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Das Mädchen verschwand durch den Haupteingang, während ich draußen wartete. Es war eine kleine Kapelle, und das Hauptportal an der Nordseite war rundum mit Kammuscheln und Szenen aus dem Leben des heiligen Jacobus geschmückt.

Als ich den Schlüssel im Schloß hörte, tauchte plötzlich aus dem Nichts ein riesiger deutscher Schäferhund auf und stellte sich zwischen mich und das Portal.

Mein Körper war sofort kampfbereit.»Schon wieder«, dachte ich bei mir.»Hat diese Geschichte denn kein Ende? Ständig neue Prüfungen, Kämpfe und Demütigungen. Und keine Spur von meinem Schwert.«

Doch da öffnete sich das Tor der Vergebung, und die Kleine erschien. Als sie den Hund sah, dessen Blick sich in meine starren Augen bohrte, sagte sie ein paar zärtliche Worte zu ihm, worauf er sich sofort beruhigte und ihr schwanzwedelnd in die Kirche folgte.

Wahrscheinlich hatte Petrus recht. Meine Phantasie gaukelte mir etwas vor. Ein einfacher deutscher Schäferhund war zu etwas Bedrohlichem, Übernatürlichem geworden. Das war ein schlechtes Omen, ein Anzeichen dafür, daß Erschöpfung zur Niederlage führt.

Doch es gab noch eine Hoffnung, und erwartungsvoll folgte ich dem Mädchen durch das Tor der Vergebung und erwirkte mir somit denselben Ablaß, den die kranken Santiago-Pilger erhalten.

Meine Blicke durchstreiften die karge Kapelle auf der Suche nach dem einzigen Gegenstand, der mich interessierte.

«Dort sehen Sie die Kapitelle in Form einer Muschel, dem Symbol des Jakobsweges«, begann das Mädchen in typischem Reiseführerstil.»Dies ist die Santa Agueda aus dem…«

Mir wurde bald klar, daß ich den ganzen Weg vergebens zurückgegangen war.

«Und dies ist Jacobus, der Maurentöter, der sein Schwert gezückt hat und unter dessen Pferd die Mauren hegen, die Statue stammt aus dem…«

Da war das Schwert des heiligen Jacobus. Doch nicht meines.

Ich wollte dem Mädchen ein paar Peseten geben. Doch es lehnte sie beinahe beleidigt ab und bat mich, die Kirche umgehend zu verlassen. Ihre Führung war beendet.

Ich stieg den Berg wieder hinunter und wandte meine Schritte nach Santiago de Compostela. Als ich Villafranca del Bierzo zum zweiten Mal durchquerte, sprach mich ein Mann an, der sich mit dem Namen >Angel<, zu deutsch Engel, vorstellte und sich erbot, mir die Kirche des San Jose Operario zu zeigen. Der Mann mochte einen zauberhaften Namen haben, doch er berührte mich im Moment wenig, da ich mich gerade von einer Enttäuschung erholen mußte. Petrus hatte sich erneut als guter Menschenkenner erwiesen, denn in meiner Neigung, mir Dinge vorzustellen, die es gar nicht gibt, hatte ich wieder einmal eine der großen Lektionen übersehen, die ich direkt vor Augen hatte.

Und einzig aus diesem Grund ließ ich mich von Angel überreden mitzugehen. Doch die Kirche war verschlossen, und Angel hatte keinen Schlüssel. Wenigstens konnte er mir die Statue des heiligen Joseph mit seinem Tischlerwerkzeug über dem Portal zeigen. Zum Dank wollte ich ihm ein paar Peseten geben, doch er wies sie gekränkt zurück und ließ mich mitten auf der Straße stehen.

«Wir sind stolz auf unsere Stadt«, sagte er zum Abschied.»Wir tun dies nicht für Geld. «Eine Viertelstunde später lag Villafranca del Bierzo mit seinen Portalen, seinen Straßen und seinen geheimnisvollen Führern, die keine Gegenleistung erwarteten, endgültig hinter mir.

Während ich durch die beschwerliche Gebirgslandschaft weiterzog, in der ich nur langsam vorankam, hing ich weiter meinen bedrückenden Gedanken nach: wie einsam ich mich fühlte, wie ich mich schämte, Petrus enttäuscht zu haben, wo wohl mein Schwert war und was für ein Geheimnis es barg.

