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«Dieser Weg verläuft an der Grenze zwischen Spanien und Frankreich und wird häufig von Schmugglern und flüchtigen Terroristen aus dem spanischen Baskenland benutzt«, erklärte mir Petrus.»Die Polizei kommt fast nie hierher.«

«Das ist keine Antwort. Ihr habt euch angesehen, als wärt ihr alte Bekannte. Und auch ich hatte das Gefühl, ihn zu kennen, deshalb war ich auch so unbedacht.«

Petrus lachte und meinte, wir sollten uns nun auf den Weg machen. Ich nahm meine Sachen, und wir wanderten schweigend. Doch Petrus' Lachen hatte mich verstehen lassen, daß er dasselbe dachte wie ich: Wir waren einem Dämon begegnet.

Wir gingen eine geraume Weile, ohne etwas zu sagen.

Madame Savin hatte recht gehabt: Man konnte selbst in einer Entfernung von beinahe drei Kilometern noch das Blasorchester hören. Ich hatte Petrus gern eine Menge Fragen zu seinem Leben, seiner Arbeit und dem Grund seines Hierseins gestellt. Doch ich wußte, daß wir noch siebenhundert Kilometer gemeinsamen Weges vor uns hatten und ich zum gegebenen Zeitpunkt auf diese Fragen eine Antwort erhalten würde. Allein, der Zigeuner ging mir nicht aus dem Sinn, und schließlich brach ich das Schweigen.»Petrus, ich glaube, daß der Zigeuner der Dämon war.«

«Ja, das war der Dämon. «Als er es mir bestätigte, spürte ich eine Mischung aus Schrecken und Erleichterung.»Aber das war nicht der Dämon, den du in der >Tradition< kennengelernt hast.«

In der >Tradition< ist der Dämon ein Geist, der weder gut noch böse ist. Ihm wird die Rolle des Wächters der meisten für den Menschen erreichbaren Geheimnisse zugeschrieben, und er hat die Macht über die materiellen Dinge. Er ist ein gefallener Engel, der sich mit den Menschen identifiziert und bei entsprechender Gegenleistung immer bereit ist, ihm einen Gefallen zu tun. Auf meine Frage, was denn der Unterschied zwischen dem Zigeuner und den Dämonen der >Tradition< sei, antwortete Petrus lachend:

«Wir werden auf unserem Weg noch weitere treffen. Du wirst es schon selber herausfinden. Erinnere dich an die Unterhaltung, die du mit dem Zigeuner hattest, dann wird dir etwas auffallen.«

Ich rief mir die zwei Sätze ins Gedächtnis, die wir miteinander gesprochen hatten. Er hatte gesagt, er habe mich erwartet, und mir versichert, er werde das Schwert für mich finden.

Darauf erklärte mir Petrus, daß die beiden Sätze wunderbar in den Mund eines Diebes paßten, der dabei erwischt wird, wie er einen Rucksack stiehlt: Er versucht, Zeit zu gewinnen und sich, während er seine Flucht vorbereitet, den anderen gewogen zu machen. Beide Sätze könnten einen verborgenen tieferen Sinn enthalten, oder aber seine Worte gaben nur genau das wieder, was er dachte.

«Und welche ist die richtige Deutung?«

«Beide. Der arme Dieb hat, während er sich verteidigte, seine Worte aus der Luft gegriffen. Er hielt sich für schlau und war dabei nur das Werkzeug einer höheren Macht. Wäre er geflohen, als ich kam, müßten wir uns jetzt nicht über ihn unterhalten. Doch er hat sich mir gestellt, und ich habe in seinen Augen den Namen eines Dämons gesehen, dem du noch auf unserem Weg begegnen wirst.«

Für Petrus war dieses Treffen ein gutes Omen, weil sich der Dämon schon früh offenbart hatte.

«Einstweilen mach dir seinetwegen keine Sorgen, denn, wie gesagt, er wird nicht der einzige bleiben. Er ist vielleicht der wichtigste, doch er wird nicht der einzige bleiben.«

Wir setzten unsere Wanderung fort. Die bislang etwas wüstenartig wirkende Vegetation bestand jetzt aus locker verteilten Büschen. Vielleicht sollte ich besser Petrus' Rat befolgen und die Dinge auf mich zukommen lassen. Hin und wieder machte er eine Bemerkung zu historischen Ereignissen, die sich dort ereignet hatten, wo wir gerade vorbeikamen. Ich habe beispielsweise das Haus gesehen, in dem eine Königin am Vorabend ihres Todes geschlafen hat, und eine kleine in die Felsen geschmiegte Kapelle, die Einsiedelei eines heiligen Mannes, von dem die wenigen Bewohner des Landstrichs behaupteten, er tue Wunder.

