In den Tagen des goldenen Zeitalters herrschte überall Frieden und Eintracht. Die vier Rassen der Magusch arbeiteten gemeinsam an ihrer großen Aufgabe, Frieden, Reichtum und Gerechtigkeit in der Welt aufrechtzuerhalten. Aber ständig lauerte hinter dem sorgsam gehüteten Gleichgewicht der Zufall wie ein Wolf und wartete darauf, den Geschicken der Welt eine andere Richtung zu geben.
Unglückverheißende Sterne gingen der Geburt von Incondor und Chiannala voraus. Incondor gehörte zu den Himmelsleuten, war stattlich, muskulös und drahtig. Seine großen, gefiederten Schwingen besaßen die schillernde Schwärze des Rabengefieders. Schon in jungen Jahren war er ein mächtiger Hexer und versprach in dieser Kunst noch größer zu werden, bis er – von seinem Hochmut übermannt – seinen eigenen Untergang besiegelte. Um einer Wette willen – einer dummen, im Rausch mit seinen wilden Freunden abgeschlossenen Wette – stahl er die Harfe der Winde, um die verbotene Wilde Magie zu beschwören; er ließ einen Wirbelwind erstehen, der ihn in den Himmel hinauftragen sollte, höher, als sich jemals einer seines Volkes gewagt hatte. Aber der Wirbelwind, angetrieben von den unberechenbaren Gewalten der Wilden Magie, erwies sich als zu mächtig, um sich von ihm beherrschen zu lassen.
Die Gewalten des Sturmes zerrissen und zerschmetterten seine Flügel und schleuderten ihn dann als einen Haufen zerschmetterter Knochen und Glieder zu Boden. Der gewaltige Sturm tobte weiter und richtete große Verwüstungen an, bei denen viele ihr Leben lassen mußten, bevor es den Weisen des Himmelsvolkes gelang, ihn in ihre Gewalt zu bekommen.
Man glaubte, daß Incondor, verkrüppelt, wie er war, gestraft genug sei. Der Himmel würde ihm für immer verschlossen bleiben, und ohne die Freiheit des Luftraumes war das Leben eines geflügelten Magusch trostlos, hatte all seine Bedeutung verloren. An die Erde gefesselt, verkrüppelt und in Ungnade gefallen, wurde er von seinem Volk verbannt und nach Nexis geschickt, der größten Stadt der Zauberer. Man hoffte, daß er dort körperlich geheilt werden – das Heilen war eine Spezialität der Zauberer – und vielleicht endlich auch Weisheit finden würde. Körperlich geheilt wurde er, soweit das möglich war, obwohl sein Körper für immer verkrüppelt blieb und seine“ Schwingen nicht mehr zu retten waren. Aber bevor er auch Weisheit erlangen konnte, lernte er Chiannala kennen, und damit war es um das Gleichgewicht in der Welt geschehen.
Chiannala stammte aus der Verbindung eines Zauberers und dessen sterblicher Dienerin. Solche Paarungen waren aufgrund der körperlichen Ähnlichkeit zwischen den Rassen möglich, aber sie kamen selten vor, weil die kurz bemessene Lebensspanne der Sterblichen den Maguschpartner zu sehr belastete. Dazu kam noch, daß die Zauberer – hochmütiger Stolz war den Magusch angeboren – auf die Sterblichen als niedere, primitive Kreaturen herabsahen, die machtlos und unbegabt in einer Welt dahinvegetierten, in der Magie alles bedeutete.
Allerdings dachten nicht alle Zauberer so, und so kam es gelegentlich zu diesen Verbindungen. Die Nachkommen daraus konnten sowohl dem einen als auch dem anderen Elternteil ähneln und sich als Sterbliche oder als Magusch erweisen, wie es der Zufall gerade wollte.
Chiannala hielt sich ganz an ihren Vater und wollte schon frühzeitig nichts mehr mit ihrer sterblichen Mutter zu tun haben; sie widmete sich wie besessen dem Studium der Magie und der Entwicklung ihrer magischen Fähigkeiten. So versuchte sie, den Makel ihrer niederen sterblichen Herkunft auszulöschen. Doch obwohl sie in ihren Studien in einem solchen Maße brillierte, daß sie offenbar der geeignetste Kandidat war, als nächste das Amt des Obersten Zauberers zu übernehmen, wurde sie vom Rat abgewiesen, weil sie ein Halbblut war. Verbittert und gedemütigt lernte sie schließlich Incondor kennen und fand in ihm einen Gesinnungsgenossen.
Damit war die Saat des Unglücks gesät. Um sich am Volk der Magusch zu rächen, das sie beide zurückgewiesen hatte, planten sie, die Macht an sich zu reißen und über die Welt zu herrschen.