Doch ganz allmählich schoben sich die Bilder des Mädchens und Angels in den Vordergrund. Während ich die Blicke starr auf meine Belohnung gerichtet hatte, hatten sie mir, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, ihr Bestes gegeben: ihre Liebe zu dieser Stadt. Ein etwas wirrer Gedanke begann sich in mir zu entwickeln, eine Art Verbindungsglied zwischen all diesen Dingen. Petrus hatte immer darauf bestanden, daß die Suche nach Belohnung unbedingt notwendig sei, um zum Sieg zu gelangen. Jedesmal wenn ich den Rest der Welt vergessen und nur an mein Schwert gedacht hatte, war ich von Petrus unsanft in die Wirklichkeit zurückgeholt worden.

Das konnte kein Zufall sein, dahinter steckte bestimmt ein Plan, und darin war auch das Geheimnis meines Schwertes zu suchen. Ein Gedanke regte sich in mir und nahm allmählich Gestalt an. Er war zwar noch nicht ganz klar und deutlich, doch irgend etwas sagte mir, daß ich auf dem richtigen Weg war.

Ich war dankbar, Angel und dem Mädchen begegnet zu sein. In der Art, wie sie von den Kirchen gesprochen hatten, lag die alles verschlingende Liebe. Sie hatten mich zweimal den Weg gehen lassen, den ich mir für jenen Nachmittag vorgenommen hatte. Und darüber war die Faszination des Rituals der

>Tradition< verblaßt, und ich war auf spanischen Boden zurückgekehrt.

Ich erinnerte mich an einen Tag in den Pyrenäen ganz zu Beginn meiner Pilgerreise, als Petrus mir eröffnete, daß wir mehrere Tage im Kreis gegangen seien. Wie sehnte ich mich nach jenem Tag zurück. Es war ein glückhafter Anfang gewesen. Wer weiß, vielleicht war die heutige Wiederholung das Vorzeichen für ein gutes Ende? Abends gelangte ich in ein Dorf und übernachtete bei einer alten Dame, die mich auch wieder fast umsonst verköstigte und logierte, Beim Abendessen kamen wir ins Plaudern, und sie erzählte mir von ihrem tiefen Glauben an Jesus vom Heiligen Herzen und von ihrer einzigen Sorge, die die Olivenernte dieses Dürrejahres betraf. Ich trank den Wein, aß die Suppe und ging früh schlafen.

Der Gedanke, der allmählich in mir Gestalt annahm und bald aufbrechen würde, machte mich ruhiger. Ich betete, führte einige der Exerzitien durch, die mich Petrus gelehrt hatte, und beschloß, mit Astrain zu sprechen.

Ich mußte unbedingt mit ihm über das reden, was während meines Kampfes mit dem Hund geschehen war. Damals hatte er alles getan, um mir zu schaden, und nachdem er sich während meiner Mühen mit dem Kreuz verweigert hatte, war ich entschlossen gewesen, ihn für immer aus meinem Leben zu bannen. Doch wenn ich seine Stimme nicht erkannt hätte, wäre ich den Versuchungen erlegen, die mich während des ganzen Kampfes bestürmt hatten.

«Du hast alles getan, um der Legion zum Sieg zu verhelfen«, hielt ich ihm vor.

«Ich kämpfe nicht gegen meine Brüder«, entgegnete Astrain.

Genau das war die Antwort, die ich erwartet hatte. Ich war schon vorgewarnt, und es war dumm, dem Boten gram zu sein, weil er seiner eigenen Natur folgte. Ich mußte in ihm den Gefährten suchen, der mir in Augenblicken wie diesem half.

Das war seine einzige Aufgabe. Mein Groll verrauchte, und wir begannen, angeregt über den Jakobsweg, über Petrus und das Geheimnis des Schwertes zu reden, das ich in mir bereits zu fühlen begann. Er sagte mir nichts Bedeutsames, nur daß diese Geheimnisse ihm nicht zugänglich seien. Doch so hatte ich zumindest jemanden, dem ich mein Herz ausschütten konnte, nachdem ich einen ganzen Nachmittag lang geschwiegen hatte. Wir redeten bis spät in die Nacht miteinander, bis die Alte an meine Tür klopfte, um mir zu sagen, daß ich im Schlaf sprach. Ich erwachte wohlgemut und nahm meine Wanderung früh am Morgen wieder auf. Meinen Berechnungen zufolge würde ich noch am selben Nachmittag die Provinz Galizien erreichen, deren Hauptstadt Santiago de Compostela ist. Der Weg führte stetig bergauf, und ich konnte mein normales Wandertempo nur mit Mühe beibehalten. Vor jeder Anhöhe hoffte ich, daß es auf der anderen Seite nun endlich bergab ginge. Doch es kamen immer nur noch höhere Berge, die es zu überwinden galt. Die physische Anstrengung vertrieb meine düsteren Gedanken, und ich begann, freundschaftlichere Gefühle für mich selbst zu hegen.