid klug wie die Schlange und sanft wie die Taube.< Erbarme Dich, denn der Mensch will die Welt besiegen und niemals den guten Kampf gegen sich selber austragen.

Erbarme Dich auch derer, die diesen guten Kampf gewonnen haben und heute an den Ecken und den Bars des Lebens hocken, weil sie die Welt nicht besiegen konnten. Denn sie kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Wer meinen Worten folgt, muß sein Haus auf Fels bauen.< Erbarme Dich derer, die Angst haben, die Feder, den Pinsel, das Instrument, das Werkzeug zu halten, weil sie glauben, andere hätten dies zuvor schon besser als sie selber gemacht, und sich daher nicht würdig fühlen, in das wunderbare Haus der Kunst zu treten. Erbarme Dich vor allem derer, die die Feder, den Pinsel, das Instrument, das Werkzeug gehalten haben und die Inspiration dazu mißbraucht haben zu glauben, sie seien besser als andere. Denn sie kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Nichts ist verborgen, das nicht offenbart wird, und nichts wird im Verborgenen getan, was nicht entdeckt wird.< Erbarme Dich derer, die essen und trinken und prassen, jedoch in ihrer Prasserei unglücklich und einsam sind. Doch erbarme Dich vor allem derer, die fasten, tadeln, verbieten und sich als Heilige fühlen und deren Namen auf den Plätzen verkündigen.

Denn sie kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Wenn ich Zeugnis über mich selbst ablege, dann ist dieses Zeugnis nicht wahrhaftig.<

Erbarme Dich derer, die den Tod fürchten und die vielen Königreiche, die dahingegangen sind und die vielen Tode, die sie schon gestorben sind, nicht kennen und unglücklich sind, weil sie glauben, daß eines Tages alles zu Ende sein wird.

Doch erbarme Dich vor allem derer, die schon viele Tode kennengelernt haben und sich heute für unsterblich halten, denn sie kannten Dem Gesetz nicht, das da lautet: >Wer nicht neu geboren wird, wird Gottes Reich nicht sehen können.< Erbarme Dich derer, die sich um des Seidenbandes der Liebe willen versklaven und sich für den Herrn eines anderen halten und Eifersucht fühlen und sich vergiften und sich quälen, weil sie nicht sehen können, daß die Liebe sich ändert wie der Wind und alle Dinge. Doch erbarme Dich vor allem derer, die aus Angst vor der Liebe vergehen und die Liebe im Namen einer höheren Liebe, die sie nicht kennen, abweisen, denn sie kannten Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Wer von diesem Wasser trinkt, den wird nie wieder dürsten.< Erbarme Dich derer, die den Kosmos auf eine Erklärung reduzieren, Gott zu einem Zaubertrank machen und den Menschen zu einem Wesen mit Grundbedürfnissen, die befriedigt werden müssen, denn diese werden nie die Sphärenmusik hören. Doch erbarme Dich vor allem derer, deren Glaube blind ist und die in den Laboratorien Quecksilber zu Gold machen und von Büchern über die Geheimnisse des Tarots und die Macht der Pyramiden umgeben sind. Denn sie kennen Dein Gesetz nicht, das da lautet: >Und den Kindern gehört das Himmelreich.< Erbarme Dich derer, die niemanden außer sich selbst sehen und für die die anderen nur ein undeutliches, fernes Szenarium sind, wenn sie in ihren Limousinen durch die Straßen fahren und sich in bis zum obersten Stockwerk klimatisierten Gebäuden verschanzen und unter der Stille und der Einsamkeit der Macht leiden. Doch erbarme Dich vor allem derer, die alles weggeben und wohltätig sind und versuchen, das Böse allein mit Liebe zu besiegen, weil diese Dein Gesetz nicht kannten, das da lautet: >Wer kein Schwert hat, der möge seinen Umhang veräußern und eines kaufen.< Herr, erbarme Dich unser, die wir suchen und wagen, das Schwert zu ergreifen, das Du uns versprochen hast, denn wir sind ein heiliges und sündiges über die Welt verstreutes Volk, weil wir uns selbst nicht kennen und häufig denken, daß wir Kleider tragen, obwohl wir nackt sind, weil wir denken, wir hätten ein Verbrechen begangen, und in Wahrheit jemanden gerettet haben. Vergiß in Deiner Barmherzigkeit nicht, daß wir alle das Schwert gleichzeitig mit der Hand eines Engels und der Hand eines Dämons halten, Denn wir sind in der Welt, bleiben in der Welt und brauchen Dich. Wir brauchen immer Dein Gesetz, das da lautet >Wenn ich euch ohne Beutel, Sack und Sandalen schickte hat euch nichts gefehlt.<«