Während ich darüber nachdachte, bewegte sich der Hund auf mich zu. Sofort konzentrierte ich mich nur auf den bevorstehenden Kampf. Petrus war geflohen, und ich war allein. Ich hatte Angst, und der Hund tappte knurrend auf mich zu. Dieses Knurren war viel bedrohlicher als ein lautes Bellen, und meine Angst wurde stärker. Sowie der Hund die Schwäche in meinem Blick bemerkte, stürzte er sich auf mich.
Es war, als hätte mich ein Stein mitten auf der Brust getroffen.
Ich wurde zu Boden geworfen, und er griff mich an. Ich erinnerte mich dunkel daran, daß ich meinen Tod kannte und daß er nicht so aussah, doch die Angst in mir wuchs, und ich konnte sie nicht beherrschen. Ich kämpfte, um zumindest mein Gesicht und meine Kehle zu schützen.
Ein starker Schmerz durchfuhr mein Bein, er hatte mir eine tiefe Fleischwunde gerissen. Ich nahm die Hände von Kopf und Hals, um die Wunde zu betasten. Der Hund griff sofort wieder an. Da stieß meine Hand an einen Stein. Ich packte ihn und schlug verzweifelt auf den Hund ein.
Er zog sich eher überrascht als verletzt zurück, und ich konnte mich erheben. Der Hund wich noch weiter zurück. Der blutverschmierte Stein gab mir Mut. Ich hatte zu viel Respekt vor der Kraft meines Feindes gehabt, und das war ein Fehler gewesen. Er konnte nicht stärker sein als ich, weniger stark schon, aber niemals stärker. Schließlich war ich schwerer und größer als er. Meine Angst schwand, doch dann verlor ich plötzlich die Beherrschung und begann den Hund mit dem Stein in der Hand aus Leibeskräften anzubrüllen. Das Tier wich noch ein Stück zurück und blieb dann plötzlich stehen.
Es schien meine Gedanken lesen zu können. In meiner Verzweiflung fühlte ich mich stark und gleichzeitig lächerlich, weil ich mit einem Hund kämpfte. Unvermittelt erfüllte mich ein Gefühl von Macht, und ein heißer Wind blies plötzlich durch die verlassene Stadt. Ich war es leid, diesen Kampf weiterzuführen.
Im Grunde genommen würde es reichen, wenn ich ihn mit dem Stein mitten auf den Kopf traf, und dann hätte ich gesiegt. Ich wollte am liebsten gleich aufhören und die Wunde an meinem Bein ansehen und dieser ganzen absurden Geschichte mit Schwertern und seltsamen Jakobswegen ein Ende bereiten. Das war mein zweiter Fehler. Der Hund machte einen Satz und warf mich erneut um. Diesmal gelang es ihm, dem Stein geschickt auszuweichen, indem er mich in die Hand biß, worauf ich den Stein losließ. Ich begann ihn mit den Fäusten zu traktieren, doch damit fügte ich ihm keinen nennenswerten Schaden zu, sondern erreichte nur, daß er sich nicht noch mehr in mich verbiß. Seine spitzen Krallen zerrissen meine Kleider und zerkratzten meine Arme, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er mich ganz beherrschte.
Da hörte ich eine Stimme in mir. Eine Stimme, die mir sagte, daß der Kampf ein Ende habe und ich gerettet sei, wenn er mich beherrschte. Besiegt, aber lebendig. Mein Bein schmerzte, und mein ganzer Körper brannte wegen der Kratzer. Die Stimme sagte mir beharrlich, ich solle den Kampf aufgeben. Ich erkannte die Stimme: es war die Stimme Astrains, meines Boten, der mit mir sprach. Der Hund hielt einen Augenblick inne, als könnte auch er die Stimme hören. Astrain sagte mir, daß viele Menschen das Schwert in ihrem Leben nie gefunden hätten, und was mache das schon aus? Ich wollte tatsächlich wieder nach Hause, wollte bei meiner Frau sein, Kinder haben und die Arbeit tun, die ich mochte. Mir reichten diese absurden Geschichten, in denen es darum ging, sich Hunden zu stellen und Wasserfälle hinaufzuklettern.
Ein Geräusch in der verlassenen Stadt hatte die Aufmerksamkeit des Tieres von mir abgelenkt. Ich blickte zur Seite und sah einen Hirten, der seine Schafe vom Feld nach Hause führte. Mir fiel ein, daß ich diese Szene schon einmal, in der Ruine einer alten Burg, gesehen hatte. Als der Hund die Schafe sah, ließ er von mir ab und wollte sie angreifen. Das war meine Rettung.
