Das Quartier der Damen erwies sich als ein Labyrinth aus vielen miteinander verbundenen Räumen, deren Wände und Fußböden reich verziert waren mit pastellfarbenen Fliesen und komplizierten Mosaiken. Es gab Räume mit seidenüberzogenen Sofas und mit vergoldeten Tischen, Stühlen und Truhen; Räume mit breiten, tiefen Betten hinter weichfließenden Vorhängen aus weißem Musselin; Räume mit Springbrunnen, Bassins und riesigen, runden Marmorbädern. Es gab schattige Höfe und Gärten, voll von exotischen Blumen und wunderschönen Schmetterlingen. Die Luft war erfüllt von den verschiedensten Parfüms und dem süßen hohen Gesang hell gefiederter Vögel in goldenen Käfigen.
Die Frauen schwebten hier ein und aus. Einige wirkten wie schweigsame Geister in ihren durchsichtigen Roben, andere saßen in munter plaudernden Grüppchen an den Rändern der Bassins versammelt, wo sie sich naßspritzten und miteinander badeten, ohne sich auch nur im geringsten um ihre Nacktheit zu kümmern; einige hockten auch auf den weichen Sofakissen und plauderten miteinander. Es gab mehr Frauen, als Sara zählen konnte, und eine war schöner als die andere.
Saras Begleiter rief ein halbes Dutzend dunkelhäutiger Schönheiten aus einer Gruppe herbei und redete hastig in ihrer eigenen Sprache auf sie ein, wobei er zwischendurch immer wieder auf sie, Sara, zeigte. Die Frauen schienen ihr goldenes Haar nicht weniger zu bestaunen, als er es getan hatte, und sie scharten sich mit lauten Ausrufen um sie, um ihre schweren Haarflechten zu betasten. Der kleine Mann brachte sie mit schroffer Stimme zum Schweigen, und was dann folgte, schien ein Strom von Anweisungen zu sein. Schließlich wandte er sich mit einem Lächeln wieder an Sara. »Ich Zalid«, sagte er und zeigte auf sich selbst. »Du brauchen, du rufen. Und du?«
»Sara«, erwiderte sie, da sie begriffen hatte, daß er ihren Namen wissen wollte.
»Sara. Gut. Wie Wüstenwind. Und jetzt mit Damen gehen. Baden, anziehen, essen. Später Khisu sehen.« Er löste ihre Fesseln und übergab sie der Fürsorge der Mädchen.
Sara wurde in eine luxuriöse Zimmerflucht hineingedrängt. Als erstes aß sie, während die fröhlich plappernden Mädchen sie mit gewürztem Fleisch, Früchten und einem seltsamen, flachen, lederartigen Brot bedienten. Sie trank Wein aus einem juwelenbesetzten Kelch, sah sich verwundert in den üppigen Gemächern um und fragte sich, ob sie in einem Traum gelandet war. Dann badete sie abermals, diesmal in einem tiefen Bassin voll dampfenden, mit Blüten und Kräutern parfümierten Wassers. Nach dem Bad massierten zwei Mädchen ihren Körper mit süß duftenden Ölen.
Sara entspannte sich unter ihren Händen und ließ sich genüßlich verwöhnen. Als Vannors Frau war sie solche Aufmerksamkeiten gewohnt gewesen, und während der letzten Tage hatte sie sie furchtbar vermißt. Nach dem Entsetzen und den Härten ihrer Flucht aus Nexis war der Harem eine wunderbare Zuflucht und kein Gefängnis. Sie machte sich keine Sorgen bezüglich ihrer Begegnung mit dem – wie nannten sie ihn hier? – dem Khisu. Sie wußte, daß sie schön war. Sie hatte ihr Aussehen benutzt, um Anvar und diesen Flegel Vannor um den kleinen Finger zu wickeln, und sie zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie dasselbe mit dem König tun konnte. Sie spürte eine Woge der Erregung in sich aufsteigen. Ein echter, lebendiger König! Das war die Chance ihres Lebens! Sara streckte sich wie eine Katze und dachte daran, wie weit sie es in diesen letzten Jahren doch gebracht hatte. Wahrhaftig, das war etwas ganz anderes, als den Sohn des Bäckers zu heiraten!
Anvar – nein wirklich! Sara zog die Augenbrauen zusammen, irritiert von dem leichten Schuldgefühl, das sich in ihre Überheblichkeit mischte. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit sie gefangengenommen worden waren. Sie zuckte die Achseln. Damals hatte er noch gelebt, also mußten sie irgendwelche Pläne für ihn haben. Und er war ja bereits ein Diener gewesen, also konnten die Dinge für ihn nicht mehr viel schlimmer werden. Außerdem geschah es ihm ganz recht, denn schließlich hatte er sie auf diese irrsinnige Reise entführt! Sie hatte jedenfalls die Absicht, zu überleben und gut für sich zu sorgen. Mit diesem Entschluß verbannte sie Anvar aus ihren Gedanken.
