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Draußen vor der Treppe rasselte ein Jagdwagen, und nach einigen Augenblicken trat ein großgewachsener, breitschultriger und korpulenter Greis, der Einhöfer Owsjanikow, ins Zimmer… Owsjanikow ist aber eine so bemerkenswerte und originelle Person, daß wir mit Erlaubnis des Lesers von ihm in einem anderen Abschnitt sprechen wollen. Jetzt will ich von mir aus nur noch hinzufügen, daß ich mich am nächsten Tag in aller Frühe mit Jeriaolai auf die Jagd begab und von der Jagd nach Hause zurückkehrte; daß ich nach acht Tagen wieder Radilow aufsuchte, aber weder ihn noch Olga zu Hause antraf, und daß ich nach zwei Wochen erfuhr, er sei plötzlich verschwunden, habe seine Mutter verlassen und sei mit seiner Schwägerin irgendwohin weggereist. Das ganze Gouvernement geriet in Aufregung und sprach nur noch von diesem Ereignis, und nun begriff ich erst den Ausdruck in Olgas Gesicht während der Erzählung Radilows. Es hatte damals nicht nur Mitleid gezeigt, sondern war auch in Eifersucht erglüht.

Vor meiner Abreise in die Stadt besuchte ich die alte Mutter Radilows. Ich fand sie im Gastzimmer sitzend; sie spielte mit Fjodor Michejitsch Schafskopf.

»Haben Sie Nachrichten von Ihrem Sohn?« fragte ich sie schließlich.

Die Alte brach in Tränen aus. Ich fragte sie nicht mehr nach Radilow.

Der Einhöfer Owsjanikow

Geneigter Leser, stellt euch einen vollen, hochgewachsenen, etwa siebzigjährigen Mann vor mit einem Gesicht, das einige Ähnlichkeit mit dem Gesicht Krylows hat, einem hellen und klugen Blick unter überhängenden Brauen, einer wichtigen Haltung, einer gemessenen Redeweise und langsamen Bewegungen: Da habt ihr den Owsjanikow. Er trug einen weiten blauen Rock mit langen Ärmeln, bis oben zugeknöpft, ein lila Seidentuch um den Hals und blankgeputzte Stiefel mit Troddeln; er sah überhaupt eher wie ein wohlhabender Kaufmann aus. Er hatte schöne, weiche und weiße Hände und pflegte beim Sprechen oft an die Knöpfe seines Rockes zu greifen. Owsjanikow erinnerte mich durch sein wichtiges Wesen und seine Unbeweglichkeit, seinen scharfen Verstand und seine Faulheit, seine Offenherzigkeit und seine Hartnäckigkeit an die russischen Bojaren der vorpetrinischen Zeit … Die Bojarentracht. würde ihm sehr gut stehen. Er war einer der letzten Männer der alten Zeit. Alle Nachbarn achteten ihn hoch und hielten es für eine Ehre, mit ihm zu verkehren. Seine Standesgenossen, die anderen Einhöfer, beteten ihn beinahe an, zogen die Mützen schon, wenn sie ihn aus der Ferne sahen, und waren stolz auf ihn. Im allgemeinen ist es bei uns auch heute noch schwer, einen Einhöfer von einem Bauern zu unterscheiden: Seine Wirtschaft sieht beinahe noch schlechter aus als eine Bauerwirtschaft; seine Kälber kommen gar nicht aus dem Buchweizenfeld heraus, die Pferde sind kaum noch lebendig, das Pferdegeschirr besteht aus Stricken. Owsjanikow bildete eine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel, obwohl er nicht als reich galt. Er lebte mit seiner Frau allein in einem gemütlichen, sauberen Häuschen, hielt sich nur wenige Dienstboten, kleidete sie alle russisch und nannte sie Knechte. Sie pflügten ihm auch sein Land. Er gab sich nicht für einen Edelmann aus, spielte nicht den Gutsbesitzer, vergaß sich nie, setzte sich niemals auf die erste Aufforderung hin und stand beim Erscheinen eines jeden neuen Gastes unbedingt auf, aber mit solcher Würde, mit einer solchen majestätischen Leutseligkeit, daß der Gast sich vor ihm unwillkürlich tief verbeugte. Owsjanikow beobachtete die alten Sitten nicht aus Aberglauben (er hatte eine ziemlich freie Gesinnung), sondern aus Gewohnheit. Er liebte z.B. keine Federequipagen, die er unbequem fand, und fuhr entweder in einer Jagddroschke oder in einem hübschen kleinen Wägelchen mit einem Lederkissen und lenkte selbst seinen guten braunen Traber. (Er hielt sich nur braune Pferde.) Der Kutscher, ein junger Bursche mit roten Backen, mit rundgeschnittenem Haar, saß in einem blauen Mantel und einer niederen Lammfellmütze, mit einem Riemen umgürtet; respektvoll an seiner Seite. Owsjanikow schlief immer nach dem Essen, ging des Sonnabends ins Dampfbad, las ausschließlich Bücher geistlichen Inhalts (wobei er sich mit großer Würde eine runde silberne Brille auf die Nase setzte), ging früh zu Bett und stand früh auf. Seinen Bart rasierte er sich jedoch und trug das Haar nach deutscher Mode. Seine Gäste empfing er überaus freundlich und herzlich, verbeugte sich aber nicht allzu tief vor ihnen, zeigte keine übertriebene Geschäftigkeit und traktierte sie nicht mit allerlei Gedörrtem und Eingesalzenem. »Frau!« pflegte er langsam, ohne von seinem Platz aufzustehen und den Kopf leicht zu ihr wendend, zu sagen. »Bring doch den Herren etwas Leckeres.« Er hielt es für Sünde, Korn, die Gabe Gottes, zu verkaufen, und verschenkte im Jahre 1840 bei der großen Hungersnot und Teuerung seinen ganzen Vorrat an die benachbarten Gutsbesitzer und Bauern; im nächsten Jahr zahlten sie ihm diese Schuld mit Dank in natura zurück. An Owsjanikow wandten sich oft die Nachbarn mit der Bitte, ihre Streitigkeiten zu schlichten, sie miteinander zu versöhnen; sie fügten sich fast immer seinem Urteilsspruch und folgten seinem Rat. Viele Grenzstreitigkeiten waren dank ihm endgültig erledigt … Aber nach zwei oder drei Zusammenstößen mit Gutsbesitzerinnen erklärte er, daß er sich weigere, je wieder eine Vermittlung zwischen Personen weiblichen Geschlechts zu übernehmen. Er konnte keinerlei Eile, Hast, Weibergeschwätz und Getue ertragen. Einmal brach in seinem Haus Feuer aus. Der Knecht lief zu ihm atemlos herein und schrie: »Es brennt! Es brennt!«