Der Hirte brüllte, und die Schafe rannten in alle vier Himmelsrichtungen. Ich packte den Hund am Hinterlauf, damit die Tiere fliehen konnten. Vielleicht würde mir der Hirte ja zu Hilfe kommen. Für einen Augenblick kehrte die Hoffnung auf das Schwert und die Macht der R.A.M. wieder zurück.
Der Hund versuchte nun, sich mir zu entwinden. Ich war jetzt nicht mehr der Feind, sondern ein Störenfried. Jetzt wollte er das, was er vor sich sah: die Schafe. Doch ich hielt den Hund am Bein gepackt und wartete auf den Hirten, der nicht kam, und darauf, daß die Schafe flohen, was sie nicht taten.
Diese Sekunde rettete mein Leben. Eine ungeheure Kraft durchströmte mich, doch diesmal war es nicht die Illusion der Macht, die Überdruß und den Wunsch erweckt, den Kampf aufzugeben. Astrain flüsterte erneut, doch diesmal gab er mir einen anderen Rat. Er sagte, daß ich die Welt mit denselben Waffen bekämpfen müsse, mit denen sie mich angriff. Und daß ich einen Hund nur bekämpfen könne, indem ich selbst zu einem Hund würde.
Das war die Verrücktheit, von der Petrus mir erzählt hatte. Und ich begann mich als Hund zu fühlen. Ich bleckte die Zähne und knurrte leise, und Haß floß in den Geräuschen, die ich ausstieß.
Ich sah aus dem Augenwinkel das erschreckte Gesicht des Hirten und der Schafe, die ebensoviel Angst vor mir wie vor dem Hund hatten.
Das begriff die Legion und war erschrocken. Da machte ich einen Satz, den ersten in diesem Kampf. Ich griff mit Zähnen und Klauen an, versuchte den Hund in den Nacken zu beißen, tat genau das, was ich von ihm befürchtete. In mir gab es nur einen Wunsch, den Wunsch zu siegen. Alles andere war unwichtig. Ich stürzte mich auf das Tier und warf es zu Boden.
Es kämpfte, um sich vom Gewicht meines Körpers zu befreien, und seine Krallen schlugen sich in meine Haut, doch auch ich biß und kratzte. Aber ich durfte ihn nicht entkommen lassen -
heute mußte ich ihn besiegen.
Das Tier starrte mich erschrocken an. Ich war jetzt ein Hund, und es schien zu einem Menschen geworden zu sein. Meine alte Angst war jetzt in ihm, und zwar so stark, daß es ihm gelang, mir zu entwischen, doch ich trieb den Hund in einem der verlassenen Häuser in die Enge. Hinter einer kleinen Schiefermauer lag der Abgrund, und er konnte nirgendwohin fliehen. Er war ein Mensch und sah dort das Antlitz seines Todes. Plötzlich wurde mir klar, daß irgend etwas falsch war. Ich war zu stark. Mein Verstand begann sich zu trüben, ich sah das Gesicht eines Zigeuners und um dessen Gesicht undeutliche Bilder. Ich war zur Legion geworden. Das war meine Macht. Sie begannen den Körper dieses armen, erschreckten Hundes zu verlassen, der beinahe in den Abgrund gefallen wäre. Und jetzt waren sie in mir. Ich empfand den übermächtigen Wunsch, das wehrlose Tier in Stücke zu reißen.»Du bist der Fürst, und sie sind die Legion«, wisperte Astrain. Doch ich wollte kein Fürst sein und hörte auch von fern die Stimme meines Meisters, der mir eindringlich zurief, ich habe noch ein Schwert zu suchen.
Ich mußte noch eine Minute lang widerstehen. Ich durfte diesen Hund nicht töten.
Ein kurzer Seitenblick auf den Hirten bestätigte meinen Verdacht: Er hatte jetzt mehr Angst vor mir als vor dem Hund.
Mir wurde schwindlig, und die Landschaft begann sich zu drehen. Ich durfte jetzt nicht ohnmächtig werden. Ich mußte eine Lösung finden. Ich kämpfte schon nicht mehr gegen ein Tier, sondern gegen die Kraft, die sich meiner bemächtigt hatte.
Ich fühlte, wie meine Beine nachgaben, stützte mich an einer Wand ab, doch sie brach unter meinem Gewicht zusammen.
Zwischen Steinen und Holzstücken fiel ich mit dem Gesicht auf die Erde.
Die Erde. Die Legion gehörte der Erde, die Früchte der Erde.
Die guten und bösen Früchte der Erde, aber Früchte der Erde.