Indem sie ihre Heilkräfte in zerstörerischer Weise einsetzte, rief Chiannala eine Seuche hervor, der die Zauberer zum Opfer fielen wie das Gras der Sense und die das gesamte Gemeinwesen der Zauberer zerrüttete, während sie verzweifelt nach Heilung suchten. In dem ganzen Durcheinander stellte man plötzlich fest, daß der Stab der Erde verschwunden war, und es fand sich niemand, der um seinen Verbleib wußte.
Incondor hatte inzwischen Wilde Magie über den Bergfesten des Himmelsvolkes entfesselt, hatte ihre Wohnplätze durch Hurrikane, Tornados und Schneestürme zertrümmert, die sein Volk hilflos zurückließen, unfähig, sich aus eigener Kraft von den bösen Verwünschungen zu befreien.
Während die Magusch dieser beiden Rassen alle Hände voll zu tun hatten, mit dem Unglück fertig zu werden, das über sie gekommen war, griff das schreckliche Paar das Drachenvolk mit Kalter Magie an. Sie vernichteten fast die ganze Rasse der Drachen, für die die Sonnenenergie lebensnotwendig war. Schließlich übergaben die wenigen Überlebenden, die über das Maß des Erträglichen hinaus gelitten hatten, den beiden die tödlichen Geheimnisse der Feuermagie, einschließlich der Herstellung explosiver Waffen und der Kunst, Energie in Kristallen zu speichern.
Die ganze Welt war jetzt in Aufruhr und alles Gleichgewicht unwiederbringlich verloren. In den weiten Ozeanen rissen sich die sanften Leviathane zu spät von ihren Meditationen los, um sich sogleich von Feuermagie bedroht zu finden. Explosionen wühlten die Tiefen des Meeres auf und schlachteten die sanften Riesen ohne Gnade hin. Die Überlebenden wurden von ganzen Armeen der Merfolk gejagt, die von Chiannala mit Hilfe der Alten Magie entfesselt worden waren.
Durch und durch friedfertig, hatten die Leviathane diesen Angriffen nichts entgegenzusetzen. Statt dessen zogen sie sich zurück, und ihre Anzahl nahm immer weiter ab. Während ihres Rückzuges wurde den Leviathanen der Kessel des Lebens, der ihr Werk und ihre wichtigste Verantwortung war, von Merfolk gestohlen. Schließlich gelangte er in die Hände von Incondor und Chiannala.
Sie setzten den Kessel für ihre bösen Zwecke ein und beschworen die Todesgeister herauf – Gespenstervampire, die lebendigen Seelen die Lebenskraft aussaugten. Diese nekromantischen Gewalten ließen sie auf das bedrängte Volk der geflügelten Magusch los. Das verzweifelte Himmelsvolk versammelte sich vollzählig – bis hin zum kleinsten Kind – und vereinte seine geistige Kraft zu einem letzten verzweifelten Schlag – einem einzigen vereinten Ausbruch magischer Kraft, der auf das böse Paar zielte. Aber Incondor und Chiannala waren darauf vorbereitet. Mit Hilfe der Feuermagie der Drachenleute hatten sie einen großen Kristall vorbereitet, der die magische Kraft des Himmelsvolkes absorbierte und festhielt. So blieb die Rasse des Himmelsvolkes für immer ihrer magischen Kräfte beraubt.
Die Magusch waren in verzweifelter Not; ihre Anzahl hatte sich auf wenige vermindert, und ihre Waffen waren verloren oder in die Hände ihrer Feinde gefallen. Aber die letzte Hoffnung der Welt ist immer die, daß der Wille des Bösen sich irgendwann gegen sich selbst richtet. Als ihr Ziel schon in greifbare Nähe gerückt war, begannen Incondor und Chiannala sich gegenseitig die Führung streitig zu machen. Mit Hilfe des Kessels saugte Chiannala die Lebensenergie einer gewaltigen Armee von sterblichen Sklaven auf und führte sie ihren magischen Kräften zu. Und Incondor verstärkte seine Macht mit Hilfe des großen Kristalls, in dem die magische Kraft der Himmelsleute gespeichert war, so daß sie schließlich alle verbliebenen Kräfte in sich vereinten. Die Welt wurde von Feuer und Eis, von Fluten und Stürmen, von Erdbeben und Blitzen verwüstet, als die beiden ihren Kampf ausfochten. Mächtige Armeen von Elementargeistern wurden entfesselt, mit denen sie einander zu vernichten trachteten; dabei blieb jedes Leben auf der Strecke, das zufällig im Weg war. Und schließlich geschah das Unvermeidliche: Chiannala und Incondor vernichteten einander, und das Universum atmete auf. Die wenigen Überlebenden kamen aus den Trümmern einer verwüsteten Welt gekrochen, in der nichts mehr so war wie einst.