«Wunder sind doch etwas sehr Wichtiges, findest du nicht?«

fragte mich Petrus.

Ich stimmte ihm zu, sagte ihm aber auch, daß ich bislang kein großes Wunder gesehen hätte. Meine Lehrjahre innerhalb der

>Tradition< seien eher intellektuell ausgerichtet gewesen. Ich glaubte, daß ich, wenn ich mein Schwert wiedergefunden haben würde, imstande wäre, meinerseits die großen Dinge zu tun, die mein Meister tat.

«Aber das sind keine Wunder, weil sie die Gesetze der Natur nicht ändern. Mein Meister gebraucht seine Kräfte, um…«

Ich brachte meinen Satz nicht zu Ende, weil ich keine Erklärung für die Tatsache fand, daß mein Meister Geister materialisieren konnte, daß er Gegenstände von ihrem Platz bewegte, ohne sie zu berühren, und daß er, wie ich es mehr als einmal gesehen hatte, in der dunklen Wolkendecke eines Nachmittags Lücken blauen Himmels öffnete.

«Vielleicht tut er das, um dich davon zu überzeugen, daß er das Wissen und die Macht besitzt«, entgegnete Petrus.

«Das ist möglich«, meinte ich etwas halbherzig.

Wir setzten uns auf einen Stein, weil Petrus mir sagte, er hasse es, im Gehen zu rauchen. Die Lungen nähmen dann mehr Nikotin auf, und davon würde ihm übel werden.

«Dein Meister hat dir das Schwert verweigert, weil du nicht weißt, aus welchem Grunde er die Wunder tut. Weil du vergessen hast, daß der Weg der Erkenntnis ein Weg ist, der allen Menschen offensteht, den ganz gewöhnlichen Menschen.

Ich werde dich auf unserem Wege einige Exerzitien und Rituale lehren, die als die Praktiken der R.A.M. bekannt sind.

Jedermann wird zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens Zugang zu mindestens einer von ihnen finden. Jeder, der geduldig und klarsichtig sucht, kann sie alle, ohne Ausnahme, in den Lektionen entdecken, die uns das Leben erteilt. Die Praktiken der R.A.M, sind so einfach, daß Leute wie du, die die Angewohnheit haben, das Leben zu verkomplizieren, ihnen häufig keinen Wert beimessen. Doch sie und drei weitere Gruppen von Praktiken sind es, die den Menschen in die Lage versetzen, alles, wirklich alles zu erhalten, was er sich wünscht.

Jesus lobte den Herrn, als seine Jünger begannen, Wunder zu tun und Kranke zu heuen, und er dankte Ihm, weil Er die Dinge vor den Weisen verbarg, sie indes den einfachen Menschen offenbarte. Schließlich sollte man, wenn man an Gott glaubt, auch glauben, daß Gott gerecht ist.«

Petrus hatte recht. Es wäre ungerecht von Gott, nur gelehrten Menschen, die über die Zeit und das Geld verfügen, um teure Bücher zu kaufen, Zugang zum wahren Wissen zu gestatten.

«Den wahren Weg zur Weisheit erkennt man an drei Dingen«, erklärte Petrus.»Zuerst einmal muß er Agape enthalten.

Darüber werde ich dir später etwas erzählen. Dann muß er im Leben praktisch anwendbar sein, sonst wird die Weisheit nutzlos und verkommt wie ein Schwert, das niemals gebraucht wird. Schließlich muß es ein Weg sein, den jeder gehen kann. Wie diesen hier, den Jakobsweg.«

Wir waren den ganzen Nachmittag gewandert, und erst als die Sonne allmählich hinter den Bergen verschwand, beschloß Petrus erneut haltzumachen. Um uns herum leuchteten die höchsten Gipfel der Pyrenäen im Schein der letzten Lichtstrahlen des Tages.

Petrus bat mich, ein kleines Stück Erdboden zu säubern und darauf niederzuknien.

«Die erste Praktik der R.A.M. besteht darin, wiedergeboren zu werden. Du mußt sie sieben Tage hintereinander durchführen und dabei versuchen, auf eine andere Art und Weise deinen ersten Kontakt mit der Welt wiederzuerleben. Du weißt, wie schwer es gewesen ist, alles aufzugeben und zu beschließen, auf die Suche nach deinem Schwert zu gehen und den Jakobsweg zu beschreiten. Es war schwierig, weil du Gefangener deiner Vergangenheit warst. Du hast eine Schlappe erlebt und fürchtest eine weitere Niederlage. Du hast etwas erreicht und fürchtest, es zu verlieren. Dennoch hat ein starkes Gefühl die Oberhand gewonnen: der Wunsch, dein Schwert wiederzufinden. Und du hast beschlossen, das Risiko einzugehen.«