Die schwarzen Frauen brachten gewaltige Mengen Kleider in ihr Gemach, aus denen sie wählen konnte – bestickte Roben aus durchscheinender Seide in zahllosen Farben, Schleier aus weniger Stoff als der Nebel an einem Sommermorgen. Sie brachten vergoldete Sandalen, Parfüms, Kosmetik und mehr Juwelen, als Sara je in ihrem Leben zu sehen bekommen hatte. Sie ließ sich Zeit beim Aussuchen und stellte die Stoffe so zusammen, daß sie die beste Wirkung erzielten. Jetzt war sie ganz in ihrem Element. Das war das, worauf sie sich am besten verstand.
Endlich war sie bereit. Sie betrachtete sich in einem bodenlangen Spiegel aus poliertem Silber, und das Bild, das sie dort sah, raubte ihr den Atem. O ihr Götter, dachte sie. Ich bin wunderschön! Noch nie war ich so schön wie jetzt. Obwohl ihr Herz ziemlich schnell schlug, wartete Sara mit ruhiger Gelassenheit darauf, vor den König gerufen zu werden. Das betörende Geschöpf im Spiegel lächelte ihr geheimnisvoll zu. Das hier würde ein Kinderspiel werden.
21
Die Armreifen Zathbars
Zentimeter um Zentimeter suchte Aurian den verlassenen Strand ab und fand die Überreste eines Feuers und Zeichen eines heftigen Kampfes. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Was war hier geschehen? Einige wenige klare Spuren – die Abdrücke fremder, spitzer Stiefel – waren noch immer zu sehen. Ein gedämpftes Glitzern im Sand zog ihren Blick auf sich. Nach kurzem Graben hielt die Magusch ihren eigenen Dolch in Händen. Mit sinkender Hoffnung versuchte sie zu rekonstruieren, was vorgefallen war, während sie geistesabwesend mit dem Messer herumspielte. Aus dem Wald führten keine fremden Fußabdrücke heraus. Die Eindringlinge mußten also vom Meer gekommen sein. Und tatsächlich, da war eine tiefe Furche am Rand des Wassers – da war der Bug eines Schiffes auf den Sand gezogen worden. Keine Leichen, kein Blut. Hatte man Anvar und Sara lebendig gefangengenommen? Und wenn ja, wo waren sie jetzt? Aurian verfluchte voller Selbstvorwürfe ihre Verspätung. Warum war sie nicht früher zurückgekehrt? Warum hatte sie sie überhaupt hier alleingelassen?
»Solche Gedanken sind töricht, Tochter, und ganz und gar zerstörerisch«, schalt Ithalasa sie sanft. »Du hast getan, was du tun mußtest. Wenn du deine Begleiter wiederfinden willst, kann ich dich vielleicht auf die richtige Spur bringen.«
Er erzählte ihr, daß die Schiffe in diesen Gewässern über einen großen Fluß kamen und gingen, der weiter unten an der Küste mündete. Seine Vettern, die Flußdelphine, hatten ihm erzählt, daß es viele Tagesreisen flußabwärts eine Stadt gab. Wenn ihre Begleiter irgendwo waren, dann dort.
»Obwohl du wirklich recht hattest, sie als Dummköpfe zu bezeichnen«, fügte er trocken hinzu. »Nur ein Narr entzündet in einem fremden Land ein solches Leuchtfeuer, um weiß der Himmel wen herbeizurufen! Aber jetzt mußt du dich entscheiden. Wenn du nach Norden reisen willst, um die Waffen zu suchen, kann ich dich ein gutes Stück mitnehmen, obwohl wir uns gewöhnlich nicht in die nördlichen Gewässer hineinwagen. Aber wenn du deine Begleiter suchen willst, dann führt dein Weg nach Süden, und ich kann dich zur Mündung des Flusses Khazala bringen – des Flusses, den man Lebensblut nennt.«
Aurian befand sich in einem Dilemma. Sie sollte eigentlich so schnell sie nur konnte nach Norden aufbrechen, denn die Zeit war gegen sie. Das Fortschreiten ihrer Schwangerschaft bedeutete, daß sie allmählich ihre Zauberkräfte verlor, die etwa im sechsten Monat ganz verschwinden würden. Bis das Kind geboren war, würde sie dann ihrer Magie beraubt sein. Aurian verspürte nicht den geringsten Wunsch, sich länger in den Südlichen Königreichen aufzuhalten, die den Magusch so feindlich gesinnt waren; auch ihr Baby wollte sie hier nicht zur Welt bringen. Ithalasa konnte sie mühelos und ohne große Schwierigkeiten in ihr eigenes Land zurückbringen. Aber die Magusch gab sich selbst die Schuld am Elend von Anvar und Sara. Sie hätte sie nie verlassen dürfen. Obwohl es ein größeres Risiko bedeutete und einen ernsten Rückschlag für ihre Pläne, würde ihr Gewissen ihr keine Ruhe lassen, wenn sie sie jetzt im Stich ließ. Schließlich bat sie mit schwerem Herzen und voller Zweifel ihren Freund, sie zur Flußmündung zu bringen.