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»Wenn jemand sie gefangengenommen hat, was wäre dann mit ihnen passiert? Bitte sag es mir.«

»Man hätte sie vor die Gebieter gebracht, so wie dich. Das ist Gesetz bei uns«, sagte der Schwertmeister schroff.

»Und wenn nicht?« beharrte Aurian.

»Nun, es gibt schon seit langem Gerüchte über einen illegalen Sklavenhandel, aber in diesem Falle hätte man die Frau gewiß an ein Haus der Lust verkauft. Und du kannst sicher sein, daß das nicht passiert ist. Jedermann in der Stadt hätte mittlerweile von einem Wunder erfahren, daran gibt es keinen Zweifel. Laß es auf sich beruhen, Aurian. Was auch immer ihnen widerfahren ist, es hat auf dich hier keinen Einfluß.«

Eliizar schluckte und machte ein unglückliches Gesicht. »Kriegerin, du mußt dich an diesem Ort auf dein eigenes Überleben konzentrieren, solange du nur kannst. Seit du das Gelände der Arena betreten hast, stehst du unter dem Bann des Todes, mag er nun früher kommen oder später.«

Aurian ließ entsetzt seinen Arm los. »Aber der Gebieter sagte, ich hätte eine Chance, meine Freiheit zurückzugewinnen.«

Der Schwertmeister schüttelte den Kopf. »Es war grausam und falsch von ihm, eine solche Hoffnung in dir zu wecken«, sagte er ausdruckslos.

»Dann hat er also gelogen? Es gibt keine Möglichkeit …?«

»Ausgeschlossen!« Eliizar erhob sich abrupt. »Hier bist du nichts als Schwertfutter für die Belustigung des Khisu. Er ist ein grausamer Mann, und keiner weiß das besser als ich. Zuerst muß ich herausfinden, welches Kampfniveau du im Vergleich zu den anderen Kriegern hast. Ich habe dein Schwert, das ich dir wiedergeben soll. Du wirst mit den anderen trainieren, immer unter Beobachtung. Wir kämpfen in der Arena auf Leben und Tod. Sei gewarnt! Wenn du dort kämpfst und es dir gelingen sollte, deinen ersten Gegner zu besiegen, dann wirst du als nächstes gegen zwei auf einmal kämpfen müssen, dann gegen drei. Und falls du durch ein Wunder all das überleben solltest, wirst du dem Schwarzen Dämon gegenübergestellt.«

Aurians Kopfhaut kribbelte. »Und wenn ich diesen Dämon besiege?«

»Dann erhältst du deine Freiheit wieder. Aber das ist unmöglich. Niemand hat je den Dämon besiegt. Niemand kann das!«

Aurian stand auf und straffte die Schultern. »Ich werde ihn besiegen«, knurrte sie. »Wann fangen wir an?«

Eliizar schüttelte traurig den Kopf und ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Aurian hörte, wie der Schlüssel im Schloß umgedreht wurde. Sie zuckte mit den Schultern und kehrte zu ihrem Frühstück zurück. Sie hatte nicht die Absicht, die heimtückische Angst, die sie um sich und um ihr Kind hatte, auch noch zu unterstützen. Sie würde all ihre Kraft benötigen. Nachdem sie gegessen hatte, ruhte sie sich eine Weile aus und versenkte sich dann in die tiefe Meditation von Forrals lange vernachlässigten Übungen für Schwertkämpfer. Was auch immer kommen mochte, sie würde bereit sein. Sie mußte es sein!

22

Das unsichtbare Einhorn

»Noch mal!« rief Maya.

D’arvan hob seine müden Glieder und eilte über die Waldlichtung zu ihr hinüber, wobei er das Schwert in seiner Hand wild im Kreis schwang. Die Kriegerin machte einen gekonnten Ausfall zur Seite, stellte ihm ein Bein und brachte ihn zu Fall. Der Magusch stürzte wie ein gefällter Baum mit dem Gesicht nach unten in den Schlamm und in die Blätter des vergangenen Jahres.

»Ich denke, das sollte für heute reichen«, sagte Maya taktvoll, obwohl unterdrückte Heiterkeit um ihre Mundwinkel zuckte, als sie zu ihm hinüberging, um ihm aufzuhelfen.

»Du – du Biest!« stieß D’arvan hervor und wischte sich den Schlamm aus den Augen.

»Es tut mir leid, Schatz, aber das ist ein Standardschritt.« Maya hielt ihm ihre Hand hin. »Wenn du möchtest, bringe ich ihn dir morgen bei.«

»Warum willst du dir solche Mühe machen?« D’arvan raffte sich mühsam auf und griff nach seinem Umhang, der in der Nähe an einem Zweig hing. Dann wischte er sich mit dem Saum über sein schmutziges Gesicht, bevor er sich den Umhang über die Schultern warf. »Wir versuchen das jetzt seit fast zwei Wochen, und ich kann immer noch kaum das eine Ende des Schwertes vom anderen unterscheiden.«

»Das kommt schon, keine Angst. Zwei Wochen sind überhaupt nichts in der Ausbildung mit dem Schwert – vor allem dann nicht, wenn man in deinem Alter bei Null anfangen muß.«

Ihre Worte trugen nicht im mindesten dazu bei, seinen Ärger zu beschwichtigen. »Also ist es mein Alter, ja? Es sieht wirklich so aus, als hätte ich keine Chance. Wenn Eilin mich in der Magie unterweist, behandelt sie mich wie ein Kind, und jetzt kommst du und erzählst mir, ich wäre ein Greis!«

»Wenn du dich so benimmst wie jetzt, kann ich nicht umhin, zu glauben, daß Eilin irgendwie recht hat!« fuhr Maya ihn an.

Als D’arvan ihren finsteren Gesichtsausdruck bemerkte, versuchte er, seine schlechte Laune abzuschütteln, denn er hatte Angst, die Liebe, die zwischen ihnen erblüht war, zu gefährden. Er brachte ein schiefes Lächeln zustande. »Es tut mir leid, Maya – ich weiß, daß ich heute morgen besonders unleidlich bin.« Er legte seinen Arm um ihre Schultern, und gemeinsam gingen sie zurück zum Turm. Er zitterte, und das lag nicht nur an der Abkühlung seines Körpers an diesem frostiggrauen Wintertag. »Ich habe letzte Nacht nicht gut geschlafen. Jedesmal, wenn ich meine Augen schloß, hatte ich Alpträume.«

»Warum hast du mich nicht geweckt?« Die Kriegerin schloß ihren Arm fester um seine Taille, und in ihrer Stimme lag großes Mitleid. »Was hast du denn geträumt, das so schrecklich war?«

»Es war mein Bruder – nun ja, Halbbruder. Ich habe immer wieder geträumt, daß er sich mit einem Messer an mich heranschlich – um mich zu töten, so wie er es schon einmal versucht hat.« D’arvan schluckte schwer, immer noch im Bann seiner unseligen Träume. Er spürte eine starke Spannung zwischen seinen Schulterblättern und eine unnatürliche Trockenheit in der Kehle – ein lauerndes, alles beherrschendes Entsetzen, das von dem herannahenden Meuchelmörder, dem verborgenen Messer in der Dunkelheit ausging.

»Nun, das überrascht mich nicht, wenn man bedenkt …« Maya blieb urplötzlich stehen und drehte sich mit weit aufgerissenen Augen zu ihm um. »D’arvan, meinst du nicht, es könnte etwas an deinem Traum sein? Ich will sagen, ihr beide wart doch immer so eng miteinander verbunden. Du glaubst doch nicht, daß er herausgefunden hat, wo du bist, und jetzt herkommt …«

D’arvan keuchte, als ihm die Wahrheit dämmerte, die zu sehen seine eigenen Ängste ihm unmöglich gemacht hatten. Ihre Instinkte waren immer viel sicherer als die seinen. »O ihr Götter – Eilin!« rief er. »Er wird zum Turm kommen, schnell!« Er riß Mayas Schwert aus der Scheide und stürzte durch die Bäume davon. Die Kriegerin hatte mit ihren kürzeren Schritten Schwierigkeiten, ihm zu folgen.

»D’arvan, du Narr, warte!« rief sie hinter ihm her. »Du kannst nicht …« Aber er hatte sie schon weit hinter sich gelassen.

D’arvan hatte den Rand des Waldes, der sich bis an die Wiesen des Seeufers erstreckte, beinahe erreicht, als Eilin einen verzweifelten Gedankenruf um Hilfe ausstieß, einen Schrei, der ihn bis ins Innerste traf. Keuchend verdoppelte er seine Anstrengungen und kämpfte sich durch Äste, die ihm wie Peitschen auf die Brust und ins Gesicht schlugen; über Wurzeln, die sich zu erheben und nach ihm auszustrecken schienen, die sich um seine Knöchel und seine Knie schlangen. Er war zu beschäftigt mit den Gedanken an seinen Bruder, um sich zu fragen, warum der Wald plötzlich soviel dichter schien, sein Weg soviel länger, als es früher der Fall gewesen war. Davorshan! Wie war es ihm gelungen, an den Wölfen, die das Tal bewachten, vorbeizuschleichen! D’arvan brachte keuchend einen Fluch hervor. Wenn er doch nur seinen Träumen mehr Beachtung geschenkt hätte!

Als er das Seeufer erreichte, blieb er voller Verwirrung und Entsetzen wie angewurzelt stehen. Der Waldrand reichte nun bis an den See und grub sich mit seinen schlangenartigen Wurzeln in den weichen Untergrund. Der schöne, grasbewachsene Hang zum See hin war zerwühlt und zerstört. Das war nicht die einzige Veränderung. Der Inselturm war nicht mehr wiederzuerkennen. Gewaltige Ranken kletterten an den einst so glatten Mauern in die Höhe, gruben sich mit ihren unzähligen Wurzeln in die Steine und hämmerten mit ihren dicken, hin- und herschwingenden Ästen auf das gehärtete Kristall der Fenster. Dichte, dornige Brombeeren und Schlehen hatten die Holzbrücke und den Bogen vor der Tür zum Turm in ihrem Würgegriff.