D’arvans und Mayas Blicke begegneten sich, und der Magusch zuckte die Achseln. Das war schließlich sein Vater, und er hatte ihnen bisher nur geholfen. Er nahm einen Schluck von dem Wein und sah, daß Maya es ihm gleichtat, obwohl sie immer noch mißtrauisch schien. Irgendwie wärmte ihn der Gedanke, daß sie ihm sogar hierher gefolgt war, noch mehr als das Getränk, das wahrhaftig kräftig genug war. D’arvan spürte, wie es durch seinen Körper rann, als brenne sich ein flüssiges Feuer durch seine Adern. Seine Müdigkeit verschwand, und der Raum um ihn herum wurde plötzlich wieder vollkommen klar. Der krampfartige, heiße Schmerz in seinem verletzten Bein löste sich auch, als hätte es ihn nie gegeben.
Hellorin drängte sie zu essen, und während sie das taten, erzählte D’arvan ihm von Miathans Verrat, von dem Bruch des Maguschkodex und davon, wie die Magusch nach und nach dem Bösen anheimgefallen waren. Hellorin sagte nichts, bis D’arvan am Ende seiner Geschichte angelangt war und von Davorshans Angriff auf Eilin und dem Tod seines Bruders berichtete, gefolgt von ihrem verzweifelten Hilferuf an den Phaeriefürsten. Als er schließlich schwieg, sprang sein Vater von seinem Stuhl auf und schwenkte seine Faust mit einer Geste des Sieges gen Himmel. »Endlich!« rief er. »Endlich!« Draußen in der Halle erhob sich ein Chor jubelnder Phaeriestimmen in wilder Freude. Maya sprang mit einem Ausruf des Entsetzens auf die Füße.
»Vater!« D’arvans schockierte Stimme durchbrach das Frohlocken des Waldfürsten. Schwer atmend setzte Hellorin sich wieder auf seinen Stuhl.
»O mein Sohn«, stieß er hervor, »wenn du nur wüßtest, wie sehr wir in all den endlosen Jahren auf diese Nachricht gewartet haben! Um Himmels willen, setz dich wieder, Mädchen!« Er zeigte gereizt auf Maya, die immer noch aufrecht dastand, während ihre Augen die Halle nach irgendeiner Waffe absuchten.
»Mein Fürst, wie kannst du frohlocken angesichts einer so furchtbaren Geschichte?« fragte D’arvan mit kaltem Vorwurf.
»Hast du meine Mutter vergessen? Ich bin Magusch so gut wie Phaerie, und du verhöhnst meine Trauer wie die all der Menschen, die unter diesem Bösen zu leiden haben.«
Hellorin sah seinen Sohn ausdruckslos an, aber seine nächsten Worte klangen sehr weich. »Ich möchte mich bei euch beiden von Herzen entschuldigen. Bitte, Lady Maya, setz dich wieder und laß mich erklären, dann wirst du vielleicht meine unziemliche Freude begreifen.«
Maya warf ihm einen wilden Blick zu. »Das will ich hoffen«, knurrte sie.
»Man hat euch gelehrt, daß das Universum von Zufall und Gleichgewicht zusammengehalten wird«, begann Hellorin, während er sich etwas Wein nachschenkte. »Ihr wißt vielleicht nicht, daß die Magusch in diese Welt gebracht wurden, um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten und zu bewachen, so wie andere in andere Welten geschickt wurden, damit der Zufall sie nicht in ihren Würgegriff bekam und das Universum dem Chaos anheimfiel, dem Bankert des Zufalls.«
Die Kriegerin klopfte nach wir vor gereizt auf die Armlehne ihres Sessels.
»Geduld, Maya. Um eine lange Geschichte abzukürzen: Wir Phaerie waren immer, nun ja, ziemlich unberechenbar, und wir verfügen über große Kräfte der Alten Magie. Das alte Maguschvolk hat uns gefürchtet, denn es hielt uns für Handlanger des Zufalls, was in gewisser Weise der Wahrheit entsprach. Es gelang ihnen schließlich, uns aus der Welt auszuschließen – uns in diesem Anderswo gefangenzusetzen, das wir nicht verlassen können, es sei denn, man ruft uns. Und seitdem leben wir an einem Ort, von dem aus wir die Ereignisse auf der Welt nicht beeinflussen können. Wir sind außerdem nicht in der Lage› hier untereinander Kinder zu zeugen – daher auch unsere ständige Suche nach Sterblichen oder Magusch, um unsere Rasse zu vergrößern.«
D’arvan erstarrte. »Du meinst, du hast meine Mutter benutzt …«
»Nein – niemals!« Hellorin streckte die Hand aus, um seinen Arm zu berühren. »Glaubst du, wir Phaerie sind Monster? Kein Kind wird uns geboren, es sei denn durch die tiefste Liebe.