»Aber warum schreist du so?« entgegnete Owsjanikow ruhig: »Gib mir mal meine Mütze und meinen Stock.«

Er liebte es, selbst seine Pferde einzufahren. Einmal sauste ein hitziger Bitjuk einen Berg hinunter, auf einen Graben zu, »Hör doch auf, hör doch auf, du dummes Füllen, du schlägst dich noch tot!« sagte Owsjanikow gutmütig zu ihm; einen Augenblick später flog er mit dem Jagdwagen, mit dem Jungen, der rückwärts saß, und mit dem Pferd in den Graben. Zum Glück lag auf dem Grund des Grabens ein Sandhaufen. Niemand nahm Schaden, nur der Bitjuk verrenkte sich ein Bein. »Nun siehst du es«, fuhr Owsjanikow mit ruhiger Stimme fort, vom Boden aufstehend, »ich habe es dir doch gesagt!«

Auch eine Frau hatte er sich gewählt, die zu ihm paßte. Tatjana Iljinitschna Owsjanikowa war eine großgewachsene, ernste und schweigsame Frau und trug immer ein braunseidenes Kopftuch. Es ging von ihr eine Kälte aus, obwohl sich niemand über ihre Strenge beklagen durfte; im Gegenteiclass="underline" Viele arme Leute nannten sie ihre Mutter und Wohltäterin. Die regelmäßigen Gesichtszüge, die großen dunklen Augen und die feinen Lippen zeugten auch jetzt noch von ihrer einst berühmten Schönheit. Kinder hatte Owsjanikow nicht.

Ich lernte ihn, wie es der Leser schon weiß, bei Radilow kennen und fuhr schon zwei Tage später zu ihm. Ich traf ihn zu Hause. Er saß in einem großen Ledersessel und las in der Heiligenlegende. Eine graue Katze schnurrte auf seiner Schulter. Er empfing mich nach seiner Gewohnheit freundlich und mit Würde. Wir kamen ins Gespräch.

»Luka Petrowitsch, sagen Sie mir doch die Wahrheit«, fragte ich unter anderem. »Früher, zu Ihrer Zeit, war es doch besser?«

»Manches war wirklich besser, das muß ich Ihnen schon sagen«, entgegnete Owsjanikow, »das Leben war ruhiger, man war zufriedener, das stimmt… Jetzt ist es aber doch besser, und Ihre Kinder werden es noch besser haben, so Gott will.«

»Ich hätte aber erwartet, Luka Petrowitsch, daß Sie mir die alte Zeit loben würden.«

»Nein, ich habe keinen besonderen Grund, die alte Zeit zu loben. Sie sind z. B. ein Gutsbesitzer, der gleiche Gutsbesitzer wie Ihr seliger Großvater, aber Sie haben nicht mehr die Gewalt, die jener gehabt hat! Auch sind Sie ein ganz anderer Mensch. Allerdings werden wir jetzt auch von anderen Herren unterdrückt; anders geht es wohl nicht. Es wird aber schon einmal alles in Ordnung kommen. Nein, jetzt bekomme ich nicht mehr die Dinge zu sehen, an denen ich mich in meiner Jugend satt gesehen habe.«