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Dort war irgendwann ein Wunder geschehen. Ein Bauer war an einem stürmischen Tag aus einem nahegelegenen Dorf heraufgewandert, um in Cebreiro die Messe zu hören. Diese Messe wurde von einem Mönch gelesen, dem der Glaube beinahe abhanden gekommen war und der die Anstrengungen des Bauern geringschätzte. Doch bei der heiligen Kommunion verwandelte sich die Hostie in das Fleisch Christi und der Wein in sein Blut. Die Reliquien, ein Schatz, der größer ist als aller Reichtum des Vatikans, werden noch immer dort in der kleinen Kapelle aufgehoben.

Das Lamm blieb am Eingang des Ortes stehen. Es gab nur eine einzige Straße, und die führte direkt zur Kirche. In diesem Augenblick erfaßte mich eine ungeheure Angst, und ich stammelte ein ums andere Maclass="underline" »Herr, ich bin nicht würdig, Dein Haus zu betreten. «Doch das Lamm sah mich an und gab mir mit seinen Blicken zu verstehen, ich müsse meine Unwürdigkeit vergessen, weil die Macht in mir wiedergeboren würde, so wie sie in jedem Menschen wiedergeboren werden kann, der sein Leben in einen guten Kampf verwandelt.»Der Tag wird kommen«, sagten mir die Blicke des Lammes,»an dem der Mensch wieder stolz auf sich selber sein kann, und dann wird die ganze Natur das Erwachen des göttlichen Geistes preisen.«

Das Lamm war jetzt mein Führer auf dem Jakobsweg. Für einen Moment wurde alles dunkel um mich, und ich begann Szenen zu sehen, die denen glichen, wie ich sie in der Apokalypse gelesen hatte: Das Große Lamm auf seinem Thron, Menschen, die ihre Kleider im Blut des Lammes reinwuschen.

Es war das Erwachen des Gottes in jedem. Ich sah auch Kämpfe, schwierige Zeiten, Katastrophen, die die Erde in den kommenden Jahren erschüttern würden. Doch alles endete mit dem Sieg des Lammes und mit dem Erwachen des schlafenden Gottes und seiner Macht auf Erden.

Da erhob ich mich und folgte dem Lamm bis zur kleinen Kapelle, die von dem Bauern und von dem Mönch gebaut worden war, der am Ende das glaubte, was er tat. Niemand kennt ihre Namen. Zwei nebeneinanderliegende Grabsteine bezeichnen den Ort, an dem ihre Gebeine begraben sind. Und niemand kann sagen, welches das Grab des Mönches und welches das des Bauern ist. Damit das Wunder geschehen konnte, mußten beide Mächte den guten Kampf kämpfen.

Die Kapelle war hell erleuchtet, als ich an ihrer Tür ankam. Ja, ich war würdig einzutreten, denn ich hatte ein Schwert und wußte, was ich mit ihm anfangen würde. Es war nicht das Tor der Vergebung, denn mir war schon vergeben worden, ich hatte meine Kleider im Blut des Lammes gewaschen. Jetzt wollte ich nur noch das Schwert ergreifen und hinausgehen, um den guten Kampf zu kämpfen.

In dem kleinen Gebäude gab es kein Kreuz. Auf dem Altar standen die Reliquien des Wunders: der Kelch und der Hostienteller, die ich während des Tanzes gesehen hatte, und ein Reliquienschrein mit dem Fleisch und dem Blut Christi. Ich konnte wieder an Wunder und an das Unmögliche glauben, was der Mensch in seinem Alltag vollbringen kann. Die hohen Gipfel, die mich umgaben, schienen mir zu sagen, daß sie nur dort waren, um den Menschen herauszufordern. Und daß der Mensch nur dazu geboren wurde, um die Ehre dieser Herausforderung anzunehmen.

Das Lamm verschwand zwischen den Bänken, und ich blickte nach vorn. Vor dem Altar stand lächelnd — und vielleicht ein wenig erleichtert — mein Meister. Mit meinem Schwert in der Hand.

Ich blieb stehen, und er kam auf mich zu, ging an mir vorbei ins Freie. Ich folgte ihm. Vor der Kapelle zog er, während er in den dunklen Himmel blickte, das Schwert aus der Scheide und bat mich, den Griff gemeinsam mit ihm zu halten. Er richtete das Schwert in die Höhe und sprach den heiligen Psalm derer, die reisen und kämpfen, um zu siegen.

Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen. Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen.

Da kniete ich nieder, und er berührte mit der Klinge meine Schulter und sprach:

Denn Er hat Seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen. Auf Löwen und Ottern wirst du gehen, und treten auf junge Löwen und Drachen.

Als er das gesagt hatte, begann es zu regnen. Es regnete, und die Erde wurde fruchtbar, und dieses Wasser würde erst wieder zum Himmel zurückkehren, wenn es einen Samen hatte keimen, einen Baum hatte wachsen und eine Blume sich hatte öffnen lassen. Es regnete immer stärker, und ich kniete mit erhobenem Haupt da, fühlte zum ersten Mal auf dem ganzen Jakobsweg das Wasser, das vom Himmel kam. Ich erinnerte mich an die verlassenen Felder und war glücklich, daß sie in dieser Nacht benetzt wurden. Ich erinnerte mich an die Steine von Leon, die Weizenfelder von Navarra, die Trockenheit von Kastilien, die Weinberge von Rioja, die heute das Wasser tranken, das in Sturzbächen herunterkam und die Kraft des Himmels mit sich brachte. Ich erinnerte mich daran, daß ich ein Kreuz aufgerichtet hatte, das durch das Unwetter wieder umstürzen würde, damit ein anderer Pilger das Befehlen und Dienen lernte. Ich dachte an den Wasserfall, der jetzt mit dem Regenwasser anschwoll, und an Foncebadon, wo ich den Boden mit so viel Macht erneut befruchtet hatte. Ich dachte an all das Wasser, das ich aus so vielen Brunnen getrunken hatte und das ihnen jetzt wieder zurückgegeben wurde. Ich war meines Schwertes würdig, weil ich wußte, was ich mit ihm tun würde.

Der Meister reichte mir das Schwert, und ich ergriff es. Ich suchte mit dem Blick das Lamm, aber es war verschwunden.

Doch das war jetzt nicht wichtig. Das lebendige Wasser kam vom Himmel herunter und ließ die Klinge meines Schwertes glänzen.

Epilog: Santiago de Compostela

Vom Fenster meines Hotelzimmers aus kann ich die Kathedrale von Santiago und einige Touristen sehen, die am Hauptportal stehen. Studenten in mittelalterlichen schwarzen Gewändern spazieren zwischen den Passanten herum, während die Souvenirhändler ihre Stände aufbauen. Es ist noch früh am Morgen, und außer meinen Aufzeichnungen sind dies die ersten Zeilen, die ich über den Jakobsweg schreibe.

Ich bin gestern mit dem Bus in der Stadt angekommen, der zwischen Pedreafita, das in der Nähe von Cebreiro liegt, und Compostela verkehrt. Wir haben vier Stunden für die 150

Kilometer gebraucht, die die beiden Städte voneinander trennen, und ich erinnerte mich dabei an meine Wanderung mit Petrus. Manchmal hatten wir zwei Wochen gebraucht, um die gleiche Strecke zurückzulegen. Bald werde ich zum Grab des heiligen Jacobus gehen und die auf die Jakobsmuscheln montierte Statue der Heiligen Jungfrau von Aparecida dort niederlegen. Anschließend werde ich so bald wie möglich zurück nach Brasilien fliegen, denn ich habe viel zu tun. Ich erinnere mich daran, wie Petrus einmal gesagt hat, daß er seine Erfahrungen in einem Bild zusammengefaßt hat, und mir kam der Gedanke, ein Buch über meine Erlebnisse zu schreiben. Doch das ist nur so eine Idee. Jetzt, wo ich mein Schwert wiederbekommen habe, gibt es viel zu tun.

Das Geheimnis meines Schwertes gehört allein mir, und ich werde es niemals enthüllen. Ich habe es aufgeschrieben und unter einen Stein gelegt. Doch der Regen wird das Stück Papier längst zerstört haben. Es ist besser so. Petrus brauchte es nicht zu wissen.

Ich hatte den Meister gefragt, ob er das genaue Datum meiner Ankunft gewußt und ob er schon lange dort gewartet habe. Er lachte und meinte, er sei am Vortag eingetroffen und wäre am nächsten Tag wieder abgereist, wenn ich nicht gekommen wäre. Ich fragte ihn, wie das möglich sei. Er gab keine Antwort. Doch als wir uns verabschiedeten und er bereits im Mietwagen saß, der ihn zurück nach Madrid bringen würde, verlieh er mir eine kleine Komturei des Ordens des heiligen Jacobus vom Schwert und meinte, ich hätte eine große Enthüllung erlebt, als ich dem Lamm tief in die Augen geblickt hatte. Wenn ich mich weiter so bemühte wie bisher, würde ich vielleicht eines Tages verstehen, daß die Menschen immer pünktlich an dem Ort ankommen, an dem sie erwartet werden.