Es zerriß mir das Herz, als Adrina nach Nexis zurückkehrte, um dieses lächerliche Versprechen zu erfüllen, das sie ihrem Vater gegeben hatte. Ich habe geweint und getobt und geflucht. Ich hatte nur den einen verzweifelten Wunsch: ihr nachzugehen – sie zu finden und sie nach Hause zu bringen. Aber ich konnte nicht von hier weg, es sei denn, man rief mich, und das hat niemand getan – bis es zu spät war.« Seine Stimme war von Trauer erstickt.
»Oh, Vater«, flüsterte D’arvan, zu bewegt, um mehr zu sagen.
Hellorin nahm einen tiefen Schluck von seinem Wein. »Nun versteht ihr vielleicht, warum wir mit den Magusch nicht gut Freund sind. Sie haben uns seit vielen, langen Zeitaltern unserer Freiheit beraubt, und sie waren im Unrecht, als sie das taten. Seht ihr, der Zufall ist für die Welt genauso wichtig wie das Gleichgewicht. Ohne uns begannen die Magusch stillzustehen; sie wurden immer in sich gekehrter, stolzer und selbstherrlicher. In ihrem Stolz schufen sie die vier großen Artefakte der Macht, von denen der Kessel nur eines ist. Als die Verheerung kam, wären wir ihnen beinahe entkommen, aber nur beinahe. Dann, in unserem bittersten Augenblick, keimte unsere größte Hoffnung. Das Schwert der Flamme, die mächtigste der vier Waffen, wurde uns von ihren Schöpfern zur Aufbewahrung übergeben, denn sie wollten, daß es aus der Welt herausgenommen wurde, bis der Eine käme, für den es geschmiedet war. Wenn die Zeit käme, so sagten sie uns, müßten wir es der Welt zurückgeben und Fallen und Wachen aufstellen, damit es um keinen Preis in die falschen Hände gerät.«
›Aber woher sollen wir wissen, wessen Hand bestimmt ist, dieses Schwert zu führen?‹ fragten wir.
»Das wird eure Prüfung sein‹, antworteten sie uns.
›Woher sollen wir wissen, wann das Schwert gebraucht wird?‹ fragten wir weiter.
›Ihr werdet es wissen‹, sagten sie. ›Eine Zeit wird kommen, da wird das Maguschvolk dahinschwinden und versagen und übereinander herfallen wie Wölfe. Bruder wird Bruder töten und der Ehrgeiz die Treue verraten und die Welt in großes Dunkel versinken. Dann ist die Zeit gekommene ›Aber wie sollen wir der Welt das Schwert zurückgeben?‹ fragten wir. ›Wie können wir es bewachen, da wir doch machtlos sind?‹
›Das‹, sagten sie, ›ist euer Probleme Also fragte ich sie: ›Was ist unsere Belohnung dafür, diese große Aufgabe zu übernehmen? ‹«
Hellorin hielt inne, und seine Augen glänzten. »Sie versprachen uns unsere Freiheit, versprachen uns, daß wir mit dem Schwert den alten Zauberbann überlisten und zurück in die Welt kommen könnten. Wie schworen ihm Treue, ihm und dem Einen, der es ergreifen wird. Wenn er es für sich beansprucht, werden wir ihm zurück in die Welt folgen, um an seiner Seite gegen das Böse zu kämpfen. Wenn wir das Böse überwunden haben, werden wir frei sein, so, wie wir es früher waren. Frei, meine Kinder!«
»Wenn Bruder Bruder tötet«, flüsterte D’arvan. »Die Zeit ist also gekommen. Aber wie willst du das Schwert zurückgeben, Vater? Wie willst du es bewachen?«
Der Waldfürst versuchte, D’arvans Blick auszuweichen. Er starrte reglos ins Feuer, und sein Gesicht war überschattet von Schmerz. Das Schweigen zwischen ihnen zog sich in die Länge.
»Ich gehe davon aus, mein Fürst, daß du die Absicht hast, dazu uns zu benutzen«, sagte Maya geradeheraus.
Endlich blickte Hellorin wieder auf und nickte. »D’arvan, es tut mir leid«, sagte er. »Es gibt uralte Gesetze, die den Umgang mit den Phaerie regeln. Gesetze, die ich selbst vor langer Zeit zum Schutze meines Volkes geschaffen habe. Als du mich gerufen hast, hast du dich diesen Gesetzen unterworfen, und ich kann sie nicht ändern, nicht einmal für meinen Sohn. Du hast eine Gunst von mir erbeten – die Rettung der Lady Eilin –, so wie seinerzeit die Lady mich gebeten hat, ihr Kind zu finden, und ich habe euch beiden geholfen. Jetzt seid ihr mir verpflichtet, und ich kann einen Dienst von euch verlangen. Verstehst du